Brombeer-Sondierungen in Sachsen bis 7. November - Wird nun die Passage zum Komplex Frieden aus Thüringen übernommen?
Dass die Regierungsbildung nach der Landtagswahl nicht einfach wird, wussten die Beteiligten. Nun liegen gleich zwei Zwischenergebnisse aus zwei Nachbarländern vor. Nur eines gefällt Sahra Wagenknecht.
Dresden/Potsdam/Erfurt.Im Vergleich zu Thüringen und Brandenburg kleckern diejenigen Landespolitiker, die sich nach dem komplizierten Landtagswahlergebnis um eine Regierungsbildung bemühen, sowieso schon hinterher. Immerhin laufen inzwischen wieder die Sondierungen zwischen CDU, BSW und SPD. Dabei waren bis zur - nicht wirklich überraschenden - Einigung auf die Fortsetzung der Verhandlungen am Montagmittag die Sticheleien nicht ausgeblieben. Hatte zunächst die SPD schwere Geschütze aufgefahren und nach der Zustimmung von zehn BSW-Landtagsabgeordneten zum Corona-Untersuchungsausschuss die Sondierungen vorübergehend unterbrochen, keilten anschließend die Attackierten nicht minder heftig zurück.
„Nicht hinnehmbar“, wie zunächst die SPD-Spitze das Ja des BSW zum AfD-Antrag genannt hatte, war für BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann das von den Sozialdemokraten „aufgeführte Theater“. Auch Parteigründerin Sahra Wagenknecht konnte sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. Man sei sowohl in Thüringen als auch in Sachsen bei vielen Themen nicht einer Meinung mit der CDU, aber „auch nicht mit der SPD, die sowieso in den beiden Ländern eine relativ schwierige Rolle spielt“, sagte sie in einem Interview bei „MDR Aktuell“. Und das sollte natürlich nicht ihr letztes Wort am Montag bleiben.
SPD brach Gespräche wegen BSW-Zustimmung zu AfD-Antrag ab
Tatsächlich hatte Sachsens SPD die Sondierungen nach der Landtagssitzung am Freitag vorübergehend auf Eis gelegt und Klärungsbedarf in einem Spitzengespräch angemeldet. Bereits während der Sitzung hatte ihr Wirtschaftsminister Martin Dulig Zweifel an der „Redlichkeit“ des BSW wegen dessen Zustimmung zum AfD-Antrag für einen Corona-Untersuchungsausschuss geäußert. Danach warfen die SPD-Landesvorsitzenden Kathrin Michel und Henning Homann dem BSW einen „Schulterschluss“ mit der AfD vor. Das BSW hatte allerdings seine mehrheitliche Zustimmung zum AfD-Antrag zuvor angekündigt und mit dem gesetzlich vorgegebenen Minderheitenrecht begründet. Weil der Antrag von genügend AfD-Abgeordneten eingereicht worden war, bestand für den Landtag insgesamt die Pflicht zur mehrheitlichen Zustimmung.
Nach dem gut zweistündigen Spitzengespräch am Montagvormittag in der Staatskanzlei teilten CDU, BSW und SPD in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit, das Abstimmungsverhalten im Plenum sowie Missverständnisse im Umgang miteinander „angesprochen und ausgeräumt“ zu haben. Weiter hieß es: „Im Ergebnis des Gesprächs wurden Vereinbarungen zur besseren Abstimmung während der Sondierungsgespräche und für die zukünftige Zusammenarbeit getroffen.“ mOb wirklich entsprechende Regelungen vereinbart wurden, blieb aber auch auf Nachfrage unklar. Immerhin gab es noch ein Versprechen zum Zeitplan - dass nämlich nach den wieder aufgenommenen Sondierungen in den insgesamt sieben Arbeitsgruppen die Ergebnisse „wie vereinbart bis zum 7. November“ vorliegen sollen.
Thüringer Kompromiss beschränkt sich auf Unterstützung für Diplomatie
Bundesweit im Fokus stand in den vergangenen Wochen hingegen weniger der Disput um die Corona-Aufarbeitung, sondern vor allem der Komplex Frieden. Die Brombeer-Unterhändler in Thüringen - wo CDU-Fraktionschef Mario Voigt gern Bodo Ramelow (Linke) als Ministerpräsident folgen will - vermochten es jedoch zuletzt gut eine Woche lang nicht, eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Am Montag präsentierten die Parteispitzen in Erfurt einen Passus, dem auch für die Gespräche in Dresden noch eine entscheidende Rolle zukommen könnte. Festgehalten ist zunächst, dass die Parteien „hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine“ unterschiedlicher Auffassung seien: „CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik“, heißt es. Und: „Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs.“
Dennoch einige alle drei das Ziel, „eine diplomatische Lösung des Krieges gegen die Ukraine und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas“ voranzutreiben. CDU, SPD und BSW - die in Thüringen zusammen allerdings nur 44 von 88 Landtagssitze haben, ohne AfD-Hilfe zur Mehrheit also auf mindestens einen Linken angewiesen wären - stellen weiterhin fest, „dass viele Menschen in Thüringen die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen kritisch sehen beziehungsweise ablehnen“. Zudem heißt es: „Die künftige Regierung des Freistaates Thüringen fördert eine breit angelegte Debatte und verleiht auch dieser Haltung im Sinne eines nachhaltigen Einsatzes für Frieden eine öffentliche Stimme.“ Weiter wird festgehalten: „Im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung unterstützen wir alle diplomatischen Initiativen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden.“
Was Wagenknecht am Thüringer Papier kritisiert
Für den Eintritt in Koalitionsverhandlungen in Thüringen reichte die Passage BSW-Chefin Wagenknecht zwar. Dennoch sprach sie am Montagabend gegenüber dem „Spiegel“ von einem „Fehler“, sich nicht an Brandenburg orientiert zu haben. Die Thüringer Passage zur wichtigen Frage von Krieg und Frieden bleibe „leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“. Es mache „gute Koalitionsverhandlungen“ nicht leichter, wenn CDU und SPD den Eindruck bekämen, dass das Thüringer BSW sich „elementare Positionen wegverhandeln lässt“ - eine Breitseite gegen Landeschefin Katja Wolf.
Brandenburger SPD und BSW sehen Raketenstationierung „kritisch“
In Brandenburg, wo SPD und BSW allein eine Mehrheit im Landtag hätten und Dietmar Woidke gern Ministerpräsident bleiben will, beginnen am 4. November die Koalitionsverhandlungen. Zum Komplex Friedensbemühungen in der Ukraine wurde in dem von beiden Parteien am Montag vorgelegten Sondierungspapier folgendes festgehalten: „Wir sind übereingekommen, dass wir uns (...) dafür einsetzen, eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden voranzutreiben.“ Zudem heißt es: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.“
Die Sorge der Bürger vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs und vor dem Risiko, „dass auch Deutschland in eine sich immer schneller drehende Kriegsspirale hineingezogen wird“, werde ernst genommen, heißt es weiter. Auch auf „Bundesebene“ wolle man sich für eine diplomatische Lösung einsetzen, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen. „Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch.“
Folgen zwei Mitgliederentscheide in Sachsen?
In Sachsen regte die konservative Gruppierung Heimatunion derweil eine Mitgliederbefragung der CDU an. Es sei eine Frage der „politischen Hygiene“, ob man mit dem BSW eine Regierung bildet, hieß es in der Begründung. Eine Mitgliederbefragung wäre „ein souveränes Zeichen demokratischen Handelns und würde sicher einer Spaltung der Partei entgegenwirken“. Es solle dabei darum gehen, ob die Parteibasis größere Chancen für eine Umsetzung des CDU-Programms in einer Koalition unter Einbeziehung des BSW oder in einer Minderheitsregierung sieht. Letztere wird von CDU-Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer bislang wegen des deutlich erhöhten Aufwandes für die erforderlichen Mehrheitsbeschlüsse im Landtag gescheut.
Eine Mitgliederbefragung ist in der CDU dann vorgeschrieben, wenn sie „von einem Drittel der jeweils nachgeordneten Gebietsverbände beantragt wird und der Vorstand der die Mitgliederbefragung durchführenden Organisationsstufe dies mit der absoluten Mehrheit seiner stimmberechtigten Mitglieder beschließt“, wie ein Sprecher der sächsischen CDU mitteilte. Sachsens größter Partei gehörten nach eigenen Angaben zuletzt etwa 9500 Mitglieder an. Nach bisherigen Planungen soll die Parteibasis durch Mitgliederkonferenzen im November an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Auch Sachsens SPD hält sich bislang die Entscheidung über die Zustimmung zu einem Koalitionsvertrag mit CDU und BSW über das Instrument einer Befragung ihrer gut 4500 Mitglieder offen. Beim BSW wäre die Anwendung dieses basisdemokratischen Instruments deutlich weniger aufwendig: Sie hatte in Sachsen zuletzt 72 Mitglieder. (tz/juerg)