Sascha Aurich sieht Argentinien siegen und legt sich erstmal schlafen. Im Traum suchen ihn Joachim Löw, Angela Merkel und Shkodran Mustafi heim. Zum Glück gewinnt dann Belgien.
Neulich hatten wir Mannschaftsbesprechung, hochkonzentriert und ergebnisorientiert. Bei Guarana-Bowle und Stadionwurst schälten sich zwei Fakten heraus. Erstens: Die Blog-Elf der "Freien Presse" zeigt eine Riesenleistung. Zweitens: Die Welt weiß leider noch nicht, wie gut wir sind. Nur so ein paar Hundert Klicks pro Tag auf unsere weltmeisterlichen Texte - wir mussten handeln. Schön UND erfolgreich wollten wir auftreten, so wie einst Real Madrid. Die neue Taktik: Mehr Sex, noch mehr Action und ganz viele niedliche Tiere mussten in unseren Texten vorkommen, am besten schon in der Überschrift. Damit anfangen sollte einer, der nach seinen bisherigen Auftritten nichts mehr zu verlieren hat. Wir nannten es die "Eine-Million-Klicks-Mission". Die Latte lag also hoch, ich legte mich erstmal hin. Das große Argentinien hatte in einem Herzschlag-Achtelfinale eben die kleine Schweiz bezwungen, mir blieb noch eine gute Stunde, um Kraft zu sammeln für den Knaller zwischen dem noch immer geheimen Geheimfavoriten Belgien und den Motivations-Weltmeistern aus den USA. Ich stellte meinen Wecker auf fünf vor Zehn und überlegte noch kurz, was dieses Spiel mit Sex, Action und niedlichen Tieren zu tun haben könnte, dann dämmerte ich weg. Es war ein Fehler.
Ich geriet in einen Alptraum, gegen den sich die Champions-League-Niederlage der Bayern 1999 gegen Manchester United wie ein Kindergeburtstag ausnimmt. Deutschland hatte sich nach der schlimmen Vorstellung gegen Algerien doch noch ins Endspiel gewurstelt, im Halbfinale dabei den Gastgeber besiegt. Die entscheidende Szene war ein Abschlag von Manuel Neuer gewesen, den sein Gegenüber Júlio César nur mit Mühe parieren konnte und nach vorne abprallen ließ. Der Nachschuss von Mario Götze war so schwach, dass er genau auf der Linie verhungerte. Die deutsche Torlinientechnik entschied trotzdem auf Treffer. Der Skandal war perfekt. Fifa-Chef Sepp Blatter behauptete in einer turbulenten Pressekonferenz nach dem Schlusspfiff, er habe dieses Torlinien-System nicht gekauft. Der deutsche Abwehrspieler Per Mertesacker schlug in einem Handgemenge in den Stadion-Katakomben mehrere deutsche Reporter mit der Faust ins Gesicht. Die Bundeskanzlerin erklärte, sie könne nun doch nicht wie geplant zum Endspiel nach Brasilien kommen, da sie ihrem Mann dringend einen Kuchen backen müsse. Ihren Platz in der Ehrenloge habe sie einer sexy Blondine überlassen, die während des Spiels mit niedlichen Tierbabys jonglieren und auch sonst für reichlich Action sorgen würde.
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Kurz vor dem Finale ausgerechnet gegen Klinsmanns US-Boys, die sich ebenfalls ins Endspiel gemogelt hatten, war der deutsche Verteidiger Shkodran Mustafi wie durch ein Wunder von seinem Muskelfaserriss genesen. Bundestrainer Joachim Löw nahm ihn natürlich in die Startelf. Das Spiel wogte hin und her. Mehrere sexy Blondinen und Scharen niedlicher Tierbabys flitzten Mitte der zweiten Halbzeit über den Platz. Es gab reichlich Action, aber keine Tore, auch nicht in der Verlängerung. Im Elfmeterschießen versagten die deutschen Schützen. Keiner traf, allerdings hielt Manuel Neuer vier Elfmeter der Amerikaner. Vor dem fünften Schuss nahm ihn Löw aus taktischen Gründen vom Platz, Roman Weidenfeller kam rein. Der vermeintliche Geniestreich des Bundestrainers entpuppte sich als Rohrkrepierer, die USA holten den Titel.
In meinem Alptraum unterzeichnet Joachim Löw gerade einen Vertrag bis 2024, als mein Wecker klingelt.
Anpfiff. Vor dem Kasten von US-Keeper Tim Howard gibt es schon in den ersten 90 Minuten Action ohne Ende. Trotzdem: Wäre auch okay gewesen, wenn ich den Wecker auf Mitternacht gestellt hätte. Belgien geht in der Verlängerung in Führung, Belgien erhöht, der USA gelingt der Anschluss und sie hat in den Schlussminuten mehrmals den Ausgleich auf dem Fuß. Es ist nicht niedlich, es ist nicht sexy, aber es ist ein geiles Spiel.
Belgien siegt. Nix gegen Klinsmann. Aber ich bin irgendwie erleichtert. Von wegen Alptraum und so.
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