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Stressabbau und Ruhepol? Kühe sind auch zum Kuscheln da

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Monty ist ein Ochse, um die 600 Kilo schwer und zum Kuscheln da. Seine Ruhe überträgt sich, schwärmt eine Familie, die ihm und anderen Rindern ganz nahe war.

Schönewalde.

Melanie John geht mit Monty auf Schmusekurs. Der Ochse wiegt locker um die 600 Kilo, liegt friedlich im Sand und lässt sich von der 25-Jährigen kraulen. "Seine Ruhe brauche ich jetzt gerade", sagt die Sozialarbeiterin. Sie setzt sich dicht neben Monty auf den Boden, streichelt ausgiebig sein Fell und lehnt sich an ihn.

Kuscheln mit Kühen, die sonst aus der Ferne auf den Weiden zu sehen sind und zur Milch- oder Fleischproduktion gehalten werden? Die Agrarwissenschaftlerin und Therapeutin Jessica Exner bietet das auf ihrem "Hof der Verbundenheit" im südbrandenburgischen Dörfchen Wildenau bei Schönewalde an. "Ich bin halt ein totaler Rinderfan", sagt sie. Auch bei Melanie John, die in Dresden lebt, sind Berührungsängste schnell verflogen, als sie zum Kuscheln an Monty heranrückt.

Begegnung mit einem Rind - ob Kämpfernatur oder fürsorglich

Jessica Exner, die früher mit Hunden und ihren beiden Schweinen Ping und Pong therapeutisch und auch in Schulen in Berlin gearbeitet hat, will anderen Menschen die Begegnung mit Rindern nahebringen. "Sie strahlen eine Ruhe aus", schwärmt sie. Man fühle sich bei ihnen gut aufgehoben, weil die Tiere untereinander auch ein Sozialgefüge und Familiensystem aufbauten.

An dem sommerlich warmen Tag, an dem Melanie John mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester zum Kuscheln eintreffen, tragen die Rinder zum Schutz vor den Fliegen ein Netz über dem Gesicht. Neben Monty leben auf dem Hof im Elbe-Elster-Kreis rund 100 Kilometer von Berlin entfernt auch der Ochse Baldur - also ein kastriertes männliches Rind - und die Kühe Isolde und Barbara. Teils wurden sie vor der Schlachtung gerettet, wie die Hofbetreiberin erzählt.

Sie will vermitteln, dass Rinder eben nicht nur Nutztiere sind, sondern individuelle Lebewesen mit eigenem Charakter. Der dreijährige Monty ist noch in der Pubertät, wie die 42-Jährige erzählt, die eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie absolviert hat. Da er als Kälbchen krank zur Welt gekommen sei, stecke in ihm auch eine Kämpfernatur. Baldur sei der Herdenchef und sehr intelligent. Barbara gilt als die Fürsorgliche. Isolde sei manchmal noch ein bisschen ängstlich und schüchtern. "Das liegt aber, glaube ich, hauptsächlich daran, dass sie Menschen sehr genau scannt und erst mal gucken möchte, wer da überhaupt auf sie zukommt", sagt Exner, die an Baldurs Seite sitzt. Dankbar sei sie und voller Demut. "Also der könnte mich jetzt einfach locker platt machen. Da hat er aber gar kein Interesse dran. Und ich finde das so schön, und genau davon können wir Menschen uns manchmal ganz viel abgucken."

"Das mach' ich auf jeden Fall wieder"

Melanie John, die als Sozialarbeiterin in einem Seniorenheim arbeitet, lächelt nach der Kontaktaufnahme mit dem 600-Kilo-Tier zufrieden. Aber wie ist das mit der Angst? "Ich hab' gemerkt, er will mir nichts Böses", sagt John. "Von Minute zu Minute wurde das dann besser und ich konnte richtig nah an ihn ran und mit ihm kuscheln." Die 25-Jährige sagt von sich selber, sie sei manchmal ein nervöser Mensch und habe gehofft, Ruhe und Kraft bei den Kühen zu finden. "Ich mach’ das auf jeden Fall mal wieder." Auch ihre Mutter Simone John erzählt vom Wunsch, einer Kuh, die man sonst nur von Ferne sieht, ganz nah zu kommen. "Ich habe es sehr genossen, das ist ein unbeschreiblich schönes und entspanntes Gefühl, ein Glücksgefühl. Das geht so richtig tief."

