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Unbekannte Prosa der jungen Brigitte Reimann erstmals zwischen zwei Buchdeckeln: mehr als eine Reifeprüfung

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Der Band "Katja" mit frühen, teilweise erstmals erschienenen Erzählungen von der früh verstorbenen DDR-Schriftstellerin ist eine echte Entdeckung.

Literatur.

Als die 74-jährige Anne Seghers gefragt wurde, ob sie für eine Anthologie nicht einen ihrer ersten Texte zur Verfügung stellen könne, entgegnete sie entgeistert, nein, man wolle doch nicht im Ernst publizieren, was sie als Schülerin geschrieben habe. Brigitte Reimann, die Anna Seghers verehrte und ihr als Schülerin eigene Manuskripte zur Beurteilung schickte, hätte auf die Frage womöglich ähnlich reagiert, mutmaßt Carsten Gansel, der 2023 die Brigitte-Reimann-Biografie "Ich bin so gierig nach Leben" veröffentlicht und jetzt als Herausgeber das Nachwort für den Band "Katja" geschrieben hat, der neun unbekannte Erzählungen der Schriftstellerin enthält. Darunter auch frühe Texte, die sie mit 15 beziehungsweise 19 geschrieben hat.

Bei Brigitte Reimann (1933 - 1973) aber stellt sich die Frage nach dem Sinn einer solchen Veröffentlichung nicht. Warum? Weil selbst die frühesten Texte, die mitunter pubertäre Themen wie die erste Liebe behandeln, erstaunlich reif wirken. Anders als der zuletzt veröffentlichte Roman "Die Geschwister", vom Verlag als Sensationsfund gehandelt, in Wahrheit aber nur ein bei der Sanierung von Brigitte Reimanns ehemaligem Wohnhaus in Hoyerswerda unter einem Treppenverschlag gefundenes und von Mäusen angefressenes Manuskript mit einer früheren Textfassung , handelt es sich bei den Erzählungen des neuen Bandes um echte Entdeckungen.

Nur drei davon sind veröffentlicht worden - in Zeitungen. Zwei in der Magdeburger Volksstimme (1953 und 1955), einer in der Wochenpost (1961). Alle handeln sie von selbstbestimmten Frauen in der jungen DDR. Ob es jene "Katja" in der Titel gebenden Erzählung von 1953 ist, die Theaterwissenschaften studiert und sich in einen Arzt verliebt, der verlangt, sie solle ihr Studium aufgeben und als Hausfrau nur für ihn da sein. Was für sie überhaupt nicht in Frage kommt. Oder die Malerin in "Ich werde in dieser Nacht allein sein" (1956), die im Künstlererholungsheim von ihrer weiblichen Lust zwischen zwei Männern zerrieben wird. In allen diesen starken Frauenfiguren steckt ein Stück von Brigitte Reimann selbst, die ihrer Zeit weit voraus war.

Schon 1952 als in der DDR der Schwangerschaftsabbruch nur aus medizinischen Gründen erlaubt war, schrieb sie in der Erzählung "Reifeprüfung" über Abtreibung. Sie selbst hatte, vor dem Abitur schwanger geworden, eine hinter sich. Trotz ihres jugendlichen Alters konnte sie sich deswegen in die junge Karla im Text hineindenken, der der Arzt nicht helfen kann. Wie sie das Thema als 19-Jährige literarisch verarbeitet, zeugt schon davon, dass aus ihr eine große Schriftstellerin werden würde. Wenngleich sie auch ihren Sound noch nicht gefunden hat, der erst im letzten Text des Bandes "Sonntag den …" (1970) voll ausgeprägt sein wird, der bereits auf ihren erst posthum erschienenen Kultroman "Franziska Linkerhand" (1974) vorausdeutet.

Sieht man von der historischen Erzählung "Claudia Serva" (1952) mal ab - die von einer Sklavin erzählt, die einen Aufstand anzettelt, der ihr über den Kopf wächst, und für ein nie zu Ende gebrachtes Buchprojekt bestimmt war, in dem Reimann Frauenschicksale von der Antike bis in die Gegenwart aufarbeiten wollte (Anna Seghers riet ihr dazu, bei sich und beim Selbsterlebten zu bleiben) - ist es erstaunlich wie konvergent die Texte dieses so nie konzipierten Bandes erscheinen. Sie zeigen auf eindrucksvolle Weise nicht nur die Entwicklung der Schriftstellerin Brigitte Reimann, sondern zeugen zugleich von der Aufbruchsstimmung in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR, die in "Zwei schreiben eine Geschichte" (1955) sowie dem ursprünglich für eine Schulweihnachtsfeier geschriebenen Laienspiel "Die Probe" (1948) unmittelbar fühlbar wird. Keine Frage: Mit ihren frühen Erzählungen hat Brigitte Reimann die Reifeprüfung mehr als nur bestanden. Sie sind ein Stück Literaturgeschichte.

Das Buch Brigitte Reimann: Katja. Erzählungen über Frauen. Aufbau, 236 Seiten, 22 Euro.

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