Vom Fitnessclip rüber zu den Vitamin-Boostern oder zum hippen Sport-Shirt in nur wenigen Klicks: Das macht der neue Shop in der deutschen TikTok-App jetzt möglich. Die einen sehen darin schon eine Revolution für den gesamten Online-Handel. Andere warnen hingegen vor den Gefahren gerade für junge Nutzer.
TikTok hat diese Woche eine Shop-Funktion in seiner Social-Media-App in Deutschland gestartet. Mit diesem neuen Feature können jetzt innerhalb der App Produkte direkt aus Videos oder Livestreams gekauft werden, etwa auch von Influencern und Content-Creatoren, ohne TikTok zu verlassen. Ein Klick - und das neue T-Shirt oder der neue Lippenstift ist gekauft. Der gesamte Kaufprozess ist in die App integriert, die Zahlungsdaten sind hinterlegt, eine Verlinkung zum Shop des Anbieters ist anders als bei Instagram oder Facebook nicht nötig. Zuvor hatten Produkte, die Influencer in ihren Videos beworben hatten, noch in anderen Shops bestellt werden mussten. Nutzer mussten also einen Link anklicken, durch den sie auf eine andere Verkaufsplattform geleitet wurden. Das alles entfällt jetzt.
Expertin: TikTok lädt zu einem Einkaufsbummel ein
„TikTok kann den Onlinehandel revolutionieren“, sagt die E-Commerce-Expertin Karolin Junker de Neui von der Digitalberatung Etribes. Die Onlineshops von Amazon & Co. seien für Kunden häufig wenig inspirierend und deckten lediglich die Bedarfe. „Bei TikTok ist das anders. Dort werden mir Produkte auf Basis meines Nutzungsverhaltens vorgeschlagen. Das ist wie bei einem Einkaufsbummel. Ich muss nicht suchen, ich werde auf Dinge gestoßen, von denen ich vorher noch gar nicht wusste, dass ich sie brauche.“
Wird TikTok zum Gamechanger im Online-Handel?
„So nahtlos war der Weg zum Kaufabschluss noch nie“, sagt auch der Zukunftsforscher Hartwin Maas. Die Benutzerfreundlichkeit des TikTok-Shops sei kaum zu übertreffen. De Neui spricht von einem möglichen Gamechanger für den Online-Handel. Bereits heute entdecken 67 Prozent der Nutzer Produkte und Marken auf TikTok. Max Burianek, der für den deutschen TikTok-Shop verantwortlich ist, sagt: „Der Shop führt das jetzt zu einem nahtlosen Erlebnis zusammen.“
App nutzen Millionen Deutsche regelmäßig
TikTok ist eine der größten Social-Media-Plattformen der Welt und gehört dem Konzern Bytedance, der seine Zentrale in China hat. 24,2 Millionen monatliche Nutzer hatte diese App nach eigenen Angaben in Deutschland zuletzt. Bei den sozialen Netzwerken belegt die Plattform hierzulande den vierten Rang hinter Whatsapp, Instagram und Facebook. In keinem anderen Portal verbringen die Menschen so viel Zeit - im Schnitt knapp 35 Stunden im Monat. „So bleibt viel Zeit, um die Menschen zu bespielen und Kaufanreize zu schaffen“, sagt Ralf Deckers vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH).


About You und Nivea schon sofort mit dabei
In Deutschland können erst wenige Marken via TikTok eingekauft werden. Dazu zählen zum Beispiel About You und Nivea. In anderen Ländern wie zum Beispiel in den USA und Großbritannien kann bereits seit längerem in der App geshoppt werden, in Irland und Spanien seit Ende 2024. In Großbritannien ist der Shop 2021 gestartet. Dort hat selbst der Discounter Lidl schon erste Testverkäufe über Videos gestartet. Statistiken des Marktforschers NIQ zeigen: Mit einem Marktanteil von 4,7 Prozent war TikTok im vierten Quartal 2024 schon der drittgrößte Onlinehändler. Die stärksten Kategorien sind Beauty, Bekleidung und Haushaltsprodukte.
