RTL-Recherchen zu Pass-Trick: So fliegen anerkannte Asylbewerber in den Urlaub nach Afghanistan
Exklusive RTL-Recherchen dokumentieren: Hunderte Asylbewerber aus Afghanistan machen Heimaturlaub, obwohl sie angegeben hatten, dass sie dort um Leib und Leben fürchten müssen. Doch wie ist das möglich?
Köln/Hamburg.Vor drei Jahren haben die Taliban in Afghanistan die Macht an sich gerissen - und das Land verändert. Mehr als eine Million Mädchen dürfen jetzt nach der siebten Klasse nicht mehr zur Schule gehen, Lehrerinnen dürfen nicht mehr an Jungenschulen unterrichten. Die selbst ernannten Gotteskrieger foltern, hacken bei Diebstahl Hände ab. Sie achten die Menschenrechte nicht, dulden keinen Widerspruch. Organisationen wie das „Zentrum Überleben“ fordern deshalb, das deutsche Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus Afghanistan noch auszuweiten. „Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Menschen in Afghanistan, die sich dort für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, stärker denn je gefährdet“, heißt es in einer Stellungnahme des „Zentrums Überleben“, die mehr als 50 Organisationen und Vereine unterzeichnet haben.
Hamburger Reisebüros offenbar auf Kabul-Resien spezialisiert
Monatelange Recherchen des RTL-Magazin legen nun aber nahe: Trotz des unbarmherzigen Regimes der Taliban fliegen viele in Deutschland anerkannte Asylbewerber auf Heimaturlaub an den Hindukusch, obwohl sie eigentlich angegeben hatten, dass sie aus dem Land flüchten mussten, weil ihr Leben dort gefährdet sei. Die Fernsehaufnahmen dokumentieren, wie im Hamburger Stadtteil St. Georg im Umkreis von nur wenigen Hundert Metern gleich mehrere Reisebüros unter der Hand Flüge nach Kabul für Afghanen organisieren, die in Deutschland Schutz gesucht und bekommen haben. Das Problem: Wüssten die deutschen Behörden von diesen Reisen in die alte Heimat, müsste vielen Afghanistan-Urlaubern die Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland eigentlich entzogen werden.
RTL-Sendung „Extra“ belegt: Kein Einzelfall
Doch wie ist eine Heimreise nach Afghanistan als Geflüchteter überhaupt möglich? Wie werden diese Reisen organisiert? Wer weiß Bescheid? Wie viel Geld wird damit verdient? Und warum schreiten die deutschen Behörden dagegen nicht ein? Die RTL-Sendung „Extra“, die am Dienstagabend ausgestrahlt worden ist, gibt Antworten. Dabei zeigen die Recherchen: Es handelt sich nicht nur um wenige Einzelfälle. In Deutschland haben im vergangenen Jahr rund 400.000 Menschen mit afghanischer Staatsangehörigkeit gelebt. Etwa 60.000 davon haben einen Blauen Pass. Diesen Reiseausweis erhalten in Deutschland nur anerkannte „Asylberechtigte“ oder „Flüchtlinge“ als Ersatz, wenn sie keinen Reisepass aus ihrem Herkunftsland vorweisen können. Mit diesem Ersatzdokument dürfen sie in alle Länder reisen außer in das, aus dem sie geflohen sind. Das ist ausdrücklich in diesem Pass vermerkt. Doch trotzdem reisen jede Woche laut RTL-Beitrag allein über Hamburg Hunderte Afghanen mit diesen Blauen Pässen in ihr Herkunftsland. Um zu verdeutlichen, wie ungefährlich das ist und wie verbreitet das ist, zeigt einer der Reisebüromitarbeiter in dem RTL-Beitrag eine Schachtel mit rund 30 Blauen Pässen, deren Inhaber gerade nach Kabul fliegen wollen.
