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Drama bis(s) zum Abpfiff

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Man soll den Tag nicht vor dem Abend abschreiben. Heiko Hößler hatte ein langweiliges Spätprogramm aus Brasilien erwartet. Doch es kam anders.

"Früher war nicht alles besser", sagt der Kabarettist Jochen Malmsheimer. "Aber manches war gut." Wiederholungen von Fußballspielen zum Beispiel. Die Älteren unter uns werden sich vielleicht noch erinnern: Wenn früher bei einer EM oder WM zwei Spiele gleichzeitig stattfanden, konnte man sich erst das eine und danach - als Wiederholung - das andere anschauen. So ließ sich ein Fußballabend genüsslich dehnen. Zudem konnte man so - wenn es beim Chef mal wieder länger dauerte - ein verpasstes Spiel später nach-sehen.


ARD oder ZDF sendeten zuerst live und lieferten spätabends dann noch eine oder mehrere Wiederholungen, auch Eurosport durfte des nachts einen Zweit-Aufguss der Spiele verbreiten. Doch irgendwann starb die Fußball-Wiederholung einen leisen Tod. Auf besorgte Nachfrage bei ARD und ZDF beschieden die Zuschauerredaktionen: Fußball guckten die Leute doch lieber live, und wer partout eine Konserve benötige, finde die in der Mediathek. Hm. Nach der Lektüre der Mails fühlte ich mich ein bisschen wie ein Dinosaurier, der das Aussterben verpasst hat.


Meine enttäuschte Liebe zur späten Spiel-Wiederholung fällt mir heute Abend wieder ein: Um 18 Uhr zwei Spiele in der Gruppe D, um 22 Uhr zwei in der Gruppe C. Das ZDF verzichtet auf eine Konferenz und lagert stattdessen das jeweilige Zweit-Spiel auf ZDF Info aus. Ja, natürlich kann man zwei Spiele gleichzeitig gucken: eines auf dem Fernseher, das zweite parallel auf dem Laptop oder Tablet. Aber das macht einen doch ganz meschugge. Ich verlasse mich also ab 22 Uhr auf die Auswahl des ZDF, erwarte aber, dass die dort a) das schlechtere Spiel übertragen und dass es b) in der Gruppe ohnehin sterbenslangweilig wird. Kolumbien gegen Japan (ZDF Info), Griechenland gegen Elfenbeinküste (ZDF). Gähn ... Im Kühlschrank ist hoffentlich genug Cola?


Doch so kann man sich irren. Es wird spannend im ZDF, und durch das Stadion weht der Hauch der "Geschichte" (Helmut Kohl). Rein rechnerisch ist es doch so: Die Kolumbianer sind sicher im Achtelfinale - aber die drei anderen Teams haben alle noch die Chance auf den zweiten Platz. Doch dazu muss halt Team A gewinnen und Team B verlieren, dies aber mit einer ganz bestimmten Tordifferenz (oder war es umgekehrt?), während Team C ... Ach, diese blöde Rechnerei. Ich will einfach ein gutes Spiel sehen!


Das plätschert zunächst so dahin. Die Ivorer versuchen zu zaubern. Aber viele Tricks gehen schief. Und dann gucken sie ein bisschen traurig und ein bisschen irritiert. Die Griechen sind tapfer. Doch für sie entwickelt sich die Partie in Richtung klassische Tragödie: Kone (11.) muss verletzt raus, auch Torwart Karnezis (24.) humpelt vom Platz. Die Griechen laufen und kämpfen und schießen, insgesamt dreimal in der Partie treffen sie nur das Aluminium. Doch kurz vor der Pause macht der eingewechselte Samaris dann doch das 1:0.


Merke: Es ist in der "Gechichte" erst das dritte Tor der Griechen bei einer Fußball-WM. Und wegen der seltsamen Rechnerei stehen die Hellenen jetzt plötzlich mit einem Bein im Achtelfinale (gab es noch nie). Denn zur gleichen Zeit demütigt eine B-Elf der Kolumbianer auf ZDF Info die Japaner. 4:1 wird es am Ende heißen. Sayonara. Und Asien ist auch diesmal wieder raus.


Und die Griechen? Geben sich auch nach der Pause richtig Mühe. Die Ivorer tun einem fast schon leid, da machen sie in der 74. Minute das 1:1. Ne, wie jetzt? Der Taschenrechner sagt: Im Moment sind Drogba & Co. im Achtelfinale, die Griechen raus. Drama!!! Die armen Kerle ... Die Zeit verrinnt. Dann, irgendwann, ist die Uhr fast abgelaufen. Tschüs, Hellas! Aber ... da wird Samaras (ja, das ist der andere) im Strafraum gefoult. Elfmeter! Er schießt selbst (soll man ja eigentlich nicht) - und hämmert das Ding rein: 2:1! Merke: Das vierte Tor in der griechischen Fußball-WM-Geschichte. Und Griechenland überlebt tatsächlich zum ersten Mal die Vorrunde.


Was aber auch bedeutet: Europa entsendet doch noch den einen oder anderen Vertreter in die K.-o.-Runde. Spanien ist raus, England (am früheren Abend glanzlos 0:0 gegen Costa Rica) auch. Und Italien ...? Im 18-Uhr-Spiel gegen Uruguay hätte ein Unentschieden gereicht. Muss doch drin sein, oder?! Die Italiener scheitern indes am eigenen Unvermögen - und an dem des Schiedsrichters. Der zeigt dem Italiener Marchisio Rot, wo Gelb genügt hätte. So weit, so schlecht. Aber dass er von der Beißattacke des Uruguayers Suarez gegen den Italiener Chiellini nichts mitbekommen haben will und die rote Karte stecken lässt, ist ... seltsam. Das Wort vom "Unparteiischen" schmeckt irgendwie komisch heute Abend.


Immerhin: Für Suarez hat der herzhafte Biss in Chiellinis Schulter schnell Folgen: Nach der Attacke hält er sich die Kauleiste - er hat sich also auch selbst weh getan. Gut so. Zudem könnte die Fifa ihn für die Unsportlichkeit nachträglich mit einer Sperre belegen. Aber am empfindlichsten werden den stolzen Suarez womöglich der Hohn und der Spott treffen, die nun im Internet über ihm ausgekippt werden. Da werden Filmchen mit seinen mittlerweile drei (!) Beiß-Attacken gegen andere Spieler zusammengeschnippelt, bei Twitter finden sich feinste Collagen und Anspielungen (etwa auf James Bonds Gegenspieler "Beißer" oder auf Hannibal Lecter aus "Das Schweigen der Lämmer"). Und ein Nutzer schlägt Suarez als Darsteller für einen neuen "Twilight"-Film vor: "Bis(s) zum Abpfiff".


Mein Fazit dieses Abends lautet jedenfalls: Puh, ich werde nie wieder einen Spieltag unterschätzen. Und von diesem hier hätte ich gern auch eine Wiederholung gesehen.

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