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"Ich war damals 19 Jahre jung und leistete meinen Grundwehrdienst"

Hallo Herr Eumann,

im Zusammenhang mit Ihrem Beitrag vom 04.08.2018 werden wir Leser gebeten, unsere persönlichen Erinnerungen aufzuschreiben, die wir mit dem Raumflug von Sigmund Jähn assoziieren.

Nun, ich war damals 19 Jahre jung und leistete gerade meinen Grundwehrdienst im Motorisierten Schützenregiment 23 der Nationalen Volksarmee am Standort Bad Salzungen. Dieses militärische Objekt ist heute als Werratal-Kaserne der Bundeswehr bekannt (auch "Freie Presse" berichtete bereits darüber). Dabei war ich als Richt-Lenk-Schütze (RLS) auf einem sowjetischen Schützenpanzer des Typs BMP-1 eingesetzt. Um diese Dienststellung begleiten zu können, hatte man mich vorab zu einem fünfmonatigen Lehrgang an eine Unteroffiziersschule delegiert. Nach Rückkehr ins Regiment - es begann mittlerweile mein zweites Diensthalbjahr - wurde ich der Aufklärungskompanie (AklK) zugeteilt. Wir waren eine relativ kleine Einheit mit nur drei BMP-1. Die RLS der anderen beiden Gefechtsfahrzeuge befanden sich bereits im dritten (und somit letzten) ihrer Diensthalbjahre.

Für den Spätsommer des Jahres 1978 war eine Überprüfung des Ausbildungsstandes der gesamten 4. Motorisierten Schützendivision (zu der auch das MSR-23 gehörte) durch eine vom Oberkommando der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages beauftragte, von einem russischen General geführte Kommission, angekündigt worden. Mithin keineswegs ein alltägliches Ereignis, sondern ein bei allen Beteiligten beträchtliche Anspannung hervorrufendes. Uns, der AklK des MSR-23, wurde dabei die Aufgabe zugewiesen, den Stand der Schießausbildung zu demonstrieren - wobei wir drei RLS die Hauptbewaffnung der Einheit (Bordbewaffnung der BMP) zu bedienen hatten. In den Wochen und Monaten vorm Inspektionstermin verbrachten wir unzählige Stunden zu den unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten auf dem Schießausbildungsplatz, um zu trainieren. Manchmal, wenn ein Übungsschießen "suboptimal" verlaufen war, wurde auf dem Rückmarsch in die Unterkunft das Anlegen der vollständigen ABC-Schutzausrüstung befohlen. Einmal war durch ein Missgeschick meinerseits der Treibsatz einer Granate abgebrochen. Als Folge musste ich dann auf der Ladefläche jenes LKW nächtigen, auf dem die Kiste mit dem defekten Munitionsteil stand, bevor selbiges am nächsten Morgen im Munitionslager entsorgt werden konnte.

Meine beiden RLS-Kameraden meinten: "Uns kann ja nicht mehr viel passieren, denn im Oktober werden wir nach Hause entlassen. Aber du, Kluge, musst noch weitere sechs Monate hier bleiben. Und wenn du diese Sache vergeigst, wird man die Wut an dir auslassen. Dann werden die dich 'runderneuern', sodass du keinen Spaß mehr hast! Da möchten wir wahrlich nicht in deiner Haut stecken ..." Doch solchen Befürchtungen konnte am Überprüfungstag die Grundlage entzogen werden, denn da klappte alles ganz hervorragend. Dank erstklassig justierter Zieloptiken und mit dem erforderlichen Quäntchen Glück konnten wir die Erwartungen nicht nur erfüllen, sondern sogar übertreffen. Nach Abschluss der Inspektion beförderte man unseren Regimentskommandeur und Standortältesten, Oberstleutnant Ernst Harnack, zum Oberst. Herr Harnack ist übrigens Chemnitzer und leitete später langjährig das Wehrkreiskommando Karl-Marx-Stadt/Land an der Mendelejewstraße, bis zur Auflösung der NVA 1990.

All das geschah in der Zeit von Jähns Weltraumflug, ohne es heute noch auf den Tag genau datieren zu können. Nachdem bereits der Tscheche Vladimír Remek und der Pole Mirosław Hermaszewski Flüge im Rahmen des Interkosmos-Programms absolviert hatten, teilte man uns im Politunterricht mit, dass in Kürze auch ein Oberstleutnant der NVA in den Kosmos starten werde. Als es soweit war, würdigten die Zeitschriften "Armeerundschau" und "Jugend + Technik" das Ereignis mit einer gemeinsamen Sonderausgabe. Im MHO-Laden (Militär-Handelsorganisation) erwarb ich eines dieser Hefte und bewahre es noch heute als Erinnerungsstück auf. Vor 10 Jahren versah unser Fliegerkosmonaut, Herr Generalmajor a.D. Dr. rer. nat. Sigmund Jähn mein Exemplar mit seiner persönlichen Signatur (siehe beigefügtes Bild), was mich sehr freute.

Zahlreiche von uns jungen Wehrpflichtigen, die wir seinerzeit in Bad Salzungen dienten, waren im Erzgebirge, im Erzgebirgsvorland oder im Vogtland zu Hause. Daher kam schon eine gewisse Freude darüber auf, dass gerade ein Sachse, ja ein Mann aus unserem Heimatbezirk, für die erste Weltraummission mit deutscher Beteiligung nominiert worden war.

An Herrn Dr. Jähn schätze ich seine Bescheidenheit im Auftreten und das stete Bemühen, Dinge aus Vergangenheit und Gegenwart unter differenzierendem Blickwinkel zu betrachten, anstatt sich dem jeweils herrschenden Mainstream kritiklos anzuschließen.

Mit freundlichen Grüßen aus Taura

Dietmar Kluge

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