Neue Konkurrenz für Amazon
Handelsexperte Deckers rechnet damit, dass TikTok auch in Deutschland andere Online-Plattformen wie Amazon Marktanteile kosten wird. „Amazon ist der absolute Platzhirsch und wird so schnell nicht vom Thron gestoßen werden“, sagt er. Deckers geht aber davon aus, dass die etablierten Onlineportale - ähnlich wie zuletzt bei Temu - sich von TikTok inspirieren lassen und etwa Elemente des Live-Shoppings übernehmen. Zugleich dürfte TikTok auch den kriselnden stationären Handel unter Zugzwang setzen. Denn repräsentativen Umfragen zufolge wollen die Kunden in diesem Jahr noch häufiger online einkaufen und seltener im Geschäft als 2024.
Experten: App verführt zu Impulskäufen
Bei TikTok entscheidet ein Algorithmus, welche Videos die Nutzer angezeigt bekommen. Die App lernt dann, welche Clips sich jemand angesehen hat, um ihm ähnliche weitere Beiträge anzubieten. TikTok gewinnt dadurch sehr viele Infos über die Interessen der User. In Kombination mit dem neuen Shopping-Feature birgt das aber laut Experrten eine Menge Gefahren gerade für junge Nutzerinnen und Nutzer, auf die der Shop abzielt. Zwar hat TikTok Schutzmechanismen wie Altersbeschränkungen eingeführt – dennoch warnen Fachleute wie Digital-Experte und Journalist Jörg Schieb: Auch Minderjährige könnten Wege finden, Zahlungsmethoden in der App zu hinterlegen. Die Folge: Kinder und Jugendliche könnten leichter zum Kauf verführt werden.
Oft wird in den Clips auf TikTok der Eindruck von Knappheit erweckt. „Renn!“, hört man nämlich oft auf dieser Plattform, wenn es um Produkte geht. Durch Countdowns und Rabattaktionen sollen Nutzern suggeriert werden, dass sie etwas verpassen könnten. Experten warnen: Hier wird bewusst mit der natürlichen Angst vor Verlusten gespielt. Junge Menschen sollen dadurch zu Impulskäufen verleitet werden. Besonders kritisch: Viele Produkte können inzwischen über „Buy now, pay later“-Dienste gekauft werden. Also jetzt kaufen, später zahlen. Das gilt auch für den TikTok-Shop.
Laut Bundesbehörde für Datenschutz und Informationsfreiheit ist die TikTok-App datenschutzrechtlich mehrfach negativ aufgefallen. Die Altersgrenze von 13 Jahren etwa könne von Kindern leicht umgangen werden. Forscherinnen der Ludwig-Maximilians-Universität München fanden heraus: Mehr als 60 Prozent der minderjährigen TikTok-Nutzer sind auf der Plattform regelmäßig auf Inhalte gestoßen, die bei ihnen Unwohlsein verursachen. Mehr als die Hälfte berichtete von Videos, in denen andere absichtlich verletzt werden.
Das raten Experten Eltern
Experten raten: Eltern sollten daher genau hinschauen, wie ihre Kinder die App nutzen. Offene Gespräche über die neue Funktion könnten helfen, das Bewusstsein für Risiken und Impulskäufe zu schärfen. Außerdem sollten automatische Zahlungsmöglichkeiten auf dem Smartphone deaktiviert werden. Zukunftsforscher Maas empfiehlt, dem Verzicht einen positiven Rahmen zu geben: „Beispielsweise, wenn ich das nicht kaufe, kann ich auf etwas Wichtigeres hin sparen.“
Der Weg an die Spitze unter den Online-Verkaufsplattformen in Deutschland wird für TikTok allerdings ein steiniger und langer sein. Eine aktuelle repräsentative YouGov-Befragung unter 3.000 Menschen ab 18 Jahren zeigt: Nur 4 Prozent der Menschen hierzulande, die TikTok kennen, können sich vorstellen, in dem neuen Onlineshop einzukaufen. Die App ist demnach nur bei Menschen unter 25 Jahren besonders populär. 72 Prozent der Befragten halten sie zudem „eher“ oder „voll und ganz“ für Zeitverschwendung. Bei Personen unter 25 Jahren liegt dieser Anteil sogar noch geringfügig darüber. Experte Deckers sieht darin eine Wachstumsbarriere für den Shop: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass mittelalte und ältere Menschen künftig massenhaft bei TikTok kaufen werden.“ (juerg/dpa)