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Gegner hinterfragen Selenskyjs Legitimität

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Präsidentenwahlen in der Ukraine gibt es wegen des Kriegsrechts nicht. Deshalb gibt es Debatten um die Legitimität von Staatschef Selenskyj. Gegner in Kiew und Moskau schauen besonders auf ein Datum.

Kiew/Moskau.

Den 20. Mai vor fünf Jahren hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj als jüngster Staatschef in der Geschichte des Landes noch in bester Erinnerung. Er versprach den Ukrainern damals bei seiner Amtseinführung nach einem Rekordwahlergebnis Frieden.

"Ich bin ohne zu zögern bereit, meine Popularität und selbst mein Amt zu verlieren, nur damit der Frieden kommt", sagte er. Stattdessen kämpft der 46-Jährige seit mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Das Kriegsrecht hat nicht nur die Pläne für die Präsidentenwahl am 31. März durchkreuzt. Es lässt auch Selenskyjs Vollmachten, die eigentlich am 20. Mai auslaufen, weiter in Kraft.

Trotz dieser im Grunde klaren Lage tobt um das Datum nun eine Debatte. Dass Selenskyj über den Tag hinaus an der Macht bleibe und dann ins sechste Amtsjahr startet, "schafft ein unerwartetes Problem für die ukrainische Demokratie", sagt der Experte Konstantin Skorkin von der Denkfabrik Carnegie. Anders als die Nachbarn Russland und Belarus sei die Ukraine stolz auf ihre Tradition freier Wahlen. Leiseste Zweifel, dass an dieser Errungenschaft gekratzt werden könnte, lösten daher in der ukrainischen Gesellschaft und der Elite "Schockwellen" aus.

Gegner in Kiew und vor allem in Russland, das seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen hatte, stellen derzeit offen Selenskyjs Legitimität in Frage. Zwar haben der Präsident und sein Apparat unter die Berufung auf die Verfassung klargemacht, das Kriegsrecht sei Garant für die Fortsetzung der Amtsgeschäfte und der Vollmachten im vollen Umfang. Aber die Debatte darum will nicht verstummen.

Vielleicht gebe es nach dem 20. Mai gar keinen Grund mehr, sich über Selenskyjs Vollmachten noch Gedanken zu machen, meinte der russische Außenminister Sergej Lawrow Ende März in einem Interview. Deutlicher wurde der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja, der sagte, dass Selenskyj dann nicht mehr legitim im Amt sei, weil er eigenmächtig über die Absage der Präsidentenwahl entschieden habe. Laut Verfassung hätte die Wahl eigentlich am letzten Sonntag im März im fünften Amtsjahr angesetzt werden sollen.

Warnung vor russischer Desinformationskampagne

Schon Ende Februar verbreitete der ukrainische Militärgeheimdienst eine Warnung, dass Russland zwischen März und Mai eine Desinformationskampagne zur Legitimität Selenskyjs nach dem 20. Mai starten werde. "Der Plan des Feindes sieht vor, dass in der ersten Junihälfte die Lage in unserem Land erschüttert wird und dann unter Ausnutzung der Situation die Ukraine im Osten militärisch besiegt wird", teilte die Behörde mit. Für den Plan mit dem Namen "Maidan 3" habe Moskau umgerechnet fast 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt, behauptete der Geheimdienst. Das sei somit die teuerste Aktion der russischen Geheimdienste in der Geschichte. Beweise legte der Geheimdienst keine vor.

Doch nicht nur die russische Propaganda will in dem Konflikt, der auch ein Informationskrieg ist, mit solchen Debatten Selenskyjs Autorität auf internationaler Bühne schwächen. Auch im Land selbst sind sie längst Gegenstand innerpolitischer Grabenkämpfe.

Das Lager um Selenskyjs Widersacher Petro Poroschenko, der nach seiner Niederlage 2019 bei der nächsten Wahl wieder antreten will, stellt den Rückhalt für den Präsidenten ebenso in Frage wie frühere Weggefährten des einstigen Schauspielers. Ex-Parlamentschef Dmytro Rasumkow, der Selenskyjs Wahlkampf und auch die Partei Diener des Volkes geführt hatte, meinte in einem Videoblogeintrag, dass der Präsident seine Vollmachten abgeben müsse nach dem 20. Mai. Zwar könne nur das Verfassungsgericht eine endgültige Antwort auf die Frage geben, doch ducke sich Selenskyj da weg.

Bröckelnde Unterstützung im Parlament und drohende Unregierbarkeit

"Das schafft Unsicherheit im Inneren des Landes und nach außen", warnte Rasumkow. Vor allem Kriegsgegner Russland werde das ausnutzen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Abgeordneter, der frühere Selenskyj-Gefolgsmann Olexander Dubinskyj, der wegen des Vorwurfs des Hochverrats in Untersuchungshaft sitzt. Legitim sei nur noch das Parlament, die Oberste Rada, sagte er.

Doch bröckelt auch die Unterstützung im Parlament für Selenskyj immer weiter. Formell gehören seiner Fraktion noch 235 von einmal 254 Abgeordneten. Doch faktisch nehmen nur noch 170-180 der Abgeordneten an den Abstimmungen teil; Präsident und Regierung sind auf Stimmen anderer Fraktionen oder Gruppen angewiesen. Von den verbliebenen 401 Parlamentariern wollen Selenskyjs Fraktionschef David Arachamija zufolge allein bei der Präsidentenpartei mindestens 17 ihr Mandat abgeben. Experten erwarten, dass die schon jetzt nicht einfache Suche nach Abgeordnetenstimmen sich nach dem 20. Mai weiter erschweren wird. Es könnte zu einer Form von Unregierbarkeit kommen.

Selenskyj baut indes nach Meinung von Experten einem möglichen Machtverlust vor, wie auch die jüngsten Entlassungen von Wegbegleitern und die Einsetzung von handzahmen Gefolgsleuten zeigten. Selenskyj wappne sich durch den Umbau seines Apparats für die schwierigere außen- und innenpolitische Lage, meinte der Carnegie-Experte Skorkin.

Gestärkt wird nach Einschätzung von Beobachtern vor allem der Leiter der Präsidialverwaltung, Andrji Jermak, der seit Langem als eine Art Präsident im Verborgenen gilt. An die Stelle des entlassenen Sekretärs des Sicherheitsrates, Olexij Danilow, und Selenskyjs Berater Serhij Schefir seien Leute Jermaks getreten, heißt es.

Sinkende Unterstützung in der Bevölkerung

Umfragen von Meinungsforschungsinstituten sehen zwar weiter Rückhalt in der Bevölkerung für Selenskyjs Entscheidungen, aber die Unterstützung sinkt zusehends. "Natürlich werden für sich genommen die Vorwürfe einer Illegitimität Selenskyjs einfache Ukrainer nicht beunruhigen", sagt Skorkin, "aber wenn diese von schweren militärischen und sozialen Problemen begleitet werden, dann können sie ernster werden." (dpa)

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