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Deutschland

NSU lobte: "Schon fast ein kleiner Waffenladen"

Das NSU-Trio hatte guten Draht zur bewaffneten Neonazi-Szene Baden-Württembergs. Dort starb 2007 die Polizistin Michcle Kiesewetter. Warum?

Chemnitz/Heilbronn.

Beim ersten Besuch in Baden-Württemberg waren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt begeistert. "Vor allem über die Waffen die sie alle haben ... schon fast ein kleiner Waffenladen", schrieb Mundlos an den Chemnitzer Kameraden Torsten S. Auf dessen Vermittlung hin hatten Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe im April 1996 Freunde aus der Ludwigsburger Neonazi-Szene besucht. "Beate und Böhni" schliefen bei "Uschi", schrieb Mundlos, er und ein Freund hätten bei Hans S. übernachtet. Der verfügte über ein besonders beeindruckendes Waffenarsenal, wenngleich es sich zumeist um Deko-Waffen handelte.

Damals war das spätere Terror-Trio noch nicht abgetaucht. Mundlos pflegte von Jena aus viele Kontakte - nach Chemnitz, Rostock, Ludwigsburg. Das geht aus seiner Korrespondenz mit Szene-Freunden hervor. Zig Briefe beschlagnahmte man bei den Razzien 1998, als das Trio abtauchte. Wie auch Mundlos' sichergestellte Telefonlisten, die die Ludwigsburger Adressen von "Uschi", von Hans S. und dem zwischenzeitlich gestorbenen Michael E. aufführten, blieben auch Mundlos' Briefe im Zuge der Fahndung unbeachtet. Erst nach Auffliegen des Terror-Netzwerks tauchte die Korrespondenz wieder auf. Der "Freien Presse" liegt sie in Auszügen vor.

"Der Besuch in Ludwigsburg" sei in Bezug zum Mord an der Polizistin Michcle Kiesewetter "bemerkenswert", hielten die Ermittler fest: "Ludwigsburg ist nicht weit entfernt vom Tatort Heilbronn". Dass das Trio über die Chemnitzer Szene wohl sogar direkte Kontakt nach Heilbronn verfügte, hatte "Freie Presse" bereits 2012 berichtet. Nach Aussagen des NSU-Fluchthelfers und Strengstoff-Beschaffers Thomas S. hatte der Chemnitzer Rechtsextremist Markus F., der beim Abtauchen des Trios auch Kontaktperson war, Verbindungen zur Heilbronner Neonazi-Szene. Er richtete dort Partys aus. Über Markus F. hatte der Ludwigsburger Waffensammler Hans S. die Chemnitzer Szene und das Jenaer Trio erst kennengelernt. Die Besuche waren gegenseitig. So schrieb Mundlos einem Freund bereits im Februar 1995 von einem bevorstehenden Konzert der Band "Noie Werte". Er freue sich, "dass auch der Rest von Euch aus Chemnitz" und die "Bande aus Ludwigsburg" kämen, so Mundlos. Aufhorchen lässt in dem Fall auch der Name der Band, gleich dreifach.

Zum einen garnierte das NSU-Trio Vorläufer-Versionen des Bekenner-Videos zur Mordserie mit Titeln der rechtsextremen Gruppe, bevor man auf die Trickfilm-Figur Paulchen Panther zurückgriff. Zweitens war der "Noie Werte"-Sänger Steffen Hammer, inzwischen Szene-Anwalt, zeitweise Kanzleikollege von Nicole Schneiders, die den mutmaßlichen NSU-Helfer Ralf Wohlleben verteidigt. Schneiders studierte in Jena und leitete dort mit Wohlleben die Orts-NPD. Doch sie stammt aus Öhringen nahe Heilbronn. Die dritte "Noie Werte"-Verbindung führt ins Chemnitzer NSU-Helfernetz. Seit 2000 spielte Andreas G., genannt "Mucke" , in der Württemberger Neonazi-Band. Der Chemnitzer war beruflich übergesiedelt. "Wie erklären Sie sich die Nutzung der ,Noie Werte‘-Titel ,Kraft für Deutschland‘ und ,Am Puls der Zeit‘ in zwei Bekennervideos des NSU?", fragte man "Mucke" 2012 in einer Vernehmung. "Das kann ich mir nicht erklären. Das ist eine Unverschämtheit", ereiferte sich der Neonazi-Musiker vor BKA-Beamten.

Intern hatte sich die Szene vorm Auffliegen der Mordserie noch kämpferischer gegeben. Im Antwortbrief zu Mundlos' Ludwigsburg-Bericht klagte der Chemnitzer Thorsten S. über im Fernsehen gesehene Razzien bei Kameraden. Seine Prognose: Es sei nicht verwunderlich, wenn die ,, Rechten" eines Tages "in den Untergrund" gingen "und man plötzlich eine rechte RAF hat."

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