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NSU-Waffenkurier betont Mitleid

Carsten S.' Kreuzverhör durch die Opferanwälte ging nach vier Tagen zu Ende. Erhoffte Helfer-Spuren in andere Teile der Republik lieferte es nicht.

München.

Es müssen "heitere" Spieleabende gewesen sein, wenn die Jenaer Kameraden von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sich dem "Pogromly" hingaben. Das war jene Monopoly-Version, die das Trio entwickelt und umgetauft hatte - in Anlehnung an die Judenpogrome der Nazis. Beim Passieren des Hakenkreuz-Startfelds war laut Spielanleitung mit "Sieg Heil" zu salutieren, beim Halten auf dem Feld "Besuch beim Führer" der Hitlergruß zu entrichten. "Und es gab SA- und SS-Karten", entsann sich der Angeklagte Carsten S. gestern im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. "Bei den Bahnhöfen war irgendwas mit Dachau." Carsten S., der das Spiel, wie er sagt, nur "mal gesehen" habe, entsann sich richtig.

Statt der Bahnhöfe des Original-Monopolys verfügte die antisemitische Version über die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald, Dachau und Ravensbrück, deren Besitzkarten mit Totenkopf und zerrissener Israel-Flagge versehen waren. Anweisungs- und Ereigniskarten hielten Überraschungen parat: "Du hast auf ein Judengrab gekackt. Leider hast du dir dabei eine Infektion zugezogen. Arztkosten: 1000 Reichsmark", lautete ein Beispiel. Ziel des Spiels war, die jüdische Bevölkerung verschiedener Städte, darunter Leipzig, Chemnitz und Dresden, zur Vernichtung zu deportieren. Der Verkauf des Spiels war eine frühe Finanzquelle des Trios nach dem Abtauchen. Der Jenaer Kamerad André K. habe das Spiel verkauft, berichtete Carsten S. im Verhör durch die Opferanwälte. Deren Befragung des Angeklagten, der dem Trio die Pistole für die Mordserie übergeben haben soll, nahm vier Tage seiner siebentägigen Vernehmung ein.

Auch André K.s jüngerer Bruder Christian, über den S. in die Szene gelangt war, hatte Anteil daran, dass man das Trio nicht vergaß. "Christian hatte eine Band", erinnerte sich S. Diese sei öfter bei Szenekonzerten aufgetreten. Dass sie auch ein Lied aufs geflohene Trio geschrieben hatte, sei ihm aber erst durch die Ermittlungsakten bekannt geworden. "Die Kameradschaft bleibt bestehen, auch wenn wir uns vielleicht nicht wiedersehen" , textete das "Duo Eichenlaub" zur Melodie von Bob Dylans "Knockin' on heaven's door".

Die Fragen, mit denen die Opferanwälte S. löcherten, drehten sich um ähnliche Themen, wenngleich um unterschiedliche Regionen: Wie kam das Abtauchen des Trios in der Szene an? Wie viel wusste die Szene? Gab es weitere Unterstützer? Was wusste der sogenannte "Führer von Köln", der Neonazi Axel Reitz?, bohrten Anwälte der Kölner Bombenopfer. Gab es eine Verbindung zu Malte Redeker, Szene-Kopf in Ludwigshafen, der im Verdacht steht, im Ausland Schießtrainings zu veranstalten? Und sei da nicht eine Verbindung zum Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus in Ludwigshafen, bei dem 2008 neun Menschen starben?

Während manche dieser Fragen ins Blaue zu zielen schienen, fragte Anwalt Andreas Thiel, der die Familie des 2001 in Hamburg erschossenen Opfers Süleyman Tasköprü vertritt, gezielt nach Hamburger Verbindungen. Nicht ohne Grund, denn es gibt inzwischen behördlich bestätigte Hinweise, dass drei Neonazis, die der Waffengewalt propagierenden Gruppe "Combat 18" aus Pinneberg nahe Hamburg angehörten, vor einem der NSU-Morde nach Zwickau fuhren.

Von solchen Auswärtsverbindungen will Carsten S. indes nichts gewusst haben. Er beendete sein Verhör gestern mit einer emotionalen Erklärung: "Ich kann nicht ermessen, was Ihren Angehörigen für unglaubliches Leid und Unrecht angetan wurde. Mir fehlen die Worte zu beschreiben, was ich empfinde ... Eine Entschuldigung wäre zu wenig. Das klingt wie ein Sorry und dann ist es vorbei. Aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte Ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken."

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