Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen

Die Episode von Sigi und einem Fass Bier

Die Episode von Sigi und einem Fass Bier

Sigmund Jähn und ich waren einige Zeit gemeinsam Flugschüler an der Offiziers- und Fliegerschule der Luftstreitkräfte der DDR, er im 3. und ich im 4. Lehrgang. Als ich nach der theoretischen Ausbildung an der Fliegerschule Bautzen zur praktischen Ausbildung an die Fliegerschule Kamenz kam, fand gerade die Verabschiedung des 3. Lehrgangs zur Ausbildung auf Strahlflugzeuge (wiederum in Bautzen) statt. Am selben Abend kam ein Mitstreiter meiner Fluggruppe ins Zimmer und berichtete: "Hobe grode mit Sigi Jähn ausn Vogtland gered" (so ähnlich klang sein Dialekt für mich). Jähn habe geheimnisvoll gesagt, er habe mit seiner Fluggruppe ein Fass Bier am Flugplatzrand vergraben. Natürlich schmiedeten wir sofort den Plan, wenn die weg sind, graben wir uns heimlich das Fass aus. Wir begaben uns bei erster Gelegenheit, bewaffnet mit Spaten und Schaufel, zur vermeintlichen Stelle und buddelten emsig, bis wir leider feststellten: Es wird wohl nichts.

Was war dem mysteriösen Ereignis vorausgegangen? Nach einem der jährlich an der Fliegerschule stattfindenden Elterntage, bei denen die Väter gemeinsam mit den Fluglehrern ihrer Söhne in der abendlichen Runde besonders "gemütlich" waren, hatten die Eltern der Fluggruppe Sigmund Jähns den Entschluss gefasst, der Einheit ein Fass Bier zu spendieren, als Dankeschön für schöne Stunden. Per Reichsbahn kam Tage später tatsächlich ein Fass am Bahnhof Kamenz an. Per Handwagen holte die Gruppe das Fass in die Dienststelle, doch der Kommandeur befahl, es sofort zurückzubringen, Alkohol sei verboten.

Befehl ist Befehl, doch am Tor der Kaserne ging es nicht zum Bahnhof, sondern zum Flugplatz an eine würdige Stelle. Heimlich wurde das Fass vergraben.

Jahre vergingen und es kam der besondere Tag des Fluges von Salut 6 über Zwickau. Gerade wir Flieger hatten die Übertragungen vom Start des ersten DDR-Bürgers ins All mit Spannung und Stolz erlebt. Mit meiner Familie wohnte ich damals in Zwickau-Neuplanitz. Nach der Medienankündigung, Jähn werde mit dem Raumschiff abends über Zwickau fliegen, begaben wir uns an die Schlafzimmerfenster, die den westnordwestlichen Nachthimmel gut überblicken ließen. Um die Wartezeit auf Salut 6 zu überbrücken, erzählte ich meiner Frau und unseren beiden Söhnen leise obige Geschichte. Beide haben übrigens auch die Pilotenlaufbahn eingeschlagen. Plötzlich bewegte sich ein heller Stern auf uns zu. "Super, große Klasse, wunderbar", schallte es aus vielen Fenstern unseres Wohnblocks …

1982 erhielt die GST-Fliegerschule bei Jahnsdorf den Ehrennamen "Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn". Dieser nahm an der Feier teil. Ich fühlte mich bewogen, den Sigi persönlich zu betreuen und lud ihn zum Besuch bei unseren Flugschülern ein. Auf dem Rückweg erzählte ich, dass ich zu denen gehörte, die vor 20 Jahren versucht hatten, das von ihm vergrabene Fass auszugraben … Später nahm mich Sigi zur Seite und sagte: Da hättet ihr früher aufstehen müssen. Denn einer der nach Bautzen beorderten Flugschüler hatte das längst wieder ausgegrabene Fass zur neuen Dienststelle mitgenommen. Dort hatten sie es sich schmecken lassen.

Udo Einführer, Lichtentanne

Icon zum AppStore
Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!
  • Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
  • E-Paper und News in einer App
  • Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.

Das könnte Sie auch interessieren