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Vom Sternenstädtchen ins Haus am See

Zuhause bei Sigmund Jähn, dem ersten Deutschen im All

Strausberg.

Strausberg. Krähen krächzen. Die von Linden gesäumte Straße am Straussee in Brandenburg schlummert in winterlicher Sonntagsruhe. Als er noch jünger war, sprang Sigmund Jähn jeden Morgen ins klare Nass. Noch bevor die Kuckucksuhr im Wohnzimmer seines Hauses am Ufer 6 Uhr schlug - zu jeder Jahreszeit. Heute wartet er, bis es Mai und das Wetter in Strausberg milder wird. Im Rücken ziept es sonst. Der einstige Fliegerkosmonaut und erste Deutsche im All wird im Februar 74 Jahre alt. Sieben Enkel im Alter von zwei bis 30 Jahre bereichern sein Leben. Im August erblickte die erste Urenkelin das Licht der Welt. Die gesamte Familie wohnt nicht weiter als zehn Kilometer von der schnörkellosen Villa entfernt. Nach seiner Weltraum-Expedition sollte Jähn dort einziehen, um nahe an Berlin zu sein. Seine Frau Erika und er zögerten. Doch schon an der Gartenpforte verliebten sie sich in das Haus im Grünen, das heute in hellem Gelb gestrichen ist. Nach der Wende stand das Zuhause der Familie auf dem Spiel. Die Treuhand drohte mit Verkauf. Jähns kratzten Geld zusammen, um endgültig Eigentümer zu werden.

Die lebendigen Farben im Haus, Sonnengelb und Orangetöne an den Wänden, hat Tochter Grit ausgesucht. Schwere, auf Hochglanz polierte Holzmöbel stehen im Wohnzimmer davor. Durch große Fenster und eine verglaste Loggia fällt Licht auf gemütlich-altmodische Polster. An einer Wand erinnert ein Gemälde an die Hügel des Vogtlandes, an einer anderen lächeln die Kinder seiner beiden Töchter aus Bilderrahmen heraus. Sigmund Jähn sitzt mit seiner Frau Erika am Frühstückstisch in der Loggia und beißt in ein mit Käse belegtes Vollkornbrötchen. Gleich will er aufbrechen. So oft seine Zeit es zulässt, fährt er in die alte Heimat. Zehn Minuten hat er ins All gebraucht. Bis Rautenkranz sind es mit dem Auto drei Stunden und 20 Minuten. Diesmal wird es nur eine Stippvisite, der Terminkalender ist voll: Hartenstein, Berlin, Leipzig, Hannover - alles innerhalb einer Woche. "So verrückt ist es nicht immer", sagt er. Wenn er nicht zu einem Vortrag über die Weiten des Weltalls quer durchs Land düst, chauffiert er die Enkel in den Kindergarten oder zur Grundschule. Manchmal muss er dann Autogramme geben. Die Kleinen verstehen das nicht so recht. Er ist schließlich ihr Opa. Der Mann, der nebenan wohnt, im Garten Obstbäume stutzt und die Beete von Oma Erika umgräbt. Irgendwann kommt jedoch der Tag, an dem sie es genauer wissen wollen. "Opa", stupste ihn einer der Kleinen an. "Im Kindergarten haben sie gesagt, du warst im Weltall. Stimmt das?"

Dann fängt Sigmund Jähn an zu erzählen - nicht früher. Denn aufzwingen will er dem Nachwuchs seine Geschichte nicht, die ihn vor mehr als 30 Jahren in den Kosmos katapultierte. Die zweijährige Vorbereitungszeit im Sternenstädtchen Baikonur bezeichnet seine Frau heute als die schönsten Jahre. "Da war er mal zuhause", sagt die 74-Jährige. "Und hatte geregelte Arbeitszeiten."

