Chemnitz isst! Aber gibt es ein Gericht, das hier erfunden wurde?
Dresdner Eierschecke, Leipziger Allerlei; diese kulinarischen Kulturgüter sind überregional bekannt. Chemnitzer versuchen mit Keksen oder einem ganzen Kochbuch dagegenzuhalten. Auf der Suche nach einem typischen Chemnitzer Essen.
Chemnitz.Es ist mühselig, nach kulinarischen Erfindungen aus Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt zu suchen. Auf der Wikipedia-Seite über „Sächsische Küche“ bekommen zwar Dresden, Leipzig, das Erzgebirge, das Vogtland und die Oberlausitz jeweils ein eigenes Kapitel, die frühere Arbeiterstadt in Südwestsachsen allerdings nicht.
Auch Peter Klingst muss lange überlegen. Der heute 83-Jährige hat die Speisekarte für das Interhotel „Kongreß“ entwickelt, war viele Jahre gastronomischer Leiter des höchsten Hauses am Platz, später Hotelchef im Chemnitzer Hof. Eine Speise, die in Chemnitz entstanden ist, kennt auch er nicht. Selbst die Klitscher, also Kartoffelpuffer, die viele Menschen mit der Chemnitzer Region in Verbindung bringen, gebe es anderswo in Sachsen genauso.


Was die Karl-Marx-Städter gern in seinen Restaurants gegessen haben, das weiß Peter Klingst dagegen noch genau. Sehr beliebt waren Roulade, das Strindberg-Steak und das Steak au four mit Würzfleisch und Käse obendrauf. Zwar ist diese Schweinesteak-Variante wahrscheinlich eine DDR-Erfindung, aber ebenfalls nicht allein in Chemnitz zu verorten.
Auch im Verein „Chemnitzer Köche“ kann niemand ein in Chemnitz erfundenes Gericht nennen. Der aktuelle Vorsitzende Sebastian Ehmke verweist auf den Chemnitzer Soßenkuchen, der zum Färben und Verdicken von Soßen unter anderem für Sauerbraten verwendet wurde. Allerdings gibt es das Geschäft an der Hainstraße, das zuletzt von der Tochter des Erfinders Herbert Dost betrieben wurde, nicht mehr. Soßenkuchen stellen heute andere Betriebe im In- und Ausland her.


Ehmke sagt, dass die Soljanka zwar ursprünglich aus Osteuropa stammt, aber in Karl-Marx-Stadt ebenfalls zu Hause war. Dazu habe Kurt Drummer beigetragen. Der berühmte DDR-Fernseh-Koch, der bis zuletzt in Chemnitz lebte, habe in seiner Sendung „Der Fernsehkoch empfiehlt“ mindestens dafür gesorgt, dass die Soljanka im Osten sehr beliebt wurde.
Was es früher aber gab, das waren Süßspeisen wie beispielsweise der „Chemnitzer Bierkeks“ in der Form des Roten Turmes. Die Kekse seien an Touristen verteilt worden, sagt Gästeführerin Veronika Leonhardt. Ausgewählte Bäcker hätten den Bierkeks, der eine leichte Biernote hatte, im Auftrag gebacken. Der große Durchbruch gelang allerdings nicht – eine wirtschaftliche Produktion sei nicht möglich gewesen, sagt Veronika Leonhardt.
Noch früher muss es in Chemnitz einen Pfefferkuchen in Form einer Kinderhand gegeben haben. Von diesem „Patschhändchen“ sei in einer Festschrift der Bäckerinnung Anfang des 20. Jahrhunderts die Rede gewesen, sagt Gästeführerin Edeltraut Höfer.
Mit einem neuen Gebäck haben es die Künstler des Instituts für Ostmoderne zu internationaler Bekanntheit gebracht. Ihre „Chemnitzer Platte“ wurde schon in Prag und Breslau verköstigt. Der graue Keks aus Mürbeteig soll an eine WBS-70-Platte erinnern, wie sie zu Tausenden im Heckertgebiet verbaut wurden. Das Gebäck hat neulich der TV-Sender 3Sat in einer Dokumentation gezeigt, die unter dem Titel „Das Comeback der Platte - Identität, Kultur und Wohnraum“ in der Mediathek zu sehen ist.


Chemnitzer Schokoladen hat das Unternehmen „Choco del Sol“ aus Burgstädt in Zusammenarbeit mit dem Chemnitzer Paperento-Verlag entwickelt. Es gibt eine dunkle Variante für die ganze Stadt und fünf Varianten für einzelne Stadtteile, so beispielsweise einen Studentenfutter-Mix für Bernsdorf und eine Chilli-Version für den Sonnenberg.
Paperento-Chef Jens Korch hat auch das Kochbuch „Koch mich! Chemnitz“ aufgelegt. Der Verleger konnte zwar ebenfalls keine kulinarischen Erfindungen aus der Chemnitzer Geschichte recherchieren, aber er will die Lücke schließen. Sein Team hat sieben mal sieben Gerichte für verschiedene Stadtteile entwickelt, darunter „Rote-Bete-Turm-Salat“, „Armer Schlosschemnitzer Ritter“ oder, „Rabensteiner Rübenragout“. Ob die Gerichte in Zukunft mit Szegediner Gulasch oder Thüringer Klößen mithalten können, bleibt abzuwarten. Zumindest Radio-Journalisten vom Deutschlandfunk haben schonmal mitgekocht, der kulinarische Beitrag ist auf DLF-Kultur im Februar zu hören. (cma)

