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Das Steigerlied ist Kulturerbe - So reagiert das Erzgebirge

Die Hymne des Bergleute ist nun Kulturerbe. Für viele Erzgebirger war sie das längst. Doch was genau verbinden sie mit dem Steigermarsch?

Erzgebirge.

Vom Kind bis zum Senior, vom Bergmusiker bis zum international erfolgreichen DJ: Das Steigerlied kennt im Erzgebirge fast jeder. Und viele können zu der Hymne der Bergleute eine Geschichte erzählen. Jeder eine andere.

Bergmann André Altermann aus Johanngeorgenstadt

Mit dem schreienden Töchterchen auf dem Arm, gerade drei Monate alt, stand André Altermann im November 2015 in Mannheim auf dem Krankenhausflur. Mit Frau und Kind besuchte er damals seine Schwiegermutter. Weil sich das Würmchen so gar nicht beruhigen wollte, stimmte der gelernte Bergmann kurzerhand das Steigerlied an. "Denn kein Kinderlied wollte mir einfallen", erinnert sich der 33-Jährige und schickt hinterher: "Die Kleine hat sich sofort beruhigt." Nur schauten ihn alle Umstehenden ob seines Gesangs ziemlich verdutzt an. "Sie kannten das Lied offenbar nicht", sagt Altermann und lacht.

Für ihn aber ist es nicht irgendein Lied. Er bezeichnet es vielmehr als Hymne seines Berufsstands und des mehr als 1000 Jahre alten Bergbaus im Erzgebirge. "Die Strophen symbolisieren für mich den festen Zusammenhalt, der unter allen Bergleuten herrscht. Das ist intensiver als in anderen Gewerken", findet der verheiratete Familienvater aus Johanngeorgenstadt.

Sieben Strophen hat die erzgebirgische Version. Der 33-Jährige ist textsicher und kennt sie alle auswendig. "Ehrensache", sagt Altermann, der seine Lehre zum Bergmann 2006 in der Bergsicherung Schneeberg begann und inzwischen Polier in der Bergbauabteilung ist. Sein beruflicher Werdegang hat familiäre Wurzeln. "Mein Opa war 30 Jahre bei der Wismut. Das Steigerlied kenne ich deshalb von klein auf. Ich habe es zeitig gelernt und verinnerlicht." So wie sein Töchterchen jetzt auch.

Star-DJ Rico Einenkel aus Gornsdorf

Auch Stereoact, die Star-DJs aus dem Erzgebirge, haben sich schon mit dem Steigerlied befasst. "Ich hatte tatsächlich mal mit einem Remix davon angefangen, habe ihn aber nie fertig gemacht", sagt Rico Einenkel aus Gornsdorf, der mit Sebastian Seidel aus Annaberg-Buchholz das erfolgreiche Duo bildet. Die Idee, mit dem berühmten Volkslied zu arbeiten, sei irgendwie da gewesen. "Einfach aus Lust und Laune. Vielleicht ist das ja jetzt der richtige Anstoß, das Ganze wieder in Angriff zu nehmen", sagt Einenkel. Er fände es jedenfalls spannend, das Steigerlied musikalisch ins Hier und Jetzt zu transportieren. "Es ist ja ein Kultsong, den jeder mitsingt im Erzgebirge - und auch im Ruhrpott gehen alle steil bei dem Lied."

Fußballfan Jens Dittrich aus Beierfeld

Jens Dittrich ist einer der größten Fans des FC Erzgebirge Aue. Schon seit Ende der 1970er-Jahre verpasst er fast kein Heimspiel, besitzt von Saison zu Saison Abo-Recht. Das Erzgebirgsstadion ist sein zweites Wohnzimmer. Und eben dort hat er auch das Steigerlied gelernt. Wann genau er das erste Mal eingestimmt hat, lässt sich nicht mehr genau sagen. "Es war definitiv nach der Wende", so der 56-jährige Beierfelder. Mittlerweile ist er komplett textsicher und beherrscht alle Strophen. Auch sein Sohn und sein Enkel, die ebenfalls glühende Anhänger der Lila-Weißen sind, haben das Lied im Stadion gelernt. Überhaupt kenne den Text die gesamte Familie. "Der Steigermarsch ist eine richtige Hymne geworden. Wird es irgendwo angestimmt, steh' ich auf", so der Beierfelder. Besondere Momente mit dem Lied hat er nicht nur zu den großen Derbys im Stadion erlebt, sondern auch beim Europäischen Blasmusikfestival in Bad Schlema. Gänsehaut erzeuge es, wenn alle Orchester - egal aus welchem Land sie kommen - beim Einmarsch ins Festzelt den "Steiger" intonieren. "Meine Tochter Luisa und ihr Freund Michael sind sehr musikalisch und spielen ihn auf Geige und Trompete immer zu Weihnachten bei uns zuhause - besser geht es nicht", gerät Dittrich ins Schwärmen.

