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Thielemanns Ausstand mit der "Frau ohne Schatten" an der Dresdner Semperoper: Ein rauschhafter Schwanengesang

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Der Stardirigent verabschiedet sich mit überragendem Erfolg von dem Musiktempel an der Elbe und zeigt in der Richard-Strauss-Oper letztmalig alles

Opernpremiere.

Zwölf Jahre hat Christian Thielemann es noch nirgendwo ausgehalten. An seinen früheren Stationen ging der begnadete Dirigent immer im Unfrieden von selbst. In Dresden besorgte den Abschied eine abenteuerliche Kulturpolitik: Erneuern müsse sich die Semperoper in den nächsten Jahren, und dafür, so der Subtext, stehe Thielemann mit seinem zugegeben begrenzten Repertoire nicht ein, hieß es vor drei Jahren.

Damit regierte Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch in die Geschicke des Traditionshauses in ungeahnter Weise hinein. Das darf sie. Es weist aber nicht gerade auf Weitsicht hin, denn Thielemann und seine Staatskapelle erreichten gemeinsam Höhenflüge, die Dresden auch über die engen Horizonte des Elbetrogs hinaus die gern beschworene sächsische Exzellenz beglaubigten. Sei's drum: Zuvorderst in Berlin reibt man sich die Hände ob der freien Plätze in Thielemanns Kalender - und der Maestro selbst bekennt salomonisch, dass es doch schön sei, wenn man beim Abschied "schade" sagt, anstatt sich zu bekriegen.

Nun also besorgt Christian Thielemann seine letzte Premiere als Chefdirigent der Kapelle an der Semperoper mit der "Frau ohne Schatten" von Richard Strauss, und was soll man sagen: Fast 25 Minuten Standing Ovations sprechen für sich. Der Saal rast wohl auch für die herausragenden Sängerdarsteller, die Thielemann der Einfachheit halber gleich mit abzieht, denn solche Größen wie an diesem Abend finden sich so zusammengepfercht erstmal nicht so schnell wieder im Besetzungszettel am Dresdner Theaterplatz. Damit beweist er ungefragt noch einmal, dass dort, wo Exzellenz und Zeitgeist ungleiche Kämpfe ausfechten, am Ende auch in Dresden erstmal nur ein Vakuum übrigzubleiben droht. Hinter der Bühne befürchten manche nun den Abstieg vom "A"- zum "B"-Haus. Warten wir's ab.

Vor allem gilt der frenetische Jubel daher Thielemann selbst, der in seinem Schwanengesang aus der riesigen Partitur noch einmal alles herausholt, was geht: Richard Strauss' und Wagners "Wunderharfe" fließen in eins, sie gehören zusammen und sind füreinander geschaffen. Nicht umsonst brachte der Münchner neun seiner 15 Opern hier heraus, und auch "Die Frau ohne Schatten" erlebte in Dresden ihre deutsche Premiere 1919 nur wenige Tage nach der Wiener Uraufführung. Damals galt Dresden als Epizentrum musiktheatralischer Innovation. Über 100 Jahre später sucht die Staatskapelle mit ihren üppigen (und sauteuren) Strauss-Festtagen den alten Glanz zu konservieren und werbewirksam für sich nutzbar zu machen.

Aber es liegt eben mehr darin als eine schnöde "Marke": Richard Strauss hat sich fest in die Klangkultur der Kapelle eingegraben, und das merkt man auch an diesem Abend. Mit aller notwendigen Flexibilität und Präzision eines Opernorchesters, dessen Solisten an Violine und Cello im Übrigen schier überirdische Schönheit produzieren, kann sie alle Farben zwischen kammermusikalischer Delikatesse und auftrumpfendem Tutti bedienen, ohne je unkultiviert auszubrechen, immer auf dem Atem der Sänger segelnd, stets fein nuanciert und mit einem glutvoll-warmblütigen Klang, den es so eben nur selten gibt. Anders als beim zuletzt eher vornehm zurückgenommenen "Tristan" entlockt Christian Thielemann seinem Orchester vollmundig die Identität eines selbstbewussten Akteurs, der das symbolüberladene Libretto der Oper fast allein und ohne Worte erzählen könnte.

Trotzdem ist es neben dem überraschend verjüngt wirkenden Opern- und dem ganz fabelhaft agierenden Kinderchor natürlich die erstklassige Solistenriege, die das "Schmerzenskind" aus der kongenialen Kunststube von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zum Triumph bringt. Angefangen von einer grandiosen Camilla Nylund als Kaiserin und Evelyn Herlitzius als glänzend mephistophelischer Amme sind hier bis in die kleinen Rollen hinein exzellente Stimmen besetzt, die man bisher in Dresden beruhigt erwarten durfte. Auf ganzer Linie können vor allem auch Oleksandr Pushniak als Färber Barak und Miina-Liisa Värelä als seine Frau mit ihren überaus geglückten Hausdebüts überzeugen. Niemand ragt hier einsam hervor, alle dienen dem Stück, und zwar nicht nur sängerisch, sondern auch darstellerisch.

Das liegt vor allem an der Personenführung David Böschs, der das symbolistische Märchen um die Menschwerdung überirdischer Wesen ganz auf die Entwicklung seiner Figuren konzentriert. Sie suchen in der Magie der rätselhaften Geschichte keine rationale "Lösung", sondern erkennen darin das Wesentliche: nämlich humane Wesen zu sein. Allfällige Assoziationen zur gewalttätigen Entstehungszeit nach dem Ersten Weltkrieg werden nicht auf der Bühne behauptet, sondern finden in den Köpfen des Publikums statt.

"Die Frau ohne Schatten" erliegt schon bei Strauss keinem Eskapismus, sie flüchtet nicht in Weltvergessenheit, sondern findet in Empathie und Nahbarkeit den Kern einer - freilich idealisierten - Gemeinschaft. Insofern ist auch das jenseits der Kitschgrenze verortete Schlussbild Böschs zu verstehen: Zwar mag Hoffmannsthals Musik gewordene Ode auf die glückliche Familie und den erfüllten Kinderwunsch als Krönung derselben aus heutiger Sicht vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß erscheinen. Das aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem Regisseur jenseits aller Grabenkämpfe zwischen Realismus und Dekonstruktivismus darum geht, das Menschliche an sich zum Kulminationspunkt der großen Metapher des Schattens zu machen.

Während die überirdische Welt nur in wallenden Traumvorhängen wabert, zeigt sich die Werkstatt des Färbers Barak als handfeste Kulisse (Bühne: Patrick Bannwart), in der all das stattfindet, was des Menschen ist. Die Stärke in Böschs Arbeit liegt darin, nicht Modernität um jeden Preis, sondern eine vielschichtige Botschaft zum Kern seiner Kreation gemacht zu haben. Damit folgt er voll und ganz dem Gestus der klaren Musik: Denn Brüche gibt es schon im Libretto mehr als genug. Ein wahrhaft großer, ein rauschhafter Abend - nicht ohne Abschiedsträne im Knopfloch.

Weitere Vorstellungen von "Die Frau ohne Schatten" in der Semperoper Dresden am 27. und 30. März sowie am 2. April.

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