DDR-Bürgerrechtler werfen Sahra Wagenknecht und dem BSW Lügen vor
In einem Brief werfen DDR-Bürgerrechtler wie Martin Böttger, Marianne Birthler und Rainer Eckert der Politikerin Sahra Wagenknecht und ihrem BSW vor, sich nicht kritisch mit dem russischen Regime auseinanderzusetzen. Wagenknecht kontert.
Chemnitz.Im Osten könnte das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen zum Zünglein an der Waage werden, weil es dort auf große Zustimmung trifft. In Sachsen zum Beispiel schließt die CDU eine Koalition mit dem BSW nicht aus, sollte es sonst zur Regierungsbildung nicht reichen. Doch nun gibt es Gegenwind – und der kommt ausgerechnet von prominenten ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern. Die erheben in einem Offenen Brief, der auf X verbreitet wird, schwere Vorwürfe gegen Sahra Wagenknecht und das BSW.
Initiator der „Wortmeldung von Mitgliedern der Bürgerbewegung in der DDR“ ist der Zwickauer Martin Böttger. Er habe sich schon seit geraumer Zeit über die „Propaganda-Maschine“ BSW geärgert, sagte der 77-Jährige am Montag der „Freien Presse“. Bei verschiedenen Auftritten von Sahra Wagenknecht in TV-Talkrunden habe er festgestellt, dass die Politikerin mit Unwahrheiten arbeite. „Das kann man nicht durchgehen lassen“, so Böttger. Der studierte Physiker war DDR-Bürgerrechtler, später Landtagsabgeordneter, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde in Chemnitz und zuletzt 15 Jahre Stadtrat für die Grünen in Zwickau, hatte sich aber im Juni von der politischen Bühne verabschiedet.
Diese DDR-Bürgerrechtler haben unterschrieben
Zu den insgesamt 60 Unterzeichnern gehören neben Böttger Marianne Birthler (ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde), Markus Meckel (Ex-DDR-Außenminister) und Brandenburgs Ex-Stasi-Beauftragte Ulrike Poppe. Ebenfalls unterschrieben haben Rainer Eckert, Reinhard Weißhuhn, Christian Dietrich, Katrin Eigenfeld, Joachim Goertz, Christian Halbrock, Gerold Hildebrand, Almut Ilsen, Gisela Kallenbach, Uwe Lehmann, Thomas Pilz, Utz Rachowski, Lothar Rochau, Mario Schatta, Siegbert Schefke, Jutta Seidel, Barbara Sengewald, Wolfram Tschiche, Esther-Marie Ullmann-Goertz, die Zwickauer Bürgerrechtler Hansjörg Hartzsch, Susanne Hartzsch-Trauer und Erwin Killat sowie weitere Mitglieder der DDR-Bürgerbewegung.
