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Jairzinho aus der Sprengelschokolade

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Erik Kiwitter sah bei Brasilien gegen Mexiko kein Tor, stattdessen wimmelte er seinen Kumpel Fred ab und beschäftigte sich mit dem Schokoladenfabrikanten Bernhard Sprengel. Als danach Russland gegen Südkorea spielte, kam ihm außerdem noch die Idee für ein WM-Maskottchen 2018.

 

Es war Halbzeit im Spiel Brasilien gegen Mexiko, als mich eine SMS aufschreckte. Zuerst dachte ich, Absender ist der brasilianische Trainer Luiz Felipe Scolari: "Senhor Kiwitter, kommen Sie bitte unverzüglich nach Fortaleza. Wir brauchen Sie!" Brasilien tat sich tatsächlich äußerst schwer, die Mexikaner wehrten sich tapfer. Insofern hätte mich die Aufforderung Scolaris nicht überrascht, sie wäre folgerichtig gewesen. Aber es war nicht der brasilianische Trainer. Es war Fred. Allerdings nicht der brasilianische Stürmer Fred, der Schwalben-Papst aus dem ersten Brasilien-Spiel, sondern mein Kumpel und ehemaliger Schulfreund Fred, mit dem ich 1983 auf einem elenden Schlackeplatz mit Gefälle die Schulmeisterschaft der Erweiterten Oberschule "Hans Beimler" in Stollberg gewonnen hatte: "Kiwi, hol mir mal bitte paar Flaschen Bier aus der Tankstelle. Ich kann nicht mehr fahren..."

Fred hatte nach unserem Titelgewinn vor 31 Jahren die gleiche Entwicklung genommen wie Helmut Rahn aus Essen nach seinem WM-Sieg 1954 mit Deutschland. Sie sind mit dem Ruhm nicht fertiggeworden, mussten in Kneipen immer wieder von ihren Toren erzählen. Bis sie voll waren. Ich antwortete nicht auf Freds SMS, auf dem Platz hatte sich inzwischen eine Menge getan. Mexikos Torwart Ochoa brachte die Brasilianer zum Verzweifeln. Dazu wurde Fred gerade ausgewechselt, der brasilianische. Und außerdem hatte gerade meine sentimentale Phase eingesetzt: Für mich ist eine Fußball-WM nämlich immer auch ein nostalgischer Ausflug in die Historie. Da breite ich alte Programmhefte, Zeitungen, Fotos und Sammelbilder zum Einkleben vor mir aus und denke an die Helden von früher, bis mir die Tränen die Wangen herunter kullern. Ich kann mich noch an meine erste Begegnung mit dem brasilianischen Fußball erinnern. Kennen Sie die alten Sammelbilder aus dem Westen aus der Sprengelschokolade, benannt nach dem Schokoladenfabrikanten und Kunstmäzen Bernhard Sprengel aus Hannover? Unvergessen. Auf einem reckt der Brasilianer Jairzinho den Goldpokal in den Himmel, den Cup Jules Rimet, den Brasilien damals zum dritten Mal gewonnen hatte und behalten durfte.

Das war 1970 und wir machten auf der Albert-Funk-Kampfbahn in meiner Heimatstadt Oelsnitz die Siegerposen der Spieler nach. Es war schwer, an die bunten Sammelbilder heranzukommen, denn der Steinkohlenort Oelsnitz lag in der DDR, am Karl-Liebknecht-Schacht leuchtete noch der rote Sowjetstern auf, wenn die Bergleute die Norm geschafft hatten, und der Westen war weit weg. Aber irgendwie klappte es doch manchmal mit den Sprengelbildern, auch wenn man eins im Tausch gegen fünf oder sechs Wildwest-Kaugummibilder teuer bezahlen musste. Ja, so war das.

Übrigens, Scolari hätte sich doch mal melden sollen. Die Brasilianer verließen bedrückt den Platz, es war beim torlosen Remis geblieben. Von Fred kam in der Nacht übrigens auch kein Lebenszeichen mehr. Er war bestimmt wieder voll, der König vom Schlackeplatz. Kennen Sie die Geschichte der WM-Maskottchen? Nein? Als das Spiel Russland gegen Südkorea lief und immer noch kein Tor gefallen war, kramte ich aus dem Nachbarzimmer meine alten Plüschtiere hervor: alles Fußball-WM-Maskottchen, manche heute nur noch für sehr viel Geld zu bekommen. Es sind auch sehr hässliche dabei, stockhässliche, um genau zu sein, was allerdings nichts am Preis ändert. Besonders denen von der Weltmeisterschaft 2002 in Südkorea und Japan - die drei Außerirdischen heißen Ato, Kaz und Nik - sollte man vor dem Schlafengehen nicht allzu lange in die Augen sehen, sonst bekommt man dann selber keins mehr zu. Aber ich nutze das manchmal auch aus, wie zum Beispiel in der ersten Halbzeit des Spiels Russland gegen Südkorea. Ein Blick in die Fratzen dieser drei Ungeheuer - und ich konzentrierte mich wieder freiwillig auf diesen müden Kick, der dann aber doch noch einmal recht putzig wurde. Russlands Torwart Akinfeev unterlief ein peinlicher Fehler, den man nur dann vergisst, wenn er es schafft, WM-Torschützenkönig zu werden. Aber da bestehen Zweifel. Zum Glück für Akinfeev schafften die Russen wenigstens noch das 1:1.

Russland ist ja als Gastgeber automatisch für die nächste WM 2018 qualifiziert. Als Maskottchen könnte ich mir Wladimir Putin vorstellen, in freiem Oberkörper am Elfmeterpunkt beim Schuss. Aber die Idee behalte ich noch für mich, nicht dass heute im Laufe des Tages der KGB an meiner Tür klingelt und mich verhaftet, weil sich Putin veralbert fühlt. Man kann ja nie wissen.

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