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Russland verliert durch ein Unentschieden gegen Algerien, Belgien gewinnt mittels Abseitstor auch zu zehnt. Und unser Redakteur Matthias Zwarg fragt sich: Was hat das zu bedeuten?

 

Also, diesmal hab ich den Fußballabend ganz unbeschadet überstanden - und das lag nicht an mir, sondern an meinem Freund Christoph. Christoph ist so alte Schule, wissen Sie. Fußball guckt er schon, seit seine Mutter im dritten Monat mit ihm schwanger war, und schon damals hat er sich gefragt: Was hat es zu bedeuten? Diese Neugier hat er sich dummerweise bewahrt, obwohl sie im deutschen Fernsehen kaum noch befriedigt wird. Aber dafür ist das Fernsehen doch auch nicht da, sag ich ihm. Das ist ein Unterhaltungsmedium; dass darin die Präposition "unter" vorkommt, ist kein Zufall. Und Sport hat natürlich mit Politik und so auch nichts zu tun.

Hat er doch, sagt Christoph dann, und faselt etwas von korrupter Fifa und so weiter - aber das hatten wir doch schon. Sagte nicht Sepp Blatter selbst, dass da alles transparent ist - bis hin zu den Briefumschlägen, die vor der WM-Vergabe an Katar und Russland irgendwie hin und nicht wieder her... aber die wurden ja nicht einmal geheim übergeben, wie der Journalist Thomas Kistner in seinem Buch "Fifa Mafia" schreibt - war alles ganz offensichtlich. Also kein Grund zur Aufregung. Wahrscheinlich stand in den Briefen lediglich: "Jeder Stimmberechtigte ist nur seinem Gewissen verpflichtet." Kann doch keiner ahnen, dass mancher keins hat.

Außerdem weiß man ja, dass die Fifa die WM immer nach streng demokratischen Regeln und nur an mustergültige Demokraten vergibt. Dann lässt sie zuerst Häuser für die Armen bauen, und wenn etwas Geld übrig ist, vielleicht mal ein, zwei neue Stadien - aber nur, wenn die dann hinterher an afrikanische Länder verschenkt werden können. Und manche Arbeiter geben für diese Bauten gern ihr letztes Hemd, selbst, wenn es ihr einziges ist, und der Satz "ich würde für Fußball mein Leben geben", bekommt auch irgendwie einen ganz anderen Klang. Sagt Christoph, der einem aber auch alles vermiesen kann.

Denn es ist gemein, so etwas Banales wie Arbeitsbedingungen, Löhne, Sozialleistungen mit diesen 22 Kickern auf dem Rasen zu vermischen. Die spielen ja demnächst laut Sepp Blatter sogar intergalaktische Meisterschaften - sozusagen Fußball von einem anderen Stern.

Davon waren Russland und Algerien bei ihrem 1:1 (Tor für Russland: Kokorin; den Ausgleich schoss Slimani) ebenso weit entfernt wie Südkorea und Belgien beim 0:1 (Tor: Vertonghen). Aber andere Sterne sind ja auch ziemlich weit entfernt. Immerhin hat sich Algerien erstmals für das Achtelfinale qualifiziert - eine späte Genugtuung für die "Schande von Gijon", die noch immer als einer der Höhepunkte des ach so fairen Sportes gilt und deren Leidtragende die Algerier waren. Nun dürfen sie wieder gegen Deutschland spielen... Aber ich sag zu Christoph, das muss doch auch einmal vorbei und vergessen sein... stimmt, sagt er, übers Wembley-Tor spricht ja auch keiner mehr.

Über Südkorea diesmal auch nicht. Die Mannschaft ging ziemlich sang- und klanglos unter, auch wenn das Tor der Belgier aus dem Abseits fiel. Aber es war knapper als 2002, als Gastgeber Südkorea gegen Italien dank merkwürdiger Schiedsrichterentscheidungen im Achtelfinale gewann. Doch jetzt ist ja alles besser. Nur für den Schiedsrichter von damals nicht: Er wurde gerade wegen Rauschgiftschmuggels verhaftet. Und Belgien war ja diesmal ohnehin schon weiter. 

Von Russland dagegen wird man noch sprechen, denn es richtet die nächsten Weltmeisterschaften aus. Wenn sie dann die Vorrunde überstehen wollen, müssen sie nicht unbedingt gleich wie von einem anderen Stern spielen - zumal sie den roten ja eh abgeschafft haben - vielleicht einfach nur erst mal etwas einfallsreicher - und dann sicher auch nicht mehr gegen das Publikum, das die Mannschaft auspfeift, als stünde Putin persönlich auf dem Platz. Sagt Christoph, und findet das schade, und er sagt auch, dass Mannschaften wie Spanien vielleicht deshalb diesmal nicht so gut waren, weil die Fifa (immerhin) strenge Dopingkontrollen angekündigt hatte. Aber das glaub ich nicht. Dass Fußballer dopen, mein ich. Hat nicht Franz Beckenbauer, der Kaiser selbst, einst gesagt: "Doping im Fußball macht keinen Sinn, weil jeden zweiten, dritten Tag hast du ein Spiel." Klingt logisch. Er muss es ja wissen, denn er passt immer genau auf. In Katar zum Beispiel hat er trotz schärfster Beobachtung "keinen Sklaven" gesehen - wie seinerzeit 1978 Berti Vogts, der in Argentinien, das von einer Militärjunta regiert wurde, "keinen einzigen politischen Gefangenen" gesehen hatte.

Zwei hochklassige Spiele habe ich auch nicht gesehen, aber viel Leidenschaft. Das ist immerhin etwas in dem ansonsten auf Hochglanz polierten Milliarden-Event, als das es vom Fernsehen präsentiert wird. Wär auch doof, sagt Christoph, wenn man an etwas herum mäkelt, für das man so viel Geld ausgegeben hat. Stimmt, sag ich, sind ja schließlich unsere Gebühren, dafür bekommen wir auch das Fernsehen, das wir verdienen. Er wolle ein anderes, sagt Christoph, gründlicher, kritischer, origineller... Also ich find diese blaue Ozean-Kulisse schon ziemlich originell - das ist doch fast, als würde man selbst an der Copacabana stehen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Und von Christoph lass ich mir die WM noch lange nicht vermiesen. Aber vielleicht denk ich in der nächsten Halbzeitpause mal darüber nach, was er sagt - und was es bedeutet. 

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