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"H***sohn" - alles nur ein Spaß? Wie Schüler in Mittweida sich gegenseitig mobben

Ein 15-jähriges Mädchen wurde an einer mittelsächsischen Oberschule gemobbt. Auch ihr Bruder litt unter Mobbing - und nahm sich das Leben. Die "Freie Presse" sprach mit einer Schulsozialarbeiterin aus Mittweida.

Mittweida.

Freie Presse: Habt ihr an eurer Schule ähnliche Vorfälle wie mit dem besagten Mädchen erlebt?

Stephanie Birke: Nicht in diesem Ausmaß. Aber Mobbing begegnet uns täglich.

Freie Presse: Welche Formen seht ihr?

Stephanie Birke: Es fängt bei grundsätzlichen Umgangsarten an. Beleidigungen sind zur Jugendsprache geworden. Das körperliche Mobbing ist seltener, kommt aber vor, Beine stellen, gegen die Wand schupsen, oder übergriffiges Verhalten im Sinne von Anfassen, auf den Po hauen. Es überwiegt jedoch die verbale Attacke.

Freie Presse: Kannst du ein Beispiel nennen?

Stephanie Birke: Beim Tischtennis wird gerufen: "So eine Sch***, du dummer Hu***sohn!" Wenn wir auf sie zugehen, wird gesagt: "Das war nur Spaß, so reden wir doch immer." Lächelnd. Es ist für sie keine Beleidigung mehr. Wir regieren natürlich trotzdem und intervenieren, sobald wir sowas hören.

Freie Presse: Was richtet das in den Schülern an?

Stephanie Birke: Einige der gemobbten Schüler fühlen sich, obwohl sie uns als Schulsozialarbeiter annehmen, nicht sicher. Sie flüchten. Selbst mit Unterstützung und Hilfesystem sind sie nicht bereit, mitzumachen, entscheiden sich aus einer Opferrolle heraus, komplett zu gehen. Wenn es Vorfälle gibt, sagen sie: "Das sollen meine Eltern nicht wissen, das sollen die Lehrer nicht wissen." Und bleiben fern.

Freie Presse: Hast du dafür ein Beispiel?

Stephanie Birke: Eine Schülerin leidet sehr unter starken körperlichen Unwohlsein, weil sie gemobbt wurde. Sie bleibt oft zuhause, leidet dadurch unter Einsamkeit und weiteren körperlichen Symptomen. Wodurch die Mobber noch mehr Angriffsfläche haben. Sie selber sagt immer, sie nimmt Angriffe für sich nicht mehr an. Wir merken aber, dass das nicht der Fall ist. Es ist ein Teufelskreis geworden und wir versuchen ihn durch Gespräche, mit ihr, mit den Eltern und den Mitschülern zu durchbrechen.

Freie Presse: Was lösen diese Umgangsformen mit dir aus?

Stephanie Birke: Ich bin fassungslos und erschrocken, wie miteinander gesprochen wird. Auch über die Respektlosigkeit gegenüber Lehrern. Dass Schüler sagen: "So rede ich auch mit meinen Geschwistern." Das löst bei mir Erschrecken aus, und ich frage: In welcher Generation sind wir gelandet? Und regelrechte Wut fühle ich, dass es so weit gekommen ist, dass man spottet, wenn einem ein Unglück passiert ist.

Freie Presse: Warum machen so viele mit?

Stephanie Birke: Ich glaube, dass viele sich entscheiden, mitzumachen, damit nicht sie selbst dran sind. Wir arbeiten als Schule und als Sozialarbeiter sehr daran, stärken das Schulklima. Man kann sagen, bei uns wird etwas dagegen getan.

Freie Presse: Wir geht man mit dem Täter um, wenn er über Handy mobbt, diffamierende Bilder teilt, sexualisierte Inhalte?

Stephanie Birke: Wir haben Schüler, die mit dem Handy bloßgestellt, fotografiert oder auf Tiktok gestellt werden. Das führt zur Strafanzeige. Im frühen Stadium versuchen wir über Gespräche an den Täter heranzukommen, mit beiden, Täter und Opfer, zu sprechen. Bei manchen wirkt das. Bei manchen kommt raus, dass sie Täter sind, weil sie selbst Opfererfahrung hatten.

Freie Presse: Welche Rolle spielt beim Täter seine heimische Umgebung?

Stephanie Birke: Wir haben einen Täter, der auch von der Körperstatur in diese Rolle passt. Es ist aber nur eine Rolle, denn eigentlich ist er lieb und umgänglich. Er wird zuhause von seinem Vater abgewertet. Und man merkt es auch im Geschlechterbild: Dass der Junge Frauen auf das körperliche beschränkt. Der Vater lebt vor, wie der Junge Frauen gegenübertritt.

Freie Presse: Wie geht ihr mit den Opfern um?

Stephanie Birke: Nach jeder Art von Übergriffen, ob sexueller Natur oder verbal, ist es wichtig, dass ein Team um die Person ist, ob Familie oder Schule, das dann gemeinsam daran arbeitet, dass nicht das Opfer sich anpasst. Dass es nicht nur Strategien entwickelt, nicht sagt: "Ich geh nicht mehr allein auf Toilette, nicht mehr allein raus." Ich würde so reagieren: Wenn wir wissen, es gibt den Täter hier in der Schule, dann darf der Täter nicht mehr allein aufs Klo, nicht mehr das und dies. Warum sollten wir das Opfer einschränken?!

Freie Presse: Und wenn jemand die Schule wechselt?

Stephanie Birke: Finde ich nicht schlimm. Im Gegenteil. So lange er nicht permanent wechselt, kann ein Neuanfang gut sein.

Stephanie Birke

Die 30-Jährige ist Schulsozialarbeiterin an der Johann-Gottlieb-Fichte-Oberschule Mittweida. 520 Schüler besuchen die Schule. Birke kümmert sich um Belange von Schülern, Eltern und Lehrern. Die gebürtige Meißnerin hat soziale Arbeit in Mittweida studiert und ist dort seit Februar 2016 als Schulsozialarbeiterin tätig.

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