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Jenseits von Brasilien

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Alles oder nichts, heißt es ab sofort bei der WM. Heiko Hößler musste seufzend mit ansehen, wie die Spannung die Schönheit meuchelte.

Was für ein Glück: Keine Vuvuzelas heute. Beim letzten Deutschlandspiel hatte jemand im Nachbarhaus wohl zum ersten Mal seine Plastetröte traktiert. Der Versuch lag klanglich irgendwo zwischen dem Jagdhornsignal "Sau tot!" und der Regionalmeisterschaft der Hirschruf-Imitatoren. Ich bin also dankbar, dass der Abend heute ein rein südamerikanischer ist: Im Viertel herrscht mangels Betroffenheit gediegene Ruhe.


Und noch ein Glücksumstand: Die ARD überträgt beide Spiele und bietet für die Moderation drumherum wieder Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl auf. Für meinen Geschmack das beste Moderatorengespann dieser WM. Ich gebe zu, an einigen der vorherigen Abende habe ich gelitten, als die beiden zu später Stunde an Reinhold Beckmann und Giovane Elber übergaben. Der Brasilianer Elber hat zwar lange in der Bundesliga gekickt und kann viele interessante Dinge erzählen. Aber er hat ein wenig mit der deutschen Aussprache zu kämpfen. Man muss mithin als Zuschauer genau hinhören. Und dann gleich wieder weghören - nämlich wenn Beckmann vereinzelte Sprach-Patzer seines Co-Moderators nachäfft. Peinlich.


Beckmann war ganz früher mal Chefmoderator der Sat-1-Fußballsendung "Ran". Von 1992 bis 2003 übertrug man dort die Fußball-Bundesliga. Diese Sendung hat dafür gesorgt, dass zwischen mir und der obersten Spielklasse auf Dauer eine gewisse Distanz entstand. "Ran" bestand zu je einem Drittel aus Fußball, aus Werbung sowie aus allerlei Gerede, Analysen und Statistiken. Da konnte man erfahren, dass Spieler X zum ersten Mal seit 578 Minuten wieder mit dem Kopf getroffen, Torwart Y sich zum dritten Mal in der Saison die Vorderpfote verrenkt und Stürmer Z seine Langzeit-Gespielin zur Spielerfrau erhoben hatte. Die Action, die Bilder, das Spiel gingen im Geschwätz unter.


Aber gut, wir haben 2014, und es ist WM. Seit Samstagabend sind wir mittendrin in der K.-o.-Runde. Keine Zahlentricks mehr, kein Hoffen auf das rettende nächste Spiel: Es geht in jeder Partie um alles oder nichts. Oder um den Slogan einer putzigen bayerischen Regionalpartei zu variieren: Wer nicht siegt, der fliegt.


Der Druck ist riesig. Den Brasilianern war das am Abend deutlich anzumerken. Vor lauter Druck spielten sie alles Mögliche - nur nicht brasilianisch. Bloß nichts falsch machen! Man kann das natürlich verstehen: Wären sie gegen Chile ausgeschieden, hätte man sie vermutlich geteert und gefedert und aus dem Lande gejagt. Doch so gab es eben einen rustikalen Kick mit vielen Fouls. Spannend? Ja. Aber überhaupt nicht schön. Hätte Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki sich je mit Fußball befasst, sein Kommentar wäre sicher gewesen: "Ein grrrääässsliches Spiel!" Das 1:0 der Brasilianer war ein Eigentor, beim nächsten Mal trafen die Chilenen ins richtige Netz - Ausgleich, Verlängerung, Elfmeterschießen. Und dann ... wurde es doch noch richtig toll: Cesar im Tor parierte zwei chilenische Elfer, Superstar Neymar setzte nervenstark den Schlusspunkt: 4:3.


Die 22-Uhr-Partie zwischen Kolumbien und Uruguay wurde das bessere Spiel des Abends. Die Kolumbianer, die in der Vorrunde drei tolle Partien abgeliefert hatten, bestimmten lange das Geschehen. Zweimal durften sie ihre einstudierten Tänzchen zeigen, weil ihr Star Rodriguez in der 28. (irre!) und in der 49. Minute traf. Doch ab der 60. Minute zeigte Uruguay (Achtung, Kalauer!) endlich Biss und setzte den müde werdenden Kolumbianern zu. Vielleicht hatten die Urus so lange gebraucht, um zu begreifen, dass Suarez - sonst ihr wichtigster Mann - nicht auf dem Platz war. Der hatte ja im Spiel gegen Italien mit seinem Überbiss einen bleibenden Eindruck in der Schulter eines Gegenspielers hinterlassen und muss nun zur Strafe vier Monate lang jegliche Rasenflächen meiden. Worauf (oder wen) Suarez am Abend gebissen hat, als er seine Mannschaft 0:2 verlieren und die Kolumbianer zum ersten Mal in ein WM-Viertelfinale einziehen sah - wir wissen es nicht.


Klar ist dagegen: Am Freitag treffen Brasilien und Kolumbien aufeinander. Es geht wieder um alles oder nichts. Das Spiel wird spannend. Aber bitte, bitte: Lasst es auch schön werden.

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