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"Freie Presse"-Entdeckertour: Das Haus des Montanunternehmers in Carlsfeld

Die "Freie Presse" öffnet wieder Türen zu faszinierenden Orten, die sonst für die Öffentlichkeit geschlossen sind. Der zweite Teil der Entdeckertour führt nach Carlsfeld, in das Hammerherrenhaus, das beinahe abgerissen wurde, aber dank eines Vereins gerettet wurde.

Carlsfeld.

"Gewohnt hat mein Urahn, Veit Hans Schnorr, in diesem Haus nie. Er lud dorthin aber Gäste ein und hat vielleicht auch darin übernachtet. Es war ein reiner Zweckbau", sagt Hartmut Schnorr von Carolsfeld. Der 83-jährige Kölner ist so etwas wie das Oberhaupt der heute weitverzweigten, in ganz Deutschland und in Kanada lebenden Familie, deren Ursprünge auf jene Schnorrs zurückgehen, die im 17. Jahrhundert zu den größten Montanunternehmern in Sachsen gehörten. Und das Hammerherrenhaus in Carlsfeld bauten. Dorthin lädt "Freie Presse" im Rahmen der "Freie Presse"-Entdeckertour am Samstag ab 10 Uhr ein. Hartmut Schnorr von Carolsfeld hat sein Kommen angekündigt.

Viele Geschichten ranken sich um das 1680 vollendete Hammerherrenhaus. Mirko Sauerbaum, Vorsitzender des Fördervereins Geschichte Carlsfeld, kann jene erzählen, als Veit Hans Schnorr Schneeberger Ratsherren zu einem Essen ins Hammerherrenhaus einlud. Dass der Unternehmer in der Kirche zu Schneeberg, wo die Familie lebte, eine Extrapforte einbauen ließ für sich und die Seinen, schmeckte denen nicht. Doch Schnorr verfolgte einen Zweck mit seiner Einladung: Nach dem Essen konnten die Herren dann doch nicht anders, als zuzustimmen, sonst hätten sie vielleicht in der Öffentlichkeit ihr Gesicht verloren.

Noch spektakulärer ist die Geschichte von Veit Hans Schnorr dem Älteren, also dem Vater. Der wurde bei seinem Besuch der Leipziger Messe auf Geheiß des russischen Zaren verschleppt und in das Land weit im Osten gebracht, um dort im Uralgebiet das Montanwesen zu befördern. Viele Jahre blieb er dort, bevor ihm die Flucht gelang. Bis nach Hause kam er nicht mehr. Er verstarb unterwegs, an einem bis heute unbekannten Ort. Seine Frau, Rosina Schnorr, führte derweil nicht nur als erfolgreiche Unternehmerin die Geschäfte, sondern stand auch einer großen Familie mit vielen Kindern vor. Sie nahm elternlose Kinder auf und gründete in Schneeberg ein Waisenhaus. Aus heutiger Sicht eine wahre Powerfrau.

Das Hammerherrenhaus war das erste Wohnhaus im Ort

Doch zurück nach Carlsfeld. Dass der Ort so heißt, geht auf Georg Carol von Carlowitz zurück, der ursprünglich vom damaligen Landesfürsten den Auftrag bekommen hatte, eine Eisenhütte in den Wäldern des Oberen Erzgebirges anzulegen, um das dort anstehende Erzvorkommen auszubeuten. Weil dieser erkrankte, übernahm Veit Hans Schnorr der Jüngere den Auftrag. Nach dem Hüttenwerk entstand das Hammerwerk an der Wilzsch, das er 1683 Carolsfeld nannte. Das Hammerherrenhaus war das erste Wohnhaus im Ort; weil es zunächst keine Kirche gab, wurden dort auch Gottesdienste abgehalten.

Dass es das Hammerherrenhaus heute noch gibt, ist einigen engagierten Carlsfeldern zu verdanken. Dem Haus, das durch die Jahrhunderte mehrfach den Besitzer wechselte und zum Schluss ein Wohnhaus für Forstbedienstete war, drohte der Abriss, nachdem es etwa drei Jahre leergestanden hatte. Zum damaligen Zeitpunkt stand es nicht unter Denkmalschutz. Lange Verhandlungen des 2010 gegründeten Fördervereins Geschichte mit dem Staatsbetrieb Immobilien- und Baumanagement (SIB), in dessen Besitz es zu dieser Zeit war, und die Tatsache, dass beim Landesamt für Denkmalschutz ein Antrag vorlag, das Haus unter Denkmalschutz zu stellen, verhinderten schließlich seinen Abbruch. Der Förderverein erwarb das Haus.