Tiere als Unterstützung therapeutischer Arbeit

Hof-Besitzerin Jessica Exner sieht ihre Tiere auch als eine therapeutische Unterstützung, etwa wenn Menschen in Lebenskrisen und mit psychischen Erkrankungen Hilfe suchen. "Wenn Menschen Freude am Umgang mit Tieren haben, dann macht halt jegliche Form von Therapie mit einem Tier gemeinsam mehr Freude", sagt sie. Sie nutze Tiere vor allem als Brücke, um in eine Beziehung zu einem Menschen zu treten. Wichtig sei aber immer, dass nicht das Tier an sich der Therapeut sei, sondern immer noch der Mensch.

Hunde, Pferde, Esel, Alpakas oder Delfine sind längst im Einsatz für therapeutische und pädagogische Projekte. Das Feld der tiergestützten Arbeit insgesamt wächst aus Sicht des Bundesverbandes Tiergestützte Intervention, der auf seiner Internetseite Angebote vom Süden bis in den Norden Deutschlands auflistet. Die Arbeit mit Kühen sei noch nicht so weit verbreitet, teilte der Verband mit. Die Wesensmerkmale dieser Tiere - wie Ruhe, Empathie, Geduld und Neugierde - können aus Sicht des Verbands aber dazu beitragen, eine heilsame Umgebung für Menschen zu schaffen und therapeutische Prozesse fördern.

Auch die Stiftung Bündnis Mensch & Tier mit Sitz in Bremen berichtet von einem größer werdenden Netzwerk von Begegnungshöfen in Deutschland, die bestimmte Qualitätskriterien und Anforderungen an die tiergerechte Haltung erfüllen müssen. "Rinder sind tolle Tiere, sensibel und achtsam", sagt die Stiftungsleiterin Carola Otterstedt, die zahlreiche Publikationen zur Mensch-Tier-Beziehung veröffentlicht hat. Doch ganz einfach sei ihr Einsatz nicht. Denn allein durch ihr hohes Gewicht könne ein Zwischenfall mit einem Rind ernste Folgen haben. Ein Beispiel: "Wenn ein Rinderfuß auf unserem steht, hat man einen gebrochenen Fuß", sagt Otterstedt. Wichtig sei es, die non-verbalen Ausdrucksweisen der Tiere zu verstehen.

Die Brandenburgerin Jessica Exner erzählt, bei ihr seien allenfalls mal blaue Flecken zurückgeblieben, weil sie sich selber ungeschickt verhalten habe. "Meine Rinder haben einen freundlichen Charakter und passen alle gut für meine Arbeit." Auf ihren Hof kämen viele jüngere Leute und längst nicht nur gestresste Großstädter.

Ochse Baldur spaziert durchs Dorf

Ihr Grundstück im brandenburgischen Elbe-Elster-Kreis will Exner künftig zu einem Jugend- und Seminarhaus weiterentwickeln, damit mehr Projekte für junge Leute entstehen können. "Ich möchte gerne, dass mehr Menschen die Ruhe genießen dürfen, dass mehr Menschen mit meinen Tieren in Kontakt treten dürfen." Ihre Praktikantin Sara, die seit einigen Monaten in einer Wohngruppe in der Nähe lebt, hat keine Angst mehr vor den großen Tieren. Mit dem Ochsen Baldur habe sie sich angefreundet, erzählt sie. Inzwischen geht sie mit ihm im Dorf spazieren. "Dass er mir so vertraut, ist ein sehr schönes Gefühl." (dpa)

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