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Ein Abgrund, der Dino und was fürs Ohr
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Häufig sind die Leser, die mich zwischen zehn und zwölf anrufen, verärgert und wollen sich beschweren, weil sie etwas in der Zeitung gelesen oder gesehen haben, dass ihnen nicht gefällt; manchmal aber ist es umgekehrt, und sie kritisieren, dass etwas fehlt, worüber ihrer Ansicht nach unbedingt hätte berichtet werden müssen. Mit einem solchen Fall beginnen heute meine Randnotizen aus den Protokollen meiner Gespräche mit Lesern, während sie damit enden, dass ich mit einem guten Gefühl ins Wochenende starten kann.
Episode 1: Eher selten habe ich das Gefühl, vor einem Abgrund menschlicher Kuriositäten zu stehen und in die Tiefe zu blicken, aber heute war es mal wieder soweit: "Ich habe mich darüber geärgert, dass Sie ausführlich und an mehreren Tagen über den G7-Gipfel berichtet haben, aber dass kein einziger Artikel und nicht einmal eine Nachricht über die Bilderberger-Konferenz in der Zeitung stand", beklagte sich ein Anrufer bei mir. Die Unterhaltung war jedoch schon nach weniger als einer Minute zu Ende, weil mir zwei Fehler unterliefen. Der erste war diese Frage: "Tut mir leid, davon habe ich noch nie etwas gehört, können Sie kurz erklären, worum es sich bei dieser Tagen handelt?" Auch der zweite Fehler war eine Frage, nachdem der Mann in der Leitung seinen Unmut wegen meiner Unwissenheit - hörbar tief einatmend - zum Ausdruck gebracht hatte, und sie lautete: "Sie haben Ihren Namen nichts gesagt, würden Sie sich bitte kurz vorstellen?" Nachdem der Anrufer daraufhin aufgelegt hatte, hätte ich besser zur Tagesordnung übergehen sollen, was ich aber nicht tat, sondern ich habe "Bilderberger-Konferenz" in die Suchmaschine eingegeben, mit dieser Konsequenz: Der erste Treffer verwies auf eine Seite mit Verschwörungstheorien, während der zweite auf den Eintrag bei Wikipedia hinwies; diesen habe ich angeklickt und mit dem Lesen begonnen. Was größer war, weiß ich nicht, meine Verwunderung oder meine Beklemmung, es war ein Gefühl, als würde ich in die Tiefe blicken.
Episode 2: "Ich möchte Sie gerne um einen Gefallen bitten", meinte ein Anrufer zu Beginn des Gesprächs und fügte hinzu, nachdem ich ihn dazu aufgefordert hatte: "Ich schicke Ihnen ein kleines Päckchen zu und würde mich freuen, wenn Sie das für mich weiterleiten." Das erwies sich, nachdem ich zugestimmt hatte, leichter als getan. Der Reihe nach: Der Leser bezog sich auf den Artikel "Hahn zu laut: Tierpark errichtet Schallschutzwand" in der Chemnitzer Lokalausgabe der "Freien Presse". Weil der Anwohner, der sich wegen des Krähens des Zwerg-Cochin-Hahns beschwert hatte, woraufhin jetzt der Schallschutz aufgestellt worden ist, anonym bleiben wollte, soll ich das Päckchen der Kollegin geben, die den Artikel geschrieben hat, damit sie es dann dem zuvor um den Schlaf gebrachten Mann aushändigen oder schicken kann, wenn sie ihn das nächste Mal sieht oder seine Adresse hat. "Ganz schön kompliziert, aber ich werde mir große Mühe geben, Ihren Wunsch zu erfüllen", habe ich dem Leser gesagt und dann noch gefragt, ob er mir nicht verraten möchte, was in dem kleinen Paket drin ist. "Kein Problem", meinte der Anrufer und sagte nur noch ein Wort: "Ohropax."
Episode 3: Gestern wollte ein Leser in der Leitung dies von mir wissen: "Waren die Dinosaurier nicht Pflanzenfresser?" Zuerst habe ich vermutet, der Mann wolle mit mir über "Jurassic World" und den neuen Rekord sprechen, den dieser Streifen mit einem Einspielergebnis von mehr als 500 Millionen Dollar am Startwochenende erzielt hatte, doch war ich mit nicht ganz sicher, ob dies eine Fangfrage war und der Anrufer von einem Hintergedanken motiviert mich sprechen wollte. Meine Vorahnung war berechtigt, denn als nächstes wies er mich darauf hin: "Bitte schauen Sie sich mal die Karikatur auf der Seite Kommentar & Hintergrund von gestern an, und dann informieren Sie bitte den Zeichner, dass seine Idee, Russland und seinen Präsidenten mit dem Putinassic-Park zu verunglimpfen, nicht aufgeht, weil das Tier nicht auf Fleisch und damit auch nicht auf Menschen steht. Dumm gelaufen, würde ich sagen." Doch es kam anders, als er sich das Ende unserer Unterhaltung vorgestellt hatte. Weil während meiner Jugendzeit die Rockband "T. Rex" zu meinen musikalischen Idolen gehörte, war ich mir ziemlich sicher, was ich mir innerhalb weniger Sekunden mithilfe der Suchmaschine und dem Eintrag bei Wikipedia dann auch bestätigen ließ, dass ich Recht hatte: "Tyrannosaurus Rex - eindeutig ein fleischfressender Dinosaurier." Zuerst hörte ich ein "Wie?, dann ein "Echt?", bevor sich der Mann mit "nichts für ungut" verabschiedete.
Episode 4: "Ich würde Ihnen gern etwas zur Seite Leserforum sagen", sagte eine Anruferin und fügte eine Frage hinzu: "Weil ich aber nicht besonders gut darin bin, geistreiche Sätze zu zitieren, möchte ich gern einen großen Mann der deutschen Geschichte zitieren, geht das in Ordnung?" Natürlich hatte ich nichts dagegen, weshalb ich dann diesen Satz hörte: "Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.? Die Frau in der Leitung schwieg, und zwar so lange, bis ich mich veranlasst sah zu fragen: "Und? Wer hat das gesagt?" Weil ich das Angebot, drei Mal raten zu dürfen, nicht annehmen wollte, verriet sie mir die Antwort: "Konrad Adenauer, und Sie wissen schon, wer das war, oder nicht?" Nun musste ich mich schnell entscheiden, wie ich auf diese etwas respektlos Frage antworten soll, ich wählte diese Feststellung: "Ich kann mich sogar an die Fernsehübertragung seiner Beerdigung erinnern." Auf alles war ich gefasst, nur nicht auf diesen Hinweis, mit dem die Frau in der Leitung mich sprachlos machte: "So alt sehen Sie auf dem Foto in der Zeitung aber gar nicht aus."
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