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Zum Tod von Tina Turner: Die unglaubliche Karriere einer Stehauf-Frau

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Mit einem musikalischen Mittelfinger an ihren tyrannischen Ex prägte sie die 80er - und mit einem der besten Bond-Songs aller Zeiten die 90er.

Pop-Legende.

Nicht nur ihren Nachnamen bekam die Sängerin von ihrem Ehemann: Wir schreiben das Jahr 1960, und Frauen, schwarze zudem, sind auf den Pop-Bühnen allermeistens schöne Dekoration. Vor allem für Ike Turner, Bandleader der "Kings Of Rhythm". Ihm war für die Aufnahme des Songs "A Fool In Love" kurzfristig sein Sänger ausgefallen - also musste seine Background-Chanteuse Anna Mae Bullock ran. Das Stück wurde ein kleiner Hit, und Turner erkannte das Potenzial der damals 21-Jährigen aus Brownsville im US-Bundesstaat Tennessee: Mit dem typischen Namen einer Pfarrerstochter aus einer rein schwarzen Baptistengemeinde, die zudem nach der Trennung der Eltern von der Großmutter aufgezogen worden war, konnte man in den USA dieser Zeit vermeintlich keinen Staat machen. Er nannte die junge Frau einfach Tina und seine Band entsprechend um: Ike und Tina Turner wurden zu einer Erfolgsshow mit Tourneen auf der ganzen Welt. Ike heiratete "seine" Tina Turner, man kassierte einen Grammy, produzierte mit Größen wie Phil Spector, ging mit den Rolling Stones auf Tour und prägte den R'n'B der 70er.

Die erste Ehe war die Hölle

Respekt brachte Turner seiner Frau allerdings nicht im Ansatz entgegen, wie Tina Turner später in ihrer Autobiografie schrieb: Er schlug sie, nahm sie sich, wann immer er wollte, bestimmte und kontrollierte ihr Leben und machte ihr dieses mit der Ehe zur Hölle. Dass der Hit "Nutbush City Limits" komplett von Tina stammte, übersah er gern: Als es der Sängerin 1976 gelang, ihren tyrannischen Gatten zu verlassen, wähnte er sie am Ende. Bei der Scheidung zwei Jahre später überließ er ihr die Songrechte dafür, sodass sie die gesamten Schulden und Konzertverpflichtungen des Duos übernahm.

Tina Turner musste von da an tingeln gehen: Die Mutter zweier kleiner Söhne musste in winzigen Klubs den Schuldenberg abarbeiten. Einige zu vorsichtige Disco-Soloalben floppten. Ohne Ike, da war man sich in der Männer-Branche sicher, taugte diese Sängerin eben nur für Bars. Nur in Europa sah man das leicht anders: Mit "Ball Of Confusion" und der Al-Green-Coverversion "Let's Stay Together" gelangen Tina Turner auf dem alten Kontinent zu Beginn der 80er zwei kleine Hits.

David Bowie setzte sich für sie ein

Vor allem aber sah es ein Europäer anders: David Bowie war vom Riesentalent der Frau überzeugt und trommelte in den Chefetagen der Plattenfirmen, die Tina Turner längst aussortiert hatten, für ein neues Album. Capitol Records ging das Wagnis ein. "Private Dancer" wurde ein atemloses Konglomerat aus traditionellem R'n'B sowie dem kühlen Wave der Zeit - und schlug heftig ein. Schon die erste Single, das bitter-trotzige Anti-Liebeslied "What's Love Got To Do With It" sprang direkt auf Platz 1 der Billboard-Charts. Der unüberhörbare Mittelfinger an Ike Turner wurde ein prägender Welthit der 80er. Obwohl neben dem von Mark Knopfler verfassten Titelsong vor allem Cover-Versionen auf der Platte zu hören sind (vom  Ann-Peebles-Smasher "I Can't Stand The Rain" bis zu "Help!" von den Beatles), wurde "Private Dancer" mit 20 Millionen verkauften Exemplaren zu einer der meistverkauften Platten des Jahrzehnts. Tina Turner hatte die unfassbar selbstbewusst-tiefen Neuinterpretationen einfach zu ihren Songs gemacht - und sich selbst zum Superstar.

Was die Stimmen, die ihr wenig zutrauten, nicht verstummen ließ: Vor allem Hohn und Spott erntete Tina Turner 1985 für die Hauptrolle im dritten "Mad-Max"-Film "Beyond Thunderdome". Viele sahen in ihrer Aunty Entity als Gegenspielerin von Mel Gibson einen ungeschickten Promo-Move. Doch für Turner war der Streifen, zu dem sie den wunderbar doppeldeutigen Megahit "We Don't Need Another Hero" beisteuerte, vor allem ein Herzensprojekt - sie liebte die kultige australische Untergrund-Reihe und bezeichnete den zweiten Teil ("Der Vollstrecker") oft als ihren Lieblingsfilm. Entsprechend fand der Streifen, in dem auch Rose-Tattoo-Sänger Angry Anderson als Bösewicht Ironbar mitwirkt, über die Jahre eine treue Fangemeinde. Was soll man sagen? "Typical Male" ("typisch männlich") hieß der Hit ihres nächsten Solo-Erfolgsalbums "Break Every Rule". Brich jede Regel? Genau!

Einer der besten Bond-Song aller Zeiten

Und dann kam 1995 der vielleicht tiefste Fußabdruck, den eine Sängerin in Hollywood hinterlassen kann: Mit dem James-Bond-Titelsong "Golden Eye" knallte Tina Turner, damals bereits 56, mal eben den bis heute zweitbesten Song der epochalen Filmreihe heraus. Sorry, Adele, sorry Billie Eilish! (Und sorry Tina, "Die Another Day" von Madonna ist leider die Nummer 1). Aber allein die immer wieder atemberaubende Vielfalt, mit der Tina Turner die "Goldeneye"-Hook variiert, zieht einem immer wieder neu das Fell über die Ohren und stellt die Darbietung der meisten Schauspieler in der ersten Pierce-Brosnan-Episode in den Schatten.

2009 zog sie sich, nach einer Abschiedstour und hoch geehrt, aus dem Showgeschäft zurück - ohne es je zu bereuen, wie sie stets versicherte. "Ich war so viel unterwegs, eine Frau vermisst es, wenn sie zu Hause nicht rumwuseln kann", meinte sie 2017 in einer britischen Talkshow zur Premiere eines Musicals über ihre Lebensgeschichte, "Tina - Das Tina Turner Musical". Zusammen mit ihrem Mann Erwin Bach, einem Kölner Musikmanager, den sie Mitte der 80er kennengelernt hatte, zog sie sich auf ein 5000-Quadratmeter-Anwesen am Zürchersee in die Schweiz zurück. 2013 heiratete das Paar. Vor dem Sterben hatte die Buddhistin nach eigenen Worten keine Angst: "Ich bin bereit, wenn die Tür sich öffnet", sagte sie im Oktober 2018 der "Zeit". Turner hatte Darmkrebs und ein Nierenversagen. Ihr Mann hatte ihr da bereits eine Niere gespendet.

Tina Turner ist am Mittwoch im Alter von 83 Jahren in Zürich gestorben.

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