DDR-Häftlinge zu Zwangsarbeit für Ikea gezwungen: So reagieren Opfer auf das Entschädigungsangebot der Schweden
Auch für das schwedische Möbelhaus Ikea hatten Häftlinge in der DDR schwer schuften müssen. Jetzt will Ikea Entschädigungen zahlen. Das fordern und wünschen sich die Opfer nun.
Hoheneck/Chemnitz/Berlin.Mike Mutterlose ist Opfer des DDR-Regimes. Nach einem Fluchtversuch saß er in Chemnitz ein, wurde schließlich von der Bundesrepublik freigekauft. Als Vorsitzende des Opferverbands „Vereinigung 17. Juni“ begrüßt er die von Ikea angekündigte Entschädigungszahlung. Zugleich fordert er aber, die vorgesehene Bedürftigkeitsprüfung zu streichen. Mike Mutterlose: „Die Bedürftigkeitsprüfung ist eine zu hohe Hürde, weil sie den Kreis der Berechtigten ungerechtfertigt verengt. Hier würde der Verdacht auftreten, an den politischen Opfern der DDR erneut sparen zu wollen.“
Das Geld müsse fair und transparent an die nachweislich Betroffenen verteilt werden. „Die Kriterien für den Erhalt von Entschädigung müssen klar definiert und nachvollziehbar sein, um eine ungerechtfertigte Ausschließung von Haftzwangsarbeitern der Diktatur sicherzustellen.“
Opferverband: Klare Zweckbindung der Gelder nötig
Die Vereinigung 17. Juni empfiehlt Ikea daher, Zahlungen erst nach dem Abschluss eines entsprechenden Vertrages mit der Deutschen Regierung zu leisten. „In diesem Vertrag muss unzweifelhaft der Empfängerkreis dieser Entschädigungszahlung benannt werden: Die ehemaligen aus politischen Gründen verurteilten Haftzwangsarbeiter in der DDR-Diktatur.“ Außerdem dürfe das Geld nicht an Organisationen weitergeleitet werden, die generell mit anderen Entschädigungsleistungen befasst seien, so Mutterlose. „Diese Gelder müssen ausnahmslos der vorgesehenen Bestimmung zugeführt werden.“ Die „Stiftung für ehemalige politische Häftlinge des SED-Regimes“ in Bonn käme für die Verteilung infrage.
Zwangsarbeit war für die DDR ein einträgliches Geschäft
Häftlinge zur Zwangsarbeit für West-Firmen heranzuziehen, war für das DDR-Regime ein einträgliches Geschäft. Viele Betriebe forderten die Strafgefangenen als Billiglöhner von der SED-Führung extra an. Unter Dreck, Hitze und Dämpfen mussten sie dann schwer schuften - in Tagebauen, Stahlwerken, Textilfirmen. Die Arbeitsbedingungen seien so miserabel gewesen, dass für diese Tätigkeiten keine anderen Kräfte gefunden wurden, heißt es in einer Studie zur Zwangsarbeit in der DDR, die die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) schon 2014 in Auftrag gegeben und veröffentlicht hatte. Von der Häftlings-Produktion in Hoheneck, Cottbus oder Bautzen habe auch die Bundesrepublik profitiert, sie habe viele Produkte ohne Prüfung bezogen, obwohl es genügend Verdachtsmomente gegeben habe, schreibt der Historiker Christian Sachse in dieser Untersuchung.
Nach Angaben des Historikers Tobias Wunschik haben insgesamt etwa 6000 Firmen wie Siemens, Ikea, C & A, Hertie und viele andere in der Bundesrepublik von der preiswerten Häftlingsarbeit aus der DDR profitiert. So produzierten die Gefangenen in der DDR unter anderem auch Bettwäsche, Werkzeugkästen, Strumpfhosen oder Kerzen, die von westdeutschen Handelsketten als „Hausmarke“ verkauft wurden.
Bei Aldi wurden die Strumpfhosen aus dem Osten unter dem Namen Sayonara und Iris verkauft. Auch Woolworth, Karstadt, Hertie, Neckermann und Quelle verkauften Strumpfhosen und Bettwäsche aus dem DDR-Knast. Dazu kamen Kameras, Schuhe, Kassetten, Möbel, Kleidung, Küchenherde, Fernseher. Forscher Wunschik, der für die Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitet, schätzt, dass in den 80er-Jahren mindestens 200 Millionen D-Mark (heute umgerechnet etwa 100 Millionen Euro) mit Waren umgesetzt wurden, die allein auf der Arbeit von Häftlingen beruhten - pro Jahr. Oft hätten die Gefangenen nicht gewusst, was ablief, so der Historiker.
Ikea-Vertreter vertuschten Herkunft der Möbel mit
Der schwedische Möbelkonzern Ikea, für den auch DDR-Häftlinge Sofas herstellten, habe sich kaum anders verhalten als westdeutsche Firmen, die mit der SED-Diktatur Handel betrieben, heißt es in der Studie weiter. Demnach war die Ost-Berliner Ikea-Vertretung durchsetzt mit Stasi-Mitarbeitern. Diese sollten mit vertuschen, woher die preiswerten Möbel kamen.
Unternehmen rein rechtlich nicht zu Entschädigung verpflichtet
Ikea selbst hatte 2012 unter öffentlichem Druck eingeräumt, seit den 80er-Jahren gewusst zu haben, dass politische Häftlinge für deren Möbelproduktion in der DDR eingesetzt wurden. Nun will das schwedische Möbelhaus sich an einem geplanten Härtefallfonds für Opfer der SED-Diktatur mit sechs Millionen Euro beteiligen. Das geht aus einer Absichtserklärung hervor, die Vertreter von Ikea-Deutschland kürzlich der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, übergeben haben.
Allein mit den IKEA-Millionen können nach deren Berechnungen rund 2000 Betroffene finanziell unterstützt werden. Zupke und der UOKG-Vorsitzende Dieter Dombrowski hoffen nun, dass sich auch deutsche Firmen am Härtefallfonds beteiligen. Denn eine Verpflichtung im rechtlichen Sinne, die DDR-Häftlinge zu entschädigen, gibt es für diese Unternehmen nicht.
Folgt Aldi dem Beispiel aus Schweden?
Dass zum Beispiel Aldi nun dem Vorbild des schwedischen Konzerns folgt, gilt aber als unwahrscheinlich - obwohl schon seit 2013 bekannt ist, dass Produkte des Discounters auch in dem besonders berüchtigten DDR-Frauengefängnis Hoheneck hergestellt wurden. „Aufgrund des großen zeitlichen Abstands zu den Vorkommnissen könnten die Details jedoch nicht mehr in dem Umfang aufbereitet werden, der für eine abschließende Bewertung einer Entschädigungslösung nötig wäre“, begründet Aldi seine ablehnende Haltung.
Bundestag muss Fonds noch beschließen
Die Einrichtung des Härtefallfonds, in den Ikea nun die sechs Millionen Euro einzahlen will, geht auf einen Gesetzentwurf zurück, den der Bundestag noch beschließen muss. Er sieht unter anderem vor, dass der Bund sich mit einem Volumen von einer Million Euro beteiligt - und eine Bedürftigkeitsprüfung. Opferrenten für frühere DDR-Häftlinge und beruflich Verfolgte sollen zudem künftig einmal jährlich automatisch angehoben werden. Zudem sollen Menschen, die nach Abriegelung der innerdeutschen Grenze zwangsweise aus dem Grenzgebiet ins Landesinnere der DDR umgesiedelt wurden, dafür einmalig mit 1500 Euro entschädigt werden. ( juerg/dpa)