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Früherer Chef der Rohstoffbehörde über Gas-Fracking: "Deutschland sollte eigene Ressourcen nutzen"

Wie viel Erdgas könnte Deutschland aus eigenen Quellen fördern? Hans-Joachim Kümpel, bis 2016 Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, hält es für möglich, dass der Anteil innerhalb weniger Jahre wieder auf 20 Prozent des Jahresbedarfs steigt. Die größte Hürde sieht er in der massiven Ablehnung des Fracking-Verfahrens, von dem Politik und Medien lange ein verzerrtes Bild gezeichnet hätten.

Freie Presse: Herr Professor Kümpel, Fracking ist in Deutschland nach wie vor umstritten - zu Recht?

Hans-Joachim Kümpel: Ich kann verstehen, dass große Teile der Bevölkerung skeptisch sind. Dass sie glauben, Fracking sei so schlimm wie Pest und Cholera zusammen. Das liegt daran, dass wir mehr als zehn Jahre lang eine sehr einseitige Berichterstattung hatten - obwohl die Fachwelt immer wieder versucht hat, sich Gehör zu verschaffen und darauf hinwies, dass alle seriösen Studien sagen: Nach unseren Standards und Genehmigungsverfahren in Deutschland gibt es keine Umweltschäden durch Fracking. Es ist absurd zu glauben, unsere Bergbehörden würden etwas genehmigen, wenn so gravierende Folgen eintreten können, wie behauptet wird. Die Fachwelt ist sich einig: Solange wir Erdgas brauchen - und das wird noch längere Zeit der Fall sein - ist es ein Schildbürgerstreich, wenn wir hier nicht unsere eigenen Ressourcen nutzen.

Freie Presse: Stattdessen will Deutschland Schiefergas aus Amerika mit Schiffen einführen.

Hans-Joachim Kümpel: Genau, das ist auch Teil des Schildbürgerstreichs. Alles Erdgas, das wir aus Übersee bekommen, hat einen sehr großen CO2-Abdruck, schadet also viel mehr dem Klima. Wir reden in den USA von Standorten mit Methan-Leckagen. Es wäre bei uns undenkbar, dass man Bohrlöcher nicht richtig verschließt.

Freie Presse: Das heißt, wir führen Erdgas ein, das mit viel mehr Umweltschäden erzeugt wurde als das, was wir hier in Deutschland selbst erzeugen könnten?

Hans-Joachim Kümpel: Ja, und hinzu kommt, dass man noch jede Menge Energie verbraucht, um das Gas erst für den Transport zu verflüssigen und dann wieder in einen Zustand zu bringen, damit es in Pipelines geleitet werden kann. Den Energieverbrauch dabei kann man ganz konservativ auf 20 bis 25 Prozent schätzen. Der würde nicht anfallen, wenn wir das Gas bei uns fördern würden.

Freie Presse: Das heißt, bei der Überfahrt geht schon mindestens ein Fünftel der Energie verloren, die wir da teuer einkaufen?

Hans-Joachim Kümpel: Genauso ist es.

Freie Presse: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, deren Präsident Sie bis 2016 waren, hat immer wieder Studien veröffentlicht, die zu dem Ergebnis kamen, dass Fracking von Schiefergas mit Umweltschutz vereinbar ist. Warum hat man das die ganze Zeit ignoriert?

Hans-Joachim Kümpel: Die Industrie hat sich hier nicht für Fracking interessiert, weil die gesellschaftliche Akzeptanz nicht da war, weil falsche Bilder im Raum standen wie die Szene aus dem Film "Gasland": der brennende Wasserhahn, der mit Fracking nichts zu tun hat. Vor diesem Hintergrund wurde 2016 ein Gesetz verabschiedet, das quasi ein Fracking-Verbot ist. Dieses Verbot und der damals niedrige Gaspreis sorgten dafür, dass das bei uns nie angegangen wurde. Wenn die Gesetzeslage bleibt, wie sie ist, wird von der Industrie auch weiter null Interesse da sein, unsere Ressourcen zu nutzen. Aber der Gaspreis, der ist inzwischen so hoch, dass es über viele Jahre wirtschaftlich wäre, bei uns zu fördern - und zwar ansehnliche Mengen über Jahrzehnte.

Freie Presse: Sehen Sie da ernsthafte Bewegung in der Politik?