Vugelbeerkönigin Sandra Göthel aus Scheibenberg

Immer wenn Sandra Göthel das Steigerlied anstimmt, hat sie Erinnerungen an ihren Opa im Kopf. "Er ist eingefahren, hat viele Jahre im Schacht gearbeitet", sagt die 36-Jährige. Die Mutter zweier Kinder, sieben und elf Jahre alt, ist seit Herbst vorigen Jahres die 25. Vugelbeerkönigin von Lauter-Bernsbach, repräsentiert die Stadt und das dort ansässige Unternehmen Lautergold mit einer Spirituosen-Tradition seit 1734. Die gängigen vier, fünf Strophen des Steigerlieds beherrscht Sandra Göthel aus Scheibenberg im Schlaf. Denn in der Heimatgruppe "HaamwERZ" singt sie diesen Titel regelmäßig. "Ich verbinde die Zeilen auch mit dem Auer Fußball, wo ich öfter hingehe." Ihre Kinder beherrschen das Steigerlied ebenso. "Jeder Erzgebirger sollte es können. Es ist unsere Hymne", findet Göthel. Deshalb freue sie die Wertschätzung sehr, die jetzt erfolgt ist. "Es macht mich stolz. Denn meine Heimat, die liebe ich." Und das drücke nichts besser aus als das Steigerlied.

Dirigent Jens Kaltofen aus Olbernhau

Rund 100 Mal pro Jahr spielt das Musikkorps Olbernhau das Steigerlied, schätzt Dirigent Jens Kaltofen. Aber auch schon die Vorgänger des Klangkörpers, etwa das Blasorchester des VEB Blechwalzwerkes Olbernhau oder die Saigerhüttenkapelle hatten das Stück fest in ihrem Repertoire. "Für mich ist es das Lied, das ich mit den Orchestern am längsten spiele - inzwischen rund 43 Jahre", sagt Kaltofen. Auf die Frage, ob er es trotzdem noch immer hören kann, muss er lachen. Dann sagt er: "Ich finde, es ist ein sehr schönes Lied mit einer eingängigen Melodie und vor allem identitätsstiftend." Der 53-Jährige sieht das Steigerlied schon als Hymne des Erzgebirges an. "Damit ist es nicht verboten, das Stück auch einmal im Ruhrpott zu spielen", sagt Kaltofen.

Orchesterleiter Tilo Nüssler aus Oelsnitz

Tilo Nüssler weiß nicht, wie oft er schon den Taktstock fürs Steigerlied geschwungen hat, der Leiter des Bergmusikkorps "Glück auf" Oelsnitz ist aber überzeugt, "wir Oelsnitzer spielen das irgendwie besonders. Dass dieses Lied nun Kulturerbe ist, macht mich sehr stolz." Es habe für ihn schon zeitig eine große Rolle gespielt. Denn bereits mit sieben Jahren musizierte er im Pionierorchester des Karl-Liebknecht-Schachtes - und dort natürlich auch das Steigerlied. "Das hat mich als Kind schon berührt", sagt der 62-Jährige. Und noch etwas fällt ihm sofort ein: Sein Großvater habe in Neuoelsnitz die Schranken bedient, wenn die Kohlezüge kamen. Als kleiner Steppke sei er oft dort gewesen, wenn der Großvater Dienst hatte. "Und wenn dann ein Zug kam, haben wir zusammen draußen gestanden und das Steigerlied gesungen."

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