„Leser helfen“: Wie ein früherer Polizist blinden Menschen das Reisen enorm erleichtert
Johannes Grodde fährt mit weiteren Helfern die Busse der „Villa Rochsburg“. Damit können viele Sehbehinderte die Angebote des Hauses überhaupt erst nutzen. Doch die Busse sind alt, Ersatz ist nötig.
Mittelsachsen.In wenigen Minuten wird Johannes Grodde wieder den Zündschlüssel im Schloss des Renault Master, Baujahr 2011, drehen. Doch einige Minuten bleiben dem Mitarbeiter der Aura-Pension „Villa Rochsburg“ noch für einen Kaffee und ein kurzes Gespräch. „Mir gefällt meine Arbeit. Die Hilfe ist mir wichtig“, sagt der 73-Jährige. Er engagiert sich für Menschen mit Blindheit und Seheinschränkung, die Gäste der „Villa Rochsburg“. Das Haus im Lunzenauer Ortsteil ist Begegnungs- und Weiterbildungsstätte, bietet zum Beispiel Kurse zur Bewältigung des Alltags, Urlaubs- und Freizeitangebote für Betroffene. Um Gäste von umliegenden Bahnhöfen oder von daheim abzuholen, stehen zwei Busse zur Verfügung. Sie dienen auch für Ausflüge.
„Am vergangenen Wochenende waren wir zum Beispiel zu einem Ausflug an der Preßnitztalbahn“, berichtet Johannes Grodde und zeigt ein Foto mit der dampfenden Bahn vor blauem Himmel. Zu den Aufgaben des Penigers gehört es, die Busse zu fahren. „Wir sind zwei Männer und vier Frauen, die das machen“, berichtet Grodde, der früher Polizist war. Mit Gepäck und Blindenführhunden ist für höchstens für fünf Gäste Platz, sonst mit Fahrer für neun Personen. Grodde: „Die weiteste Fahrt hat mich einmal nach Görlitz geführt. Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück.“
223.000 Kilometer auf der Anzeige
Die Fahrzeuge - neben dem Renault noch ein Opel Vivaro - haben allerdings jeweils schon über 200.000 Kilometer hinter sich. Grodde: „Es klappert an allen Ecken und Enden.“ Kupplung und Bremsen mussten schon repariert werden, auch einen Platten gab es. Ersatz ist nötig, doch für ein Neufahrzeug rechnet das Team der Villa mit etwa 40.000 Euro. Für die Einrichtung des Blinden- und Sehbehindertenverbands Sachsen allein kaum zu stemmen. Für Hilfe aus der „Freie Presse“-Aktion „Leser helfen“ wäre das Haus sehr dankbar.
Nun geht es aber los, Johannes Grodde und Praktikantin Angelina-Christin steigen an der Villa in den Renault, 13.39 Uhr rollt er. Über Lunzenau und Obergräfenhain ist Narsdorf in weniger als 15 Minuten erreicht, etwas holprig ist es. Die Helfer sprechen nochmals über das Fahrzeug. Stichwort Klimaanlage: Im Sommer braucht es lange, bis es im Auto kühl wird, bestätigen sie. „Und im Winter wäre eine Standheizung nicht schlecht. Die Busse stehen immer draußen“, so Grodde.
Gast der Villa: „In Narsdorf wüsste ich nicht, wie ich weiterkomme.“
Kurz nach 14 Uhr rollt der RE 6 nach Chemnitz auf dem Gleis ein. Diesmal werden zwei Gäste von den Helfern am Zug abgeholt und zum Bus begleitet. Viele Gäste der Pension nutzen den Service, sagt Johannes Grodde. Eine Viertelstunde Fahrtzeit - das ist ein großer Vorteil zur öffentlichen Busverbindung. Laut Fahrplan könnten die Gäste auch 14.06 Uhr in die 661 einsteigen und in Lunzenau nach etwa einer halben Stunde Warten in die 629. Die Haltestelle „Blindenheim“ in Rochsburg wäre erst 14.58 Uhr erreicht.
Nun werden die Koffer verstaut, und die zwei nehmen Platz. Christina (61) aus Berlin, die noch ein wenig sehen kann, hat gute Laune. Die Einrichtung kenne sie schon aus DDR-Zeiten, als diese Kurheim war. Aktuell nimmt sie das Angebot „Single-Tage“ in der Villa wahr, war zum Beispiel auch schon zu Himmelfahrt hier, bei Wanderwochen und hat an einem Ausflug mit dem Bus nach Schloss Moritzburg teilgenommen. „Hier ist für jeden was dabei. Und die Villa ist gut zu erreichen“, sagt sie.
Nach wenigen Minuten Rückfahrt ist der Bus wieder in Rochsburg. Die Gäste beziehen ihre Zimmer. Kurze Zeit später sitzt auch der zweite Fahrgast, Roland Richter aus Berlin-Steglitz, im Speiseraum. Der blinde 75-Jährige hat früher als Angestellter im Schreibdienst gearbeitet, er bleibt über die Festtage im Haus. Krimiwoche, Ostern und weit mehr - auch er hat schon viel im Haus genutzt und schätzt den Busservice. „In Narsdorf wüsste ich nicht, wie ich weiterkomme.“
„Busfahrer“ Johannes Grodde ist derweil schon wieder im Haus unterwegs. Bald wird er wieder den Zündschlüssel drehen. „Manchmal fahren wir drei Mal in der Woche“, hat er zuvor berichtet. (fmu)
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