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Nicht nur im Notfall

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Sanitätsstelle. Wie gemütlich! Das klingt nach Desinfektionsmitteln und Sterilität. Ein Ort, den man nur im Notfall aufsucht. Trotzdem heißt ein Chemnitzer Club so, in dem ich am Dienstagabend war. Not hatte ich keine, ich wollte einfach was erleben und meiner viel zu warmen Wohnung entfliehen.
Die menschenleere Annaberger Straße ein Stück stadtauswärts geradelt - und schon vergeht mir die Feierlaune. Hier soll noch Leben kommen? Als ich vor der gesuchten Adresse in der Altchemnitzer Straße stehe, möchte ich am liebsten wieder nach Hause fahren: Vor mir liegt der Komplex des alten Spinnereimaschinenbaus, der zumindest bei Nacht völlig ausgestorben ist. Kein Mensch nirgends. Aber über dem Tor steht, dass ich richtig sein muss: "Sanitätsstelle". Ich rolle durch die Einfahrt und stehe im unbeleuchteten Hof einer verlassenen Fabrik. Am Ende des Hofs sehe ich eine Lichterkette und fahre drauf zu. Ich muss an die Rocky Horror Show denken: "There?s a light". Na wenigstens hat mein Rad keinen Platten ...
Drinnen angekommen dann eine andere Welt: Eine kleine Bühne, auf der bereits vier Musiker rockig improvisieren, denn es ist "Jam Bam", also Open Stage, davor stehen vier Ledersessel. Dahinter eine Bar und Fliesenboden, über den die Diskokugel weiße Punkte tanzen lässt. Es ist überhaupt nicht steril, sondern ziemlich gemütlich. Ich gratuliere mir dazu, das Blümchenkleid gegen Hose und T-Shirt getauscht zu haben. So fühle mich ganz wohl, obwohl ich allein bin. Langsam bekomme ich Übung im Alleinausgehen. Angelehnt an die Bar höre ich eine Weile bewundernd - bei Improvisation klappt mir immer die Kinnlade runter - den Musikern zu: Schlagzeug, E-Piano, Gitarre und Bass. Zwischendurch wechseln die Musiker. Von den maximal 20 Personen, inklusive Personal, in der Sanitätsstelle, sind gut zwei Drittel zum Musikmachen hergekommen.
Dann gehe ich die anderen Räume erkunden: Sessel, gemütliche Lampen, ein Kickertisch. Und dann entdecke ich den Schatz: Es gibt einen Garten. Um eine dicke Birke mit hängenden Ästen ist Sand aufgeschüttet. Liegestühle stehen da und zwei rot-weiß gestreifte Strandkörbe. Das Ganze ist von einem hohen Zaun umgeben, an dem eine Lichterkette hängt. Ein Kleinod, eine Filmkulisse, ein romantischer Garten, in dem man vor der Welt fliehen kann. Ich bin die Einzige hier, was es noch unwirklicher erscheinen lässt. "Wie kann ein so schöner Ort nur so leer sein?" Ich setzte mich in einen der Strandkörbe, drinnen macht die Livemusik Pause, dafür wird Tom Waits aufgelegt. Seine Musik, die nach Jahrmarkt, Zirkus und Freakshow klingt, passt exakt zur Lichterketten-Stimmung hier draußen.
Als aufs Neue gejammt wird, gehe ich hinein, höre noch ein wenig zu, bevor ich wieder hinaus in die heiße, menschenleere Nacht trete.

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