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Schweigen ist keine Alternative
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Vor zwei Tagen hatte ich die Entscheidung getroffen, diesen Blog vorerst einzustellen und mich heute von denen zu verabschieden, die ihn in der Vergangenheit mehr oder weniger regelmäßig gelesen haben. Auch den Grund wollte ich nicht für mich behalten: Angesichts der Negativität und des vordergründigen Misstrauens, die mir seit Monaten bei den Gesprächen zwischen zehn und zwölf entgegen schlagen, konnte ich es nicht mehr vor mir selbst verantworten, an dieser Stelle so zu tun, als wäre das nicht so und alles irgendwie normal und ganz gut auszuhalten. Anders formuliert: Launige Texte zu schreiben, während die meisten Anrufern nur schimpfen und Dampf ablassen wollen, schien mir nicht weiter angebracht. Ich habe diesen Entschluss revidiert. Auch hier will ich dazu stehen, was mich bewogen hat, meine Meinung zu ändern: Zu schweigen ist keine Alternative, für mich wird es das niemals sein. Daran habe ich mich erinnert und mich deshalb dazu entschlossen, weiter einen Blog zu schreiben, allerdings mit einem neuen Konzept: Bis auf weiteres werde ich immer nur von einem Gespräch mit einem Leser berichten, bei dem es um ein Thema ging, das mir ganz persönlich wichtig ist und dessen Relevanz ich für so groß halte, um es als möglichen Denkanstoß weiterzugeben. Und ich werde versuchen, die Einträge so in Worte zu fassen, dass es keine weiteren Erklärungen bedarf, warum ich gerade diese Unterhaltung ausgewählt habe. Dies ist der erste Eintrag:
Zu den Berichten und Kommentaren über den Eurovision Song Contest am vergangenen Wochenende gab es bei mir nur eine Reaktion. Ein Leser hatte sich an mich gewandt, weil er in der Zeitung gelesen hatte, dass es in dem Lied "1944", mit dem die ukrainische Sängerin Jamala den Gesangswettstreit gewonnen hatte, um die Vertreibung der Krimtataren vor 72 Jahren ging. Der Mann hatte sich die Übertragung aus Stockholm am Samstagabend nicht angeschaut, weil ihn diese Art der Unterhaltung nicht interessiert. Den Siegertitel hat er auch noch nicht gehört, vor allem wohl deshalb, wie er meinte, weil der Radiosender, der in seiner Wohnung fest eingestellt ist, solche Musik eher nicht in das Programm aufnehme. Meine Nummer gewählt hatte er aus einem ganz anderen Grund: "Ich habe einen Vorschlag für das Lied, mit dem sich Deutschland im nächsten Jahr, wenn der Wettbewerb dann in Kiew stattfindet, daran beteiligen könnte", sagte er und fügte hinzu, dass er, falls ich das nun befürchten würde, weder von der Liedkomposition etwas verstehe, noch in der Lage sei, anspruchsvolle und sich womöglich reimende Texte zu verfassen. Mittlerweile hatte der Mann in der Leitung meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit, ich war gespannt, was ihn bewogen hatte, mich anzurufen. "Es geht mir um etwas ganz Anderes: Das Lied sollte sich inhaltlich mit der Aktion 'Ungeziefer' befassen, weil das zufolge hätte, dass die Welt darauf aufmerksam gemacht würde, dass es auch in unserem Land schlimme Ereignisse gab, in deren Folge Menschen ihre Heimat verloren haben." Mit ein paar zusätzlichen Stichwörtern hat der Mann mir noch beschrieben, um was es bei der Aktion "Ungeziefer" ging, länger aber wollte er nicht mit mir darüber reden: "Das alles bewegt mich heute immer noch, auch wenn es solange schon her ist." Ich habe mich für den Anrufe bedankt und anschließen im Netz erkundigt. Was ich gefunden habe, war ein weiteres Puzzleteilchen für das Bild, was seit mehr als 20 Jahren in meinem Kopf entsteht:
Im Juni 1952 gab es in der DDR eine groß und bis ins Detail geplante Operation, bei der Personen, deren politische Einstellung man für fragwürdig hielt und die deshalb als unzuverlässig galten, aus dem Sperrgebiet entlang der innerdeutschen Grenze entfernt und ins Innere des Landes umgesiedelt wurden. Diese Ereignisse sind heute als "Aktion Ungeziefer" bekannt, weil unter anderem diese Bezeichnung von den Verantwortlichen als Tarnname dafür ausgewählt worden war.
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