So funktioniert der Visa-Trick
Möglich ist das offenbar nach den RTL-Recherchen über einen Visa-Trick, bei dem die iranischen Behörden mitspielen sollen: Demnach besorgen die Reisebüros ein sogenanntes „Double Entry Visa“ für den Iran. Dieses ermöglicht die zweimalige Ein- und Ausreise in dieses Land, das den deutschen Behörden als eigentliches Zielland vorgegaukelt wird. Die Reiseroute lautet dann zum Beispiel: Hamburg, Istanbul, Teheran, Kabul, Teheran, Istanbul, Hamburg. Damit die deutschen Behörden nichts mitbekommen, werden die Visa anders als üblich nicht in die Pässe geklebt, sondern lediglich als loses Blatt Papier hineingelegt. Die Grenzbehörden stempeln also nicht den Blauen Pass, sondern nur dieses lose Blatt, das rechtzeitig vor der Rückreise nach Deutschland weggeworfen werden kann. Die eigentliche Reise nach Afghanistan ist dadurch bei der Wiedereinreise nach Deutschland nicht nachvollziehbar. Die deutschen Behörden bekommen in den meisten Fällen nichts mit - obwohl auch auf TikTok viele Clips zu sehen sind, die zeigen, wie in Deutschland lebende Afghaninnen und Afghanen regelmäßig Urlaub in der alten Heimat machen.
Migrationsforscher warnt vor Generalisierung
Der Berliner Migrationsforscher Ruud Koopmans warnt aber vor einer Generalisierung. Das beweise nicht, dass das Land für alle geflohenen Afghanen sicher sei, sagt er in dem RTL-Beitrag. Aber doch für eine große Gruppe. Er könne zwar das Heimweh und den Wunsch, die Familie wiederzusehen, verstehen. „Dafür ist das Asylrecht aber nicht gemacht“, sagt Koopmans. „Alle Ressourcen, die wir für Menschen aufwenden, die unseren Schutz eigentlich nicht brauchen, können wir nicht einsetzen für die Menschen, die unseren Schutz sehr wohl brauchen.“ und
Innenministerium weist Verantwortung von sich
Das Bundesinnenministerium zeigt sich unterdessen ahnungslos. Auf RTL-Nachfrage, ob das Innenministerium von diesen Heimaturlauben wisse, erklärt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): „Also erst mal ist es nicht unsere Aufgabe als Bundesinnenministerium, sondern der örtlichen Ausländerbehörden, darauf zu achten, dass so was nicht passiert.“ Man werde sich das Thema aber anschauen. Schriftlich gibt das Ministerium nach RTL-Angaben gegenüber dem Sender an, dass genaue Zahlen „statistisch nicht erfasst“ werden.
CDU-Politiker und Bundespolizeigewerkschaft fordern Konsequenzen
Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Innen- und Rechtspolitik, Thorsten Frei, ist darüber empört. Er sagt in dem RTL-Beitrag, dass er darin ein Zeichen dafür sehe, dass das Innenministerium „überhaupt kein Interesse“ an der Erfassung der Daten habe, es werde „ganz offensichtlich überhaupt nicht hingeguckt“.
Auch Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, übt scharfe Kritik an der Innenministerin: „Die Bundesregierung muss jetzt umgehend ein Gesetz erlassen, solche Visa fest in die Reisepässe einzubringen“, fordert er in dem RTL-Beitrag. Zudem beklagt sich Teggatz, dass die Dienststellen der Bundespolizei an den Flughäfen gar nicht genug Personal hätten, um neben den Einreisen und der Flugsicherheit auch noch die Ausreisen zu kontrollieren.
So reagiert der Migrationsbeauftragte
Der Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Stamp, hat nun am Freitag auf den RTL-Bericht reagiert. Er warnt Asylbewerber davor, zu Freizeit- oder Urlaubszwecken in ihre Heimatländer zu reisen. Der „Bild“-Zeitung sagte der FDP-Politiker: „Deutschland muss weltoffen bleiben, aber nicht blöd. Die Behörden müssen sicherstellen, dass Menschen, die bei uns Schutz beantragt haben, aber im Heimatland Urlaub machen, unmittelbar ihren Schutzstatus verlieren und nicht mehr in Deutschland bleiben können. Punkt.“ ( juerg)