Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen

Sachsen ist „Zwangsräumungsmeister des Ostens“: Darum könnten im Freistaat jetzt noch mehr Menschen ihr Zuhause verlieren

Schon gehört?
Sie können sich Ihre Nachrichten jetzt auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu einfach auf das Play-Symbol in einem beliebigen Artikel oder fügen Sie den Beitrag über das Plus-Symbol Ihrer persönlichen Wiedergabeliste hinzu und hören Sie ihn später an.
Artikel anhören:

Mehr als 2250 Mietparteien sind in Sachsen im vergangenen Jahr zwangsgeräumt worden. Das ist Negativrekord in Ostdeutschland. Und alles könnte dieses Jahr noch schlimmer werden.

Dresden/Chemnitz.

Mietsteigerungen, Verdienstausfälle durch Corona, explodierende Energie- und Lebenshaltungskosten: In Sachsen konnten und können sich viele Mieter ihre Wohnung oder Gewerberäume nicht mehr leisten. Tausende blieben deshalb im Freistaat im vergangenen Jahr über einen längeren Zeitraum ihre Miete schuldig, 3146 davon drohte die Räumung. 2278 Mieter verloren dann tatsächlich ihr Zuhause: Sie wurden zwangsgeräumt. Das geht aus einer Antwort der sächsischen Justizministerin Katja Meier (Grüne) auf eine Anfrage der Linkspartei-Landtagsabgeordneten Juliane Nagel hervor. Die Zwangsräumung ist die härteste Art, aus der eigenen Wohnung geworfen zu werden. Nach einer durchgesetzten Kündigung und einem Räumungsurteil nimmt ein Gerichtsvollzieher – manchmal mit Unterstützung der Polizei – die Wohnung für den Eigentümer in Besitz. Im schlimmsten Fall landen die Mieter dann direkt auf der Straße.

Sachsen im Bundesvergleich in den Top 5 bei den Zwangsräumungen

Die Anzahl der Zwangsräumungen von Wohnraum in Sachsen ist 2023 im Vergleich zu 2022 wieder leicht gestiegen. Dabei führen die Amtsgerichte Leipzig und Dresden die Statistik deutlich an. Chemnitz folgt auf Platz 3. Sachsen liegt schon seit Jahren im Bundesvergleich in den Top 5 bei der absoluten Anzahl der Zwangsräumungen - nach den bevölkerungsreichen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen. „Sachsen ist Räumungsmeister Ostdeutschlands“, beklagt die Linkspartei. Dabei bedeute, aus einer Wohnung geräumt zu werden, nicht selten Wohnungslosigkeit.

Mietschulden für Räumungen der Hauptgrund

„Der Hauptgrund für Wohnungsräumungen sind Mietschulden“, erklärt die Leipziger Linke-Politikerin Juliane Nagel. „In den Großstädten steigen die Mieten weiter deutlich, sachsenweit sind die Nebenkosten zur zweiten Miete geworden.“ Die Preiserhöhungen für Wohnkosten, Energie und Lebensmittel seien für Menschen mit niedrigem Einkommen zur Riesenbelastung geworden.

„Nachzahlungs-Schock“: Experten warnen vor Verschlimmerung der Lage

Doch Experten warnen jetzt schon: Es könnte für noch mehr Haushalte in Sachsen jetzt richtig eng werden. Denn viele Mieter haben ihre Nebenkostenabrechnungen für das Jahr 2022 erhalten - zum Teil mit horrenden Nachzahlungsforderungen für die Heizkosten. Verbraucherschützer sprechen von einem regelrechten „Nachzahlungs-Schock“. In Leipzig zum Beispiel seien die Nebenkosten im Median um 22 Prozent und damit bundesweit am stärksten gestiegen, sagt Juliane Nagel. „Die Lage wird sich aber noch verschlimmern: Seit 2024 gelten staatliche Dämpfungsmechanismen wie Fernwärme- und Gaspreisbremse und die geringere Umsatzsteuer nicht mehr.“

Linkspartei fordert ein Kündigungsverbot

Die Linkspartei fordert deshalb einen Masterplan, um dem Wohnungsverlust vorzubeugen. „Kündigungen aufgrund erheblicher Heizkostennachzahlungen müssen verboten werden“, so Juliane Nagel. „Wir wollen für den durchschnittlichen Verbrauch von Strom und Heizenergie preisgünstige Sockeltarife schaffen.“ Zugleich müsse der soziale Wohnungsbau vorangetrieben, der Druck auf Bundesebene erhöht werden, einen Heizkostennotfallplan zu erstellen und einen Härtefallfonds für Energieschulden und Nebenkostennachzahlungen einzurichten. „Der Staat muss in den Wohnungsmarkt eingreifen, um