Im April sorgte die Annonce eines Dachdeckermeisters aus Sebnitz deutschlandweit für Schlagzeilen und Entsetzen. Nun befasste sich der Stadtrat nochmals mit dem Thema.
Nach dem Wirbel um die rassistische und antisemitische Anzeige eines Handwerkers hat sich der Sebnitzer Stadtrat nun mit dem Fall befasst. Grund: ein öffentlicher Brief, mit dem der 60-Jährige unterstützt wird.
Was war passiert? Mitte April sorgte eine Annonce im Amtsblatt der 9500-Einwohner-Stadt deutschlandweit für Schlagzeilen. Die ganzseitige Anzeige begann harmlos. Ein Dachdeckermeister bedankte sich im „Neuen Grenzblatt“ angesichts des 30-jährigen Bestehens seiner Firma bei Kunden und Geschäftspartnern für deren Treue. Doch dann kam es.
Erst „keine Hakennasen“, dann „Frohe Ostern“
Der 60-Jährige bewarb einen Ausbildungsplatz fürs kommende Jahr, stellte klar, dass er „keine Hakennasen, Bimbos oder Zeppelträger (gemeint sind offenbar Männer mit Zopf oder Dutt, Anm. d. Red.)“ als Azubis haben will. Abschließend wünschte er den Lesern noch „Frohe Ostern und sonnige Feiertage“. Entsetzen bei der Sebnitzer Stadtverwaltung!
Gegenüber unserer Redaktion stellte OB Ronald Kretzschmar (parteilos) klar, dass das Rathaus bis zum Vorliegen der gedruckten Blätter nicht sieht, was im Anzeigenteil zu sehen ist: „Wir sehen auch über den Korrekturabzug nur die Dinge, die wir selbst als Verwaltung an den Verlag gegeben haben - also Mitteilungen aus Stadtrat, Vereinsgeschehen oder ähnliches.“
Der OB habe – nachdem der Stadtverwaltung gedruckte Belegexemplare vorlagen und man die Anzeige entdeckte – noch versucht, die Auslieferung zu stoppen. Vergebens. Verantwortlich für den Anzeigenteil ist der Verlag Linus Wittich Medien KG. „Meiner Ansicht nach haben dort die Kontrollinstanzen versagt“, so Kretzschmar.
Mitarbeiter gefeuert, Anzeigen erstattet
In einem Statement sprach der Verlag anschließend von einer „diskriminierenden und menschenverachtenden Zeitungsanzeige“ und bat um Entschuldigung: „Dieser Fehler ist nicht wiedergutzumachen, und wir bedauern zutiefst, dass er geschehen ist.“ Dem für die Annonce zuständigen Mitarbeiter habe man fristlos gekündigt.
Sämtliche Geschäftsbeziehungen zu dem Dachdecker seien aufgekündigt worden. Der Verlag habe gegen den Handwerker, mit dem zuvor jahrelang problemlos zusammengearbeitet worden sei, Anzeige erstattet. Damit war er nicht allein. Auch der OB erstattete Anzeige wegen Volksverhetzung - gegen den 60 Jahre alten Deutschen sowie den Verlag Linus Wittich Medien KG. Zudem gab es aus der Bevölkerung weitere Anzeigen gegen den Dachdeckermeister.
Ermittlungen eingestellt: Linke fordert Überprüfung
Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wird jedoch eingestellt, wie die Dresdner Staatsanwaltschaft vor wenigen Tagen mitteilte. Begründung: Zwar sei der Inhalt der Anzeige teilweise als geschmacklos und moralisch anstößig zu bewerten, strafrechtlich aber ohne Relevanz.
Die Äußerungen seien als von der grundgesetzlich geschützten Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen. Die Linkspartei im sächsischen Landtag hielt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft für „mehr als befremdlich“ und forderte eine Überprüfung der Entscheidung durch die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft.
Wie die „Sächsische Zeitung“ (SZ) berichtet, hatte auch die für Sebnitz zuständige Handwerkskammer (HWK) Dresden nach der Annonce zu tun: Die Dachdeckerfirma ist zertifizierter Ausbildungsbetrieb und die HKW gesetzlich dazu verpflichtet, Betriebe auf die fachliche und persönliche Eignung zu prüfen, um Lehrlinge ausbilden dürfen.
Handwerkskammer schließt Überprüfung ab
Nach der Prüfung bestünden „keine hinreichenden Gründe mehr, die Ausbildungsberechtigung aufgrund mangelnder persönlicher Eignung zu entziehen“, so die HWK gegenüber der Zeitung. Zuvor waren der Betrieb angehört und die Ausbildungsbedingungen vor Ort überprüft worden.
Es wäre demnach der erste bekannte Fall gewesen, in dem eine Handwerkskammer in Sachsen einem Ausbildungsbetrieb die Eignung aberkannt und dies nicht allein fachlich, sondern mit der persönlichen Eignung des Handwerksmeisters begründet hätte.
Die Zeitungsanzeige beschäftigte am Dienstag nochmals den Sebnitzer Stadtrat. Laut SZ ist der Grund dafür ein offener Brief, unterzeichnet von etwa 400 Menschen.
In dem Schreiben (unterzeichnet mit „Sebnitzer Blumenfreunde“) zeigte man sich solidarisch mit dem Handwerker. Die Leistungen des Dachdeckermeisters, der 30 Jahre lang zuverlässig gearbeitet habe, seien in einem einzigen Moment entwertet worden.
Offener Brief gibt Medien und Rathaus die Schuld
Verantwortlich dafür sei jedoch nicht die rassistische und antisemitische Anzeige des 60-Jährigen. Schuld seien vielmehr die Berichterstattung der Medien, die Reaktionen der Stadtspitze sowie die juristischen Schritte anschließend. Die Formulierungen in der Annonce seien unangebracht und Kritik daran gerechtfertigt, der öffentliche Aufruhr jedoch unverhältnismäßig. OB Kretzschmar wurde aufgefordert, seine Anzeigen gegen Handwerker und Verlag zurückzunehmen.
Der Rathauschef betonte: „Wenn es den Verdacht gibt, dass etwas ausländerfeindlich oder antisemitisch ist, dann muss ich dem nachgehen.“ Kretzschmar habe einen Amtseid auf die Verfassung geschworen. Da gebe es nichts nachzudenken.
Ein Foto der Anzeige war im Netz viral gegangen. Sowohl das öffentliche Statement der Stadt Sebnitz als auch seine Antworten auf die zahlreichen Presseanfragen seien genau richtig gewesen, um möglichst Schaden von der Sebnitz abzuwenden. Und um zu zeigen, dass in der 9500-Einwohner-Stadt nicht alle so denken. „Der öffentliche Aufruhr ist nicht durch die Stadt entstanden, der öffentliche Aufruhr ist durch die Anzeige entstanden“, stellte Kretzschmar laut SZ klar.
Rechte im Stadtrat solidarisch mit Handwerker
Dass die Ermittlungen wegen Volksverhetzung inzwischen eingestellt wurden, sieht der OB skeptisch. Die Bewertung der Staatsanwaltschaft leiste aktuellen ausländerfeindlichen Tendenzen Vorschub.
Und die Fraktionen im Sebnitzer Stadtrat? In den Augen von CDU, BSW und Grünen handelt es sich bei dem offenen Brief um „klassische Täter-Opfer-Umkehr“. Der Oberbürgermeister werde für die Auswirkungen der Anzeige beschuldigt, dabei trage allein der Verfasser der Annonce dafür die Verantwortung. Derweil zeigte man laut Zeitungsangaben im rechten Lager Verständnis für den Handwerker.
Ein AfD-Stadtrat behauptete, man könne wegen Schlägereien von Migranten an Badeseen nirgends mehr hingehen: „Ich kann schon auch verstehen, dass man da die Nase voll hat und auch mal was anderes in die Zeitung schreibt.“ Ein Stadtrat der Fraktion Zukunft Sebnitz erklärte, dass er den offenen Brief selbst unterzeichnet habe und seine Fraktion den Inhalt unterstütze. (phy mit dpa)