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Hier wächst der Pilz: Superfeine Skurril-Bands rocken den "Mushroom Garden"

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Spacerock, Doom und Flintapop: Chemnitzer Mini-Festival beendet den Open-Air-Sommer mit schlicht großartigem Liebhaber-Lineup im AJZ.

Festival.

So also endet in Sachsen die Open-Air-Saison: Mit einem letzten Hauch ihres ursprünglichen Geistes! Es dürfte kaum ein Festival im Freistaat geben, das noch so sehr die ursprüngliche DIY-Faszination der Branche atmet wie das feine kleine Hybrid-Open-Air "Mushroom Garden" am Chemnitzer AJZ. Hybrid, weil es angesichts der fortgeschritten Herbstlichkeit nur zur Hälfte an der frischen Luft ausgetragen wird - mit einsetzender Dunkelheit und bissiger Kühle zieht sich das Geschehen in den Saal zurück. (Ok, und weil man im Garten des AJZ nur bis 21 Uhr Krach machen darf.)

Alles andere am "Mushroom Garden", das von Teilen der alten Crew des legendären Chemnitzer Kult-DIY-Festivals "MS Beat" (schnüffz!) ausgetragen wird, zelebriert familiäre Undergound-Kultur, die vor allem mit einer herzlichen Atmosphäre punktet und ihren Gästen schlicht ein rundum stimmiges Event schaffen will. Was bestens gelang! Hier gibt es keine Catering-Firma (Macher und deren Freund kochen selbst; die Nudeln schmecken deutlich besser als auf Highfield & Co und kosten die Hälfte trotz größerer Portion), keine Geldautomaten und noch nicht einmal Bändchen, sondern Stempel. Dafür spielt ein handverlesenes Line-Up unter alten Kastanien und erzeugt jede Menge dieser großartig ausgeklinkten Freude, die Kraftklub in der letzten Strophe von "Teil dieser Band" besingen und die man von den Anfängen der Festival-Kultur her schätzt: Alles groovt, alles tanzt, und jeder quatscht jeden an: Man kommt wegen eines Shirtmotivs ins Gespräch oder weil man am Merch-Stand (der natürlich jeweils von den Bands selbst betrieben wird) die gleiche CD runterhandeln will.

Die Bandauswahl am Samstag war entsprechend handverlesen und im besten Sinn skurril zwischen Stoner-Rock, Metal, Doom-Irgendwas und .... ach, lesen Sie selbst:

Jara aus Stützengrün legten am Nachmittag auf der Skaterampen-Bühne im schönen AJZ-Garten gleich mal massiv vor. Die Band zelebriert einen zementharten Stonerdoom-Groove, dem die drei (!) Gitarristen im ausgeklügelt zeitgemäßen Zusammenspiel aber sämtliche Retro-Vibes aus dem Gerippe blasen. Das walzt massiv, zumal die straffe Rhythmus-Fraktion offenkundig heimlich geübt hat. Gesang und Gebrüll passieren zwar eher etwas nebenbei, aber erstens kann man sich Jara auch sehr gut als reine Sounderfahrung geben und zweitens es ist eh schon ein Wunder, dass man in der vogtländischen Provinztiefe überhaupt so ein bäriges Instrumentalisten-Team zusammenbekommt. Sehr schöner Auftakt, gern öfter!

Unlosolo aus Berlin bedienen dann den Spaßfaktor: Das Gitarre-Gitarre-Gebrüll-Trio, das mit grob gehacktem Drum- und Basscomputer agiert, kommt jedenfalls selbst nicht aus dem Grinsen heraus bei seiner Kaputt-Mixtur aus grellem Flinta-Punkpop, Grind-Sonstwas-Core und Noise-Rock. Klingt, als würden sich Dream Wife, S.O.D. und Atari Teenage Riot auf der Bühne balgen. Dafür muss man in Stimmung sein - vor allem auf einer Veranstaltung unter der großen, weiten Doom-Flagge. Aber: Dabeisein ist alles, und Überraschung auch!