Insgesamt wurden bisher fast 300.000 Euro investiert

Seitdem laufen die Bemühungen des Vereins um die Sanierung des Gebäudes, mit dem Ziel, es einer neuen Nutzung zuzuführen. "Es geht nur Schritt für Schritt", so Mirko Sauerbaum. Richtig stolz ist man im Verein, dass bereits das Dach, die Fassade, die Fenster und Türen erneuert werden konnten. Insgesamt wurden bisher fast 300.000 Euro investiert. Jüngst wurde die benachbarte Remise so weit ausgebaut, dass sie bald dem Verein als Domizil dienen kann.

Nun soll es an den Innenausbau des Herrenhauses gehen. Zwischen Dach und Keller und den Außenwänden befinden sich wahre Schätze. Zu nennen ist da unter anderem die in reinem Kobaltblau bemalte Holzbalkendecke im großen Saal. Den kostbaren Farbstoff produzierte Schnorr in seinem Blaufarbenwerk am Pfannenstiel bei Aue, das ihm seit 1677 gehörte, selbst. Es war eine der Quellen des Reichtums seiner Familie. "Effektvoller konnte man Wohlstand kaum zur Schau stellen als durch einen kobaltblau ausgemalten Saal", formuliert es Kunsthistoriker Mario Titze, der zu "Das barocke Schneeberg" promoviert hat.

In den Adelsstand erhoben, und damit den Namen von Carolsfeld tragend, wurde Veit Hans Schnorr 1687. Davor hatte er ein wahres Firmenimperium aufgebaut. Zu diesem gehörten in Aue der Auerhammer, die Weißerden-Zeche St. Andreas, die Kaolin für die Meißner Porzellanherstellung lieferte, das Blaufarbenwerk Niederpfannenstiel, das unter anderem Kobalt für die Delfter Fliesen lieferte, die Schwefelhütte in Neidhardtsthal, Weitersglashütte, ein Waffenhammer in Unterstützengrün, das Messingwerk in Ellefeld (Vogtland), die Glashütte Jugel in Johanngeorgenstadt, das Brau- und Malzhaus in Schneeberg sowie der Barockgarten auf Vorwerk Brünlasberg Oberschlema.

Im Hammerherrenhaus Carlsfeld gibt es noch mehr Bemerkenswertes zu entdecken: die einzigartige Stuckdecke aus dem 18. Jahrhundert. Sie hat wohl der spätere Besitzer, Johann Benjamin Hennig, in Auftrag gegeben. Titze schreibt dem Haus "eine außergewöhnliche, ja einzigartige künstlerische Ausstattung" zu, "die die gesamte barocke Stilepoche umfasst und beispielhaft repräsentiert". Seine Rettung sei eine Aufgabe von hohem öffentlichen Interesse für die Region und die Denkmallandschaft von ganz Sachsen.

Hier wurden unter anderem die Glasflaschen für das Dresdner Mundwasser "Odol" hergestellt

Immer wieder zieht es auch heute Nachfahren des Veit Hans Schnorr nach Carlsfeld. Auf deren Besuchsprogramm steht nicht nur das Hammerherrenhaus. Denn ebenso bedeutsam für den Ort und die sächsische Baugeschichte ist die Trinitatiskirche. Dieses 1688 durch den Dresdner Oberlandesbaumeister Wolf Caspar von Klengel errichtete Gotteshaus, gestiftet von Veit Hans Schnorr von Carolsfeld, gilt als erste Zentralkirche in Sachsen und als Vorbild der Dresdner Frauenkirche. Denn George Bähr, der als junger Zimmerergeselle am Bau der Carlsfelder Kirche beteiligt war, ist der Erbauer des berühmten Bauwerks in Elbflorenz.

Schon allein wegen dieser beiden bemerkenswerten Gebäude müsste das kleine Dorf im westlichen Erzgebirge weltweit in aller Munde sein. Tatsächlich gibt es aber noch mehr Gründe dafür, denn Carlsfeld gilt als Wiege des Bandonions.

Aus den Werkstätten, die um 1850 hier entstanden sind, trat das Handzuginstrument seinen Siegeszug um die Welt an, indem es vor allem nach Südamerika geliefert wurde und dort mit dem Tango zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen ist. Noch heute gibt es eine der wenigen Handzuginstrumenten-Werkstätten in dem Ort. Robert Wallschläger, der auch der Vorsitzende des Carlsfelder Bandonionvereins ist, baut und repariert dort die Instrumente.

Und schließlich ist das mit "weltweit in aller Munde" wortwörtlich zu nehmen. Denn bis 1979 gab es in Carlsfeld ein Glaswerk. Dort wurden unter anderem die Glasflaschen für das Dresdner Mundwasser "Odol" hergestellt. Nach dem Abbruch der Industriebrache entsteht auf der Fläche mitten im Ort derzeit eine Feriensiedlung.

Das erwartet Sie am 22. Juli zur Entdeckertour in Carlsfeld 

Geschichtsverein öffnet das Hammerherrenhaus im Ort - Alles zum Termin und zur Anreise

Anreise: Carlsfeld ist ein Ortsteil der Stadt Eibenstock und liegt im Westerzgebirge. Von Aue aus erreicht man den Ort über die Bundesstraße 283, in Wildenthal dem Abzweig nach Carlsfeld folgend. Vom Vogtland aus geht es ebenfalls über die B 283 über Schönheide nach Carlsfeld. Die Adresse: Schnorr-von-Carolsfeld-Weg 3 in 08309 Carlsfeld.

Was Sie am 22. Juli erleben können: Von 10 bis 15.30 Uhr stehen das Hammerherrenhaus und die Remise offen. Die Führungen starten ab 10.15 Uhr immer im Halbstundentakt. Außerdem kann die Tinitatiskirche besucht werden, dort steht immer jemand für Erklärungen bereit. In der Kirche endet die Entdeckertour um 15.30 Uhr mit einem Benefizkonzert des Bandonionvereins. Für Verpflegung ist gesorgt.

Eintrittspreise: 5 Euro für Erwachsene, 2,50 Euro für Kinder von 6 bis 12 Jahren, Schwerbeschädigte kostenlos; mit Pressekarte 1 Euro Rabatt. Parken kann man unter anderem an der Hauptstraße. (ike)

Geschichtliche Fakten zu Carlsfeld 

1676 fasste der sächsische Kurfürst Johann Georg II. den Entschluss, eine Eisenhütte an der Wilzsch zu errichten. Zunächst ging der Auftrag an den Amtshauptmann von Zwickau, Georg Carol von Carlowitz. Dieser erkrankte, und so erwarb Veit Hans Schnorr der Jüngere, Handelsherr und Bergunternehmer aus Schneeberg, das königliche Privileg.

1678/79 Bau des Eisenwerkes an der Wilzsch, etwa um die gleiche Zeit entstehen in dem Ort eine erste Mühle und das Malz- und Brauhaus "Grüner Baum".

1680 Errichtung des Hammerherrenhauses, das zunächst auch als Schule und für Gottesdienste genutzt wurde.

1682 Namensgebung des Ortes zu "Carolsfeld".

1682 Stiftung für die Kirche sowie für eine Schule mit Lehrerwohnung und ein Pfarrhaus.

1684 bis 1688 Bau der Kirche nach italienischem Vorbild

1687 verlieh Kaiser Leopold I. den Schnorrs das Adelsprivileg, seitdem führen die Familienmitglieder den Namenszusatz "von Carolsfeld".

Um 1750 wurde im Hammerherrenhaus in einem Raum im Erdgeschoss eine Stuckdecke mit Rokoko-Ornamenten und kleinen Putti als Allegorien der vier Jahreszeiten in den Eckfeldern eingebaut.

150 Jahre diente das Hammerherrenhaus als Forstamt und war nach 1945 ein Wohnhaus.

Seit 2010 steht das Haus unter Denkmalschutz. (ike)

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