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Keine Panik: Nicht der Untergang droht
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Mit einer Gewissensfrage möchte ich dieses Thema nicht gerade verknüpfen, dafür ist es mir dann doch nicht wichtig genug, aber ich kann einfach in diesen Tagen, an denen mich viele Leser deswegen anrufen oder mir ihre Meinung dazu schriftlich mitteilen, auch nicht so tun, als würde mich das Ganze nichts angehen. Also stelle ich diese Frage als solche einfach mal in diesen großen Raum, den wir so gerne mit unserem Denken auszuloten versuchen, um Grenzen abzustecken, die uns gewährleisten, nicht ins Uferlose abzudriften: Darf man sich seines Lebens freuen, ohne sich dabei vom Streik der Lokführer beeinflussen zu lassen? Am Telefon vertrete ich diese These: Niemand kann sich diesem Thema entziehen, jeder bildet sich eine Meinung, weil alle mehr oder weniger davon betroffen sind; wer auf das Fahren mit der Bahn angewiesen ist, kommt ebenso an einer Bewertung des Ausstands nicht vorbei wie diejenigen, die an den Folgen leiden wie an verstopften Straßen in den Morgen- und Abendstunden, überfüllten Busse oder beispielsweise den Arbeitseinsätzen für Kollegen, die es an manchen Tagen viel zu spät oder sogar gar nicht in die Firma schaffen. Darüber hinaus unterstelle ich jedem Zeitgenossen, der sich auch nur ansatzweise mit Funktionieren unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens auseinandersetzt, dass er in diesen Wochen über die Rolle von kleineren und größeren Gewerkschaften und ihren Einfluss auf den sozialen Frieden in unserem Land nachdenkt. Also bringe ich es auf den Punkt: Der Streik der Lokführer geht uns alle etwas an. Und stelle ich die Frage erneut: Dürfen wir zu lassen, dass wir unsere Lebensqualität in Gefahr sehen?
Bevor darüber spekuliert wird, dies ist meine persönliche Situation: Ich bin Pendler und fahre seit elf Jahren jeden Tag von Mittweida nach Chemnitz und wieder zurück mit der Bahn. Wie bei den acht vorangegangenen Streiks habe ich auch jetzt wieder zwei Alternativen: Ich fahre mit dem Auto, was meine grüne Seele nur schwer verkraftet und was meine Nerven erst recht angreift, weil ich durchschnittlich an drei Stellen mich in lange Schlangen von Blechkarossen einreihen muss. Die zweite Möglichkeit: Ich fahre mit dem Fahrrad, was mir trotz der 28 Kilometer (eine Strecke) und rund 350 Höhenmetern körperlich nicht schwer fällt, doch nicht wirklich eine Freude ist und Spaß macht, weil ich mehr als die Hälfte des Weges über viel befahrene Hauptstraßen fahren muss. Die Entscheidung, ob Auto oder Rad, treffe ich morgens beim Studium des Wetterberichts: Bei einer Regenwahrscheinlichkeit von mehr als 70 Prozent am Vormittag und in den Abendstunden fahre ich mit dem Auto. Ich gebe zu: Ganz frei von Anflügen von Ärger wegen des Streiks bin ich nicht.
Nun eine Auswahl von Leserreaktionen:
"Man sollte die Verantwortlichen auf beiden Seiten mindestens einen Monat lang dazu zwingen, auf ihre Dienstwagen und auch auf private Fahrzeuge und Mietautos verzichten zu müssen, damit sie während dieser Zeit ohne Ausnahme auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind", meinte eine Leserin und fügte hinzu: "Sie werden sehen, wie schnell sich die Bereitschaft erhöhen würde, solche Streiks so schnell wie möglich zu beenden."
Ein Leser meinte: "Die Stimmungsmache der Wirtschaft, vieler Politiker und bestimmter Medien gegen den Streik der Lokführer bzw. gegen die Gewerkschaft ist schlimm. Nicht die GDL nimmt die Passagere der Bahn in Geiselhaft, sondern die genannten missbrauchen diese, um gegen den Streik und gegen die Gewerkschaft Stimmung zu machen. heute geht es gegen den Streik der Lokführer und morgen gegen Streiks der Lehrer, Krankenpfleger und Hortnerinnen. Auch hier findet man schnell betroffen, die man für entsprechende Kampagnen nutzen kann."
"Was sich der Gewerkschaftschef herausnimmt, ist eine bodenlose Frechheit", schrieb mir eine Leserin, weiter heißt es in dem Brief: "Er denkt nur an seine Belange und spielt seine Macht aus und denkt dabei nicht an die vielen Pendler, bei denen ein Arbeitsplatz daran hängt oder die Leute, die in ihrem ihren Urlaub starten wollen."
Auch diese Meinung hat mich per Mail erreicht: "Die Stimmungsmache gegen Gewerkschaften, die dieser Tage mit Weselsky identifiziert werden, zeigt Wirkung. Einen Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, wie er in der Marktwirtschaft objektiv angelegt und an sich anerkannt ist, scheint es für große Teile der Arbeitnehmerschaft nicht mehr zu geben. Weselsky gibt das Feindbild für eine Klientel, der ebenso an ihren Arbeitnehmerinteressen gelegen sein muss. Es wird entsolidarisiert am Ast gesägt, auf dem die meisten selbst sitzen. Weselsky läßt streiken, so die Schlagzeilen. Er allein diktiert ohne gewerkschaftliche Abstimmungen? Die wenigsten scheinen zu merken, worum es geht. Es wird manchem einfallen, wenn das Grundrecht weiter beschnitten ist und gewerkschaftliche Forderungen bestenfalls erbettelt werden können, wenn immer größere Teile überhaupt keine Chance haben ihre eignen Forderungen zu erheben."
Bei den Gesprächen am Telefon habe ich den Anrufern abschließend dies gesagt: "Ärgern geht in Ordnung, sich genervt fühlen ist auch kein Problem, aber wer wegen des Streiks der Lokführer so tut und sich entsprechend (vor allem öffentlich) äußert, als ob er das Fundament für die Sicherung seiner Lebensfreude in Gefahr sieht, sollte meiner Ansicht nach darüber nachdenken, ob er es richtig verankert hat. Bleiben wir mit unserem emotionalen Engagement auf dem Teppich und tun bitte nicht so, als würde der Ausfall von Zügen eine Vorstufe der Apokalypse sein."
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