Das Abenteuer war noch nicht abzusehen, als der Offiziersschüler der Fliegerschule in Bautzen sie 1955 zum Tanz aufforderte und anschließend um ein Rendezvous bat. Sigmund Jähn schmunzelt. Die Lachfältchen um die Augen lassen ihn jünger aussehen. Wenn sich die Blicke des Ehepaars über die Teller mit Zwiebelmuster hinweg treffen, sprechen sie von anhaltender Zuneigung. Die Schlager von damals hört Erika Jähn noch heute gern. Klassik von Beethoven und Brahms, wie sie ihr Mann etwa bei der Autofahrt hört, ist ihr zu ruhig.

Zur Karriere des einstigen NVA-Generalmajors gibt das Wohnzimmer kaum Hinweise. Seine Frau verbannte derlei Dinge aus der guten Stube. "Es sah aus, wie in einem Museum", erzählt sie. Die Erinnerungen an damals ruhen deshalb in einer beleuchteten Glasvitrine unterm Dach. Interessierten Besuchern zeigt Sigmund Jähn seine Schätze. Etwa die Wimpel eines jeden DDR-Bezirks, die er bei seinem einwöchigen Raumflug mitnehmen musste, Plaketten und Orden. Auch private Briefe seiner Töchter hatte er dabei. Angst, dass die Technik versagt, dagegen nicht. Auch wenn sich selbst seine Frau nicht vorstellen kann, wie man es in einer solch engen Raumkapsel aushält. Und dann lag die Erde hinter ihm. "Es war, wie eine Illusion", sagt er. "Ich hing über der Erde. Das Schönste ist, wenn man sieht, wo sie zu Ende ist." Dass Jesus übers Wasser ging, glaubt der Wissenschaftler nicht. Denn das sei physikalisch ja nicht möglich. "Aber wenn man sich die Unendlichkeit vorstellt, kommt man schon ins Grübeln." Der rechte Handschuh seines Kosmonautenanzugs zerbröselt langsam zu Staub. Noch immer schaut Jähn gern zur Milchstraße hinauf. "Die Sterne sind wie eine Fremdsprache. Man verlernt alles, wenn man sich nicht damit beschäftigt", sinniert er.

Ein Brief der Senatskanzlei Bremen, die ihn zu den Feierlichkeiten zu 20 Jahren deutscher Einheit als "ersten ostdeutschen Kosmonauten" einlud, steht gleichfalls in der Vitrine. Direkt neben dem Druckstock einer DDR-Tageszeitung von 1978, in der Jähn als erster Deutscher im All gefeiert wurde. "Die Perspektiven ändern sich", meint er dazu. Auf die Goldwaage legt er die Anrede nicht. Ebenso will Jähn seine Memoiren nicht mehr schreiben - zu wenig Zeit, sagt er. Viel davon verbringt der promovierte Physiker in seinem Büro im ersten Stock. Auf einer Seite der Tür haben sich Raumfahrt-Kollegen verewigt. Das Zimmer schmücken Jagdtrophäen, die an ein früheres Hobby erinnern. Wenn seine Frau einen Wildbraten zubereitet, findet sich die ganze Familie ein. Am Schreibtisch vorm Fenster beantwortet er Briefe und Autogrammwünsche, die ihn selbst aus Übersee erreichen. Ferner schreibt er dort an Vorträgen.

Grundschulen besucht er indes nicht mehr gern. Die Kinder erwarten einen jungen Kosmonauten und reagierten enttäuscht, wenn ein älterer Herr erscheint, erzählt er. Spurlos geht das an ihm nicht vorüber. Lieber fährt er an Unis. Die Hörsäle sind voll, wenn Sigmund Jähn über die Geschichte und Zukunft der Raumfahrt referiert. Für den 12. April ist er nach Moskau eingeladen. Juri Gagarin startete an jenem Tag vor 50 Jahren zum ersten Flug eines Menschen ins All. Doch Jähn plant eine Fahrt zur Sternwarte nach Hamburg. Schließlich hat er dort schon zugesagt. Und sein Wort gilt.

*Die Autorin ist mit Sigmund Jähn nicht verwandt.

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