Warum der neue Biodiesel HVO100 in Sachsen noch nicht richtig zündet
Vom neuen Biodiesel HVO100 versprechen sich Experten viel. In Sachsen gibt es diesen Ökosprit aber selbst fast zwei Monate nach seiner Zulassung noch immer erst an einer Handvoll Tankstellen. Doch warum läuft die Einführung so schleppend?
Chemnitz/Berlin.Seit Ende Mai darf der aus pflanzlichen Ölen oder tierischen Fetten gewonnene Biodiesel HVO100 auch in Reinform verkauft werden. Experten versprechen sich von ihm eine drastische Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen. So ist der Treibhausgas-Ausstoß bei HVO100 im Vergleich zum fossilen Diesel um bis zu 90 Prozent niedriger.
Nur fünf Tankstellen in Sachsen bieten HVO100 an
Bislang können Autofahrer den neuen Kraftstoff allerdings bundesweit erst an etwa 130 Tankstellen zapfen. Das geht aus einer Karte hervor, die der Automobilklub „Mobil in Deutschland“ erstellt hat. In Sachsen sind es demnach nur fünf Tankstellen - und zwar gibt es HVO100 lediglich bei Hoyer in Radefeld bei Leipzig und in Kesselsdorf bei Dresden, bei Engelmann in Schkeuditz sowie bei Tankpool24 an zwei Lkw-Tankanlagen in Leipzig. „Das werden jetzt aber jede Woche mehr“, sagt „Mobil in Deutschland“-Chef Michael Haberland, „zumal jetzt auch die großen Konzerne wie Aral, Shell oder Esso nachziehen wollen.“
Nachfrage wächst aber rasant
Aktuell haben nur mittelständische Tankstellenbetreiber HVO100 im Angebot. Dazu zählt auch das Berliner Unternehmen Sprint Tank, das die erste Zapfsäule in der Bundeshauptstadt auf HVO100 umrüstete. Die Nachfrage nach dem reinen Biodiesel sei enorm, so Unternehmenssprecher Benjamin Kraatz. Der HVO100-Absatz mache schon etwa zehn Prozent vom gesamten Dieselumsatz an dieser Tankstelle aus. In Berlin reisen Kunden aus bis zu 100 Kilometern Entfernung mit Kanistern an, um HVO100 zu zapfen. „Dieser Biodiesel hat viele Vorteile“, so Kraatz. „Damit kommen auch ältere Fahrzeuge besser durch die Abgasuntersuchung, weil in HVO100 weniger Schadstoffe sind als in fossilem Diesel.“ Zudem laufe das Auto ruhiger, weil HVO100 sauberer verbrenne. „Außerdem lässt sich dieser Kraftstoff mehrere Jahre lang problemlos aufbewahren, er verklebt nicht, flockt nicht aus, riecht kaum, rußt nicht.“
Es fehlen unterirdische Tanks für den neuen Biodiesel
Das Mineralölunternehmen Sprint Tank mit regionalem Schwerpunkt in Berlin, Brandenburg und Sachsen betreibt bundesweit mehr als 140 Tankstellen unter den Namen Sprint und GO. In den nächsten Wochen will es weitere sechs Standorte in Berlin und Brandenburg umrüsten, an denen der Biodiesel bislang nur mit bis zu 25 Prozent als Beimischung angeboten worden ist. „Wegen der zunehmenden Nachfrage prüfen wir derzeit aber auch, ob wir bei Dresden HVO100 an einem Standort anbieten werden“, sagt Kraatz. Ein Hemmnis bei der flächendeckenden Einführung: Es fehlen unterirdische Tanks für diesen Kraftstoff an den Tankstellen. Es müsste also viel investiert werden oder eine andere Kraftstoffsorte müsste weichen. Die meisten Sorten haben aber Bestandsschutz.
„Wir gehen aber davon aus, dass HVO100 innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre flächendeckend verfügbar sein wird, vorausgesetzt, dass die Nachfrage weiterhin steigt und die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden“, sagt Automobilklub-Chef Haberland. Auch Kraatz geht von einem sukzessiven Hochlauf aus.
Biodiesel in Deutschland deutlich teurer als Standard-Diesel - In Italien ist er dagegen günstiger
Noch ist HVO100 in Deutschland deutlich teurer als fossiler Diesel. „Weil die Herstellungskosten wegen der geringen Mengen höher sind“, erklärt Kraatz. So kostete der Liter HVO100 bei Hoyer in Leipzig am Dienstagnachmittag 1,829 Euro. Der teuerste herkömmliche Diesel wurde für 1,729 angeboten. Dennoch sei der Biodiesel für Spediteure, Logistiker oder Institutionen mit großen Flotten interessant, weil sie dadurch ihre CO2-Minderungsziele mit ihren vorhandenen Fahrzeugen erreichen können, sagt Kraatz. „Nicht alles kann auf Elektroantrieb umgestellt werden, da ist HVO100 eine gute und oft sogar kostengünstigere Alternative, zumal wir davon ausgehen, dass sich mit zunehmender Nachfrage und Produktion die Preise für Biodiesel und Standard-Diesel annähern werden.“ Der ADAC teilt diese Einschätzung, zumal eine CO2-reduzierte Lieferkette in vielen Branchen immer wichtiger wird, da können auch höhere Kosten weitergegeben werden..
Andere Länder sind da Deutschland voraus. Seit Februar 2023 verkauft der italienische Mineralölkonzern Eni zum Beispiel den Dieselkraftstoff „HVOlution“. Weil HVO dort vom Staat bezuschusst wird, ist dort dieser Kraftstoff bis zu 10 Cent günstiger als Standard-Diesel. „Der Autofahrer hat zum ersten Mal die Wahl an der Zapfsäule, ob er fossil oder klimafreundlich, also non-fossil tanken möchte“, sagt Automobilklub-Chef Haberland. Italien sei ein schönes Beispiel, wie Klimaschutz und Mobilität auf einfache Weise zu vereinen seien.
Automobilklub fordert Steuerabsenkung für HVO100
„Mobil in Deutschland“ fordert daher eine Verringerung der Energiesteuer auf HVO100, um den neuen Kraftstoff schnell zumindest zum gleichen Preis wie den fossilen Diesel anbieten zu können. Denn mit dem regenerativen Diesel würde die Welt erheblich von neuem Kohlendioxid entlastet. Zudem müsste viel weniger in den Aufbau neuer Stromlade- oder oder anderer Verteil-Infrastruktur investiert werden, da es das Tankstellennetz ja schon gebe.
Verträgt mein Auto HVO100?
Der HVO-Kraftstoff besteht aus Abfallstoffen wie Altspeiseöle oder Fettresten. Der Automobilclub ADAC weist darauf hin, dass nur Fahrzeuge mit HVO100 betankt werden sollten, die dafür freigegeben sind. Die Freigabe werde in der Regel mit dem „XTL“-Symbol im Tankdeckel gekennzeichnet. Fehlt diese, hilft ein Blick in die Bedienungsanleitung oder die Rückfrage beim Händler. Für ältere Modelle führt die Deutsche Automobil Treuhand (DAT) eine offizielle HVO100-Freigabeliste, die hier auch als PDF-Datei heruntergeladen werden kann. „Um die Akzeptanz der neuen Kraftstoffe zu erhöhen, sind die Fahrzeughersteller gefordert, verbliebene Lücken in den Freigabelisten zügig zu schließen“, fordert Elmar Kühn, Geschäftsführer des Bundesverbands Energie-Mittelstand Uniti. Die Hersteller seien nun gefordert, neue Fahrzeuge für die Verwendung von HVO100 auszulegen und ältere Modelle zu prüfen und für die Verwendung freizugeben, so auch der ADAC.
Gibt es überhaupt genug Material zur Produktion des Biodiesels?
Fachleute wie Thomas Willner, Professor für Verfahrenstechnik an der HAW Hamburg, gehen davon aus, dass die Rohstoffgewinnung zur Herstellung von HVO100 bei weitem noch nicht ausgereizt ist. Besonders Industrieländer wie Deutschland bieten ein riesiges Abfallpotenzial, das noch gehoben werde könne. Der Biodieselhersteller Neste hat um Beispiel errechnet, dass bei Nutzung sämtlicher Ressourcen bis 2040 die weltweite Produktion erneuerbarer Kraftstoffe ein Äquivalent von über 1000 Megatonnen Öl erreichen könne. Das würde in etwa 40 Prozent des weltweiten Verkehrsbedarfs decken. Zusätzlich könnte Studien zufolge allein mit dem Öl der Jatropha-Pflanze, die in tropischen und subtropischen Regionen gedeiht, der Kraftstoffbedarf der gesamten EU gedeckt werden. Neste will darüber hinaus neben Abfällen und Reststoffen weitere Rohstoffe einsetzen. „Wir untersuchen derzeit, inwieweit das Energiepotenzial von CO2-absorbierenden Algen genutzt werden kann, entwickeln neuartige Pflanzenöle aus fortschrittlichen landwirtschaftlichen Konzepten und nutzen sogar CO2 selbst als Rohstoff“, so das Unternehmen. (juerg)