Handys mit dem Betriebssystem Android schicken täglich Hunderttausende private Nutzer-Daten an Google. Das ist eventuell ein Verstoß gegen Datenschutzregeln und betrifft auch viele Sachsen. Eine Firma will Google deshalb jetzt verklagen - und bietet jedem Betroffenen 40 Euro Sofortentschädigung. Ist das seriös?
In Deutschland sind derzeit rund 70 Millionen Smartphones in Betrieb - und auf etwa drei von vier Geräten davon läuft Android, also das mobile Betriebssystem von Google. Viele Handyhersteller nutzen dieses System, darunter Google selbst, aber auch Samsung, Xiaomi, Huawei, Sony, Asus, Motorola, Honor, Fairphone, Nothing Phone, Cat und Emporia. Jetzt will die Firma Privacy Reclaim den US-Giganten aber auf Schadenersatz verklagen - weil der US-Gigant über Android oft ohne Rechtsgrundlage von all diesen Handys Millionen private Daten absaugen und an sich selbst zur Verarbeitung übermitteln soll.
Unter diesen Voraussetzungen gibt es die 40 Euro Sofortentschädigung
Jeder in Deutschland Betroffene kann dadurch sofort Kasse machen. Denn die hinter Privacy Reclaim stehende Firma bietet jedem 40 Euro dafür, wenn er seinen eventuellen Schadenersatzanspruch an sie abtritt. Insgesamt möchte das Unternehmen so die Rechte von 100.000 Handy-Eignern einsammeln, um mit einer entsprechenden Drohkulisse gegenüber Google auftreten zu können. Registrieren kann man sich dafür auf der Webseite https://www.privacyreclaim.com/. Die Voraussetzung: Man muss ein oder mehrere Android-Handys seit 25. Mai 2018 mindestens sechs Monate lang benutzt haben, seinen Wohnsitz in Deutschland haben und über 18 Jahre alt sein.
Was weiß Google über jeden Nutzer tatsächlich?
Privacy Reclaim hat inzwischen ein Gutachten erstellen lassen. Das kommt zu dem Ergebnis, dass Google deutlich mehr Daten absaugt, als allgemein bekannt ist. So kann der US-Gigant demnach unter Umständen durch übermittelte Standortdaten ableiten, wann sich wer wo und wie lange aufhält, ob und welchen Supermarkt jemand besucht, welchem Arzt oder Krankenhaus jemand vertraut, in welche Kirche, Moschee oder Synagoge jemand geht. Aus den Downloads im Google Play Store kann Google laut Gutachten auch Rückschlüsse zum Beispiel auf die Religionszugehörigkeit, den Gesundheitszustand oder die sexuelle Orientierung des Nutzers ziehen - etwa wenn eine Bibel-App, eine Schwangerschafts-App oder auch eine Dating-App heruntergeladen wird. Zum Teil sind diese Daten nicht anonymisiert, sondern indirekt über das Handy mit dem Nutzer verknüpft. Was Google dann damit macht, weiß Privacy Reclaim nicht. Nach Einschätzung dieses Unternehmens verstößt aber die Verarbeitung der persönlichen Daten von Android-Nutzern in dem aktuellen Umfang gegen die Datenschutz-Grundverordnung.
Lohnt sich die Abtretung des Schadenersatzanspruchs?
Privacy Reclaim erwartet nach früheren eigenen Angaben Schadenersatzzahlungen in vierstelliger Höhe pro Betroffenen. Dagegen muten die 40 Euro, die diese Firma bietet, bescheiden an. Dennoch kann sich eine Abtretung der eventuellen Ansprüche lohnen. „Bei einer Klage auf 2000 Euro Schadensersatz betragen die Kosten sowie Kostenrisiken für den Rechtsstreit für eine Privatperson schon circa 1300 Euro“, hat Rechtsanwalt Alex Petrasincu kürzlich dem Portal „Netzwelt.de“ vorgerechnet. Petrasincu betreut die Privacy Reclaim und ist für die renommierte Kanzlei Hausfeld tätig. Die Rechtsprechung bei Datenschutzverstößen sei noch sehr uneinheitlich, sagte er. Dabei sei ohnehin zweifelhaft, ob eine Einzelperson gegen einen Mega-Konzern wie Google erfolgreich bestehen könne - und bei einer Niederlage vor Gericht müsse sie dann die hohen Kosten unter Umständen selbst tragen. Falls jemand eine Rechtsschutzversicherung hat, sei dieses Kostenrisiko jedoch vermeidbar. Falls nötig, vermittelt Privacy Reclaim in diesem Fällen auch an eine Partnerkanzlei.
Leck bei Facebook: Klage war erfolgreich
Mehrere Tausend Verbraucher haben nach früheren Firmenangaben ihre Ansprüche schon an Privacy Reclaim für 40 Euro verkauft. Noch in diesem Jahr soll die Klage vor einem deutschen Landgericht eingereicht werden. Dass derartige Klagen durchaus erfolgreich sein können, zeigt ein Leck bei Facebook, durch das Unbekannte 2021 Daten von Hunderten Millionen Nutzern abgreifen konnten – darunter Namen und Telefonnummern. Ein Betroffener hatte deshalb mithilfe einer Kanzlei gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta wegen Datendiebstahls geklagt. Der BGH hat darüber kürzlich entschieden - und es Betroffenen nun relativ leicht gemacht, Schadenersatz zu bekommen: Sie müssen nur nachweisen, dass sie Opfer des Vorfalls waren. Allerdings ist auch der Geldbetrag, den sie laut BGH jetzt erwarten können, eher niedrig. War es in den vorinstanzlichen Urteilen noch teilweise um 3000 Euro gegangen, werden es jetzt laut Gericht wohl eher um die 100 Euro sein.
Das raten Verbraucherschützer
Verbraucherschützer haben grundsätzlich nichts gegen die Abtretung möglicher Schadenersatzansprüche. Sie raten dazu aber nur, wenn der Kaufpreis und der Aufwand dafür, seine Daten einzugeben, angemessen sind. Es sollte sich zudem um einen Standardfall handeln, bei dem jemand lediglich die Kontrolle über einen Teil seiner Daten verloren hat und sonst kein Schaden entstanden ist. Sind durch den Datendiebstahl hingegen tatsächlich deutlich mehr als 100 Euro Schaden entstanden, empfehlen Verbraucherschützer, sich selbst einen Anwalt zu nehmen.
Das sagt Google
Google weist die Vorwürfe unterdessen zurück. Privacy Reclaim mangele es an technischem Wissen, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ einen Unternehmenssprecher. Weithin dokumentierte Fakten über die Funktionsweise moderner Smartphones würden verzerrt dargestellt. Google arbeite in voller Übereinstimmung mit den geltenden Datenschutzgesetzen und stelle Nutzerinnen und Nutzern Datenschutz-Tools zur Verfügung, mit denen sie die Kontrolle über ihre Daten behalten. (juerg)