DDR-Gegner: BSW darf ungestraft Lügen verbreiten
Kritisiert wird in dem Schreiben, das der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk am Sonntag auf der Plattform X veröffentlichte, dass das BSW die Lage in Russland schönrede. Im Kreml herrsche ein Autokrat, „der sich wie ein Faschist benimmt. Er verbietet Opposition und lässt prominente Oppositionelle umbringen“. Auch auf die fehlende Pressefreiheit gehen die Unterzeichnenden des Offenen Briefes ein und erinnern an die Lage in der DDR. „Was haben wir in der DDR um die Pressefreiheit gekämpft!“, heißt es in dem Schreiben. Die Bürgerrechtler hätten selbst Zeitungen produziert. „Dieser Druck auf eigenen Maschinen war nicht ungefährlich, denn auf diese illegalen Vervielfältigungen und Verbreitungen standen Gefängnisstrafen, ähnlich wie im heutigen Russland“, schreiben die Verfasser weiter. „Das BSW dagegen darf ungestraft Lügen über eine angeblich faschistische Ukraine verbreiten.“
Die Lügen der Sahra Wagenknecht - eine Wortmeldung von Martin Böttger und Marianne Birthler, Rainer Eckert, Markus Meckel, Reinhard Weißhuhn, Christian Dietrich, Katrin Eigenfeld, Joachim Goertz, Christian Halbrock, Gerold Hildebrand, Almut Ilsen, Gisela Kallenbach, Uwe Lehmann, pic.twitter.com/tHFBzCwEUE
— Ilko-Sascha Kowalczuk (@IlkoKowalczuk) August 4, 2024
Unterzeichner fühlen sich an DDR-Methoden erinnert
Sahra Wagenknecht werfen die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Falschbehauptungen vor. So habe sie im Fernsehen behauptet, fast alle Experten würden eine Niederlage der Ukraine voraussagen. Das sei ein „weiteres Beispiel, wie sich Sahra Wagenknecht von der Wahrheit entfernt“, da das so nicht stimme. Zudem habe sie nach dem russischen Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew bei „Maybrit Illner“ Desinformation aus dem Kreml verbreitet. „Es kann sein, dass die Ukraine lügt“, zitieren die Unterzeichnenden die Politikerin - und stellen dazu fest: „Lügen und Desinformation – eine uns aus der DDR wohlbekannte Praxis.“
Darüber hinaus kritisieren die Bürgerrechtler, dass das BSW Lügen der russischen Seite im Ukraine-Krieg übernehmen würde. Als Beispiel dient ihnen die Falschmeldung, französische Soldaten würden an der Front operieren. Präsident Macron dementierte dies, Mitglieder des BSW hielten dennoch an der Unterstellung fest. In die Welt gesetzt wurde die Nachricht vom russischen Staatssender Sputnik, der wegen seiner „Verbreitung von Lügen“ in der EU gesperrt ist.
DDR-Bürgerrechtler warnen CDU vor Koalition mit dem BSW
Abschließend wirft der Offene Brief die Frage auf: „Kann es sein, dass die Parteigründerin (Sahra Wagenknecht, Anm. d. Red.) lügt? Ja, es ist offensichtlich so“. Deshalb warnen die DDR-Bürgerrechtler insbesondere die CDU, nach den Landtagswahlen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht zu koalieren. „Mit dem BSW ist aus unserer Sicht lediglich eine weitere Partei in das dubiose Spektrum deutscher pro-russischer Parteien von AfD bis MLDP eingetreten, das sich nicht von deren anti-ukrainischer Propaganda unterscheidet“, so das Fazit der Unterzeichnenden. Es herrsche eine große Beunruhigung, dass das BSW mitregieren könnte, vor allem wegen der außenpolitischen Positionen der Wagenknecht-Partei, sagte die Ex-Chefin der Stasi-Unterlagen-Behörde, Marianne Birthler, der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Wagenknecht: Verfasser haben offenkundig Kontakt zur Bevölkerung verloren
Wagenknecht reagierte scharf. „Der Brief ist wohl kaum im Sinne der DDR-Bürgerrechtsbewegung, von der sich viele unter den Slogans „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ für Frieden, Diplomatie und ein Ende des Wettrüstens einsetzten“, erklärte die BSW-Vorsitzende auf Anfrage.
„Das Bemühen um eine diplomatische Beendigung des Ukraine-Krieges als russische Propaganda zu diffamieren, ist auch eine Beleidigung für Millionen Ostdeutsche, die zu Recht Angst vor einem großen europäischen Krieg haben.“
Hier solle offenbar eine neue Partei, die vielen Menschen aus dem Herzen spreche, wenige Wochen vor entscheidenden Wahlen diskreditiert werden, mutmaßte Wagenknecht. „Dass sich aktuell viele Ostdeutsche bei politischen Debatten wieder an die Enge der DDR-Zeit erinnert fühlen, müsste eigentlich frühere Bürgerrechtler auf den Plan rufen.“ Doch hätten die Briefeschreiber offenkundig den Kontakt zur Bevölkerung weitgehend verloren. (juerg/jdf/dpa)