Trahir aus Prag liefert dann in der einbrechenden Dunkelheit die stärkste Show des Festivals. Der Sänger turnt als eine Mischung aus Superhelden-Karikatur, Wicca-Hexenmeister und Conan-Kumpel mit Schwert und Zeremonienstab über die Grafitti-verziertes Skate-Rampe und  kling dabei ohne Scherz herzergreifend wie der junge Harry "The Tyrant" Conklin in seiner Titan-Force-Phase. Das gibt der Band zwangsläufig starke US-Kultmetal-Vibes mit, obwohl Trahir spürbar zwischen traditionellem Black-Sabbath-Doom und okkultuem Pyschedelic-Rock agiert. Der aktuell ja schwer angesagte Mix funktioniert aber hervorragend, zumal man es hier mit vier Supermusikern zutun hat. Allein der Gitarrist an seiner (leider doch etwas zu dürren!) Telecaster ist eine Flitzefinger-Schau: Der Mann freut sich offenbar schon seit Tagen auf seine Solos und bekommt den Fuß gar nicht mehr vom Wah-Pedal. Und der Bass-Fels hält alles schö stramm zusammen: Großartig, das aktuelle Album "Whose Hearts Petrified" sollten Genre-Genießer unbedingt bei Bandcamp anchecken!

Goat Explosion aus Leipzig können dem als erste Band im kleinen Saal des AJZ optisch nichts entgegensetzen, man beschränkt sich daher auf eine Art aggressive Shoegaze-Performance. Musikalisch ist die Band allerdings einen ganzen Zacken schärfer als die Tschechen: Der eigenwillige, teils experimentell angeschrägte Post-Doom baut eine sehr dichte, intensive Spannung auf, die gern auch im Blast eskaliert. Auch hier gibt es feine Heavy-Metal-Referenzen on Top, allerdings mit würzigem Prog-Faktor, wobei gelegentlich die Frühphase der gottähnlichen Fates Warning durchschimmert mit ihren großartigen harmonischen Reibungen. Fett!  Der Bassist provoziert dazu etwas Zeitgeist im Wiegedood-Longsleeve - die genialen Holländer spielen am gleichen Abend parallel mit Ultha in Jena, was sicher einige Fans vor eine schwere Wahl gestellt hat.

Giöbia aus Italien sind alte Hasen des Space-Rock und liefern als Co-Headliner eine ebenso engagierte wie souveräne Show: Ihre Routine spielt die Band in einem packend stimmigen Soundkleid aus, in dem sich vor allem die exaltierten Keyboards mit dem Rock-Besteck in spannende Balance bringen. Der Rickenbacker-Bass zimmert dazu ein knurrig-drahtiges Fundament, sodass das vor allem am aktuellen Album "Acid Disorder" orientierte Set straffer und etwas zugänglicher daherkommt als auf Platte. Das Publikum haben die Italiener damit jedenfalls quasi vollständig auf ihrer Seite: Kaum jemand ist nicht im Saal, alles schwelgt und gibt sich der spacigen Sinneserfahrung hin. Ein Zauber der Musik!

Black Rainbows sind komplett in den 70ern stehengeblieben: Die Trio aus Rom klingt ohne schamhafte Umschweife wie der uneheliche Enkel von Led Zeppelin und den frühen Motörhead. Aber, großes Aber: Die Energie, mit der die drei Rock-Wüstlinge ihr aktuelles "Superskull"-Material (was für ein Albumtitel!) im AJZ-Saal abfackeln, lässt keinerlei Retro-Gedanken aufkommen. Das ist pure sonische Gewalt, unfassbar für nur drei Instrumente. Der Gitarrist beherrscht sein Mörderriff-Instrument sowohl als Hammer als auch Pinsel, mit dem er farbige Space-Sounds ins Riffgewitter zaubert. Das treibt die Menge direkt in die Eskalation, zumal die drei Italiener wüten, als würden sie mal eben die Hauptbühne von Wacken zerlegen. Bezeichnend auch das eigenwillige MC5-Cover! Ein absolut würdiger Headliner, nicht nur in seiner selbstsicheren Vehemenz: So geht beherzte, von tiefer kultureller Liebe und Überzeugung getragenes Musizieren!

Grimm aus Leipzig sorgt dann zu sehr später Stunde mit seinem "Live Aerobic Doom"-Synthsounds für den passend durchgeknallten Ausklang. Jedenfalls klingt das auf Platten wie "Things We Do Alone In The Woods" nach sehr großartiger Horror-Score-Kiste. Der Rezensent indes ist durch und muss sich dieses Projekt für zu Hause aufheben.

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