Hans-Joachim Kümpel: Die Diskussion fängt an, stärker zu werden und auch diversifizierter. Man hört inzwischen ein bisschen mehr auf die Fachseite. Das ist sicher auch dem Umstand geschuldet, dass wir eine Hochpreisphase haben - und zwar nicht nur vorübergehend, sondern wahrscheinlich auf Jahre hinaus. Leute, die jetzt ihre Gas-Rechnung bekommen und die ist auf einmal doppelt oder dreifach so hoch wie bisher, stehen unter Umständen mit dem Rücken an der Wand, auch wenn sie schon sparen und die Thermostate runterstellen. Das ist besonders dann ein Grund für soziale Unzufriedenheit, wenn wir unsere eigenen Möglichkeiten nicht nutzen.

Freie Presse: Aktuell holt Deutschland nur noch sechs Prozent seines Erdgas-Bedarfs aus eigenen Quellen. Halten Sie es für vorstellbar, dass wir wieder, wie noch vor 15 Jahren, auf 20 Prozent kommen?

Hans-Joachim Kümpel: Ja. Von unserer Seite kriegen wir derzeit 5 bis 6 Milliarden Kubikmeter im Jahr. Eine Gesamtförderung von 20 Milliarden Kubikmeter wäre bei uns in wenigen Jahren realisierbar.

Freie Presse: Wie schnell genau?

Hans-Joachim Kümpel: Rein technisch ist es möglich, eine Schiefergas-Bohrung innerhalb von wenigen Monaten in Produktion zu bringen. Das heißt, wenn die Politik will und die Gesellschaft ein Einsehen hat, dann wäre es möglich, zum Winter 2023/2024 schon einige Bohrungen in Produktion zu haben und im übernächsten Winter auch in größerem Maßstab zu produzieren.

Freie Presse: Aber kann es gelingen, Menschen, die jahrelang glaubten, Fracking sei eine riesige Gefahr, vom Gegenteil zu überzeugen?

Hans-Joachim Kümpel: Gute Frage. Dass Genehmigungsprozesse beschleunigt werden können, zeigt uns ja der Ausbau der LNG-Terminals. Ein solches Terminal zu planen und umzusetzen, hätte früher sechs bis acht Jahre gedauert, jetzt funktioniert es in sechs Monaten. Also wenn man will, geht es. Die Barriere beim Fracking ist tatsächlich für viele Verantwortliche ein gewisser Gesichtsverlust. Es gibt verschiedene Politikerinnen und Politiker, die sich früher vehement gegen Fracking ausgesprochen haben und auch Argumente genutzt haben, die nicht stimmen, die darauf aber letztlich ihre Karriere begründeten. Da tut es natürlich weh, wenn jetzt auf einmal von anderer Seite kommt: Das ist alles falsch gewesen.

Freie Presse: Die Politik ist hier also letztlich auf Fake News hereingefallen?

Hans-Joachim Kümpel: Ja, aber auch die Medien muss man hier nennen. Wenn von der Wissenschaftsseite etwas gesagt wird und das wird nicht in den Medien multipliziert, dann wird es in der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen. Es war ja wirklich vergeblich, wie wir uns bemühten, unsere Sichtweise in Umlauf zu bringen, denn es war viel interessanter, über Bürgerinitiativen zu berichten. Das hat mehr Aufmerksamkeit erzeugt, das hat Empörungspotenzial gehabt - und das hat sich dann festgesetzt. Zugleich muss man auch daran erinnern, dass das auf russischer Seite Unterstützung fand - bei Gazprom bzw. bei Russia Today.

Freie Presse: Wollen Sie sagen, dass mit russischer Propaganda gezielt Fracking in Deutschland in Verruf gebracht wurde, damit wir russisches Gas kaufen?

Hans-Joachim Kümpel: Selbstverständlich. Russia Today hat immer sehr intensiv und einseitig über Fracking-Proteste bei uns berichtet. Da kann man heute noch im Internet Zitate und Berichte finden. Es war ein sehr erfolgreiches Narrativ zu behaupten, mit Fracking bricht man den Untergrund auf, dann geht da Methan nach oben ins Grundwasser und dann pumpt man noch Chemikalien in den Untergrund. Alles Humbug, alles Quatsch, aber es hat leicht verfangen. oha

Zur Person: Hans-Joachim Kümpel

Der Geophysiker, geboren 1950 in Uslar/Niedersachsen, war von 2007 bis 2016 Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Die Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fungiert als zentrale geowissenschaftliche Beratungseinrichtung der Bundesregierung. Ihr Hauptsitz befindet sich in Hannover. Kümpel lehrte als Professor im Bereich Geophysik an Hochschulen und Instituten in Bonn, Hannover und Clausthal und ist heute noch aktives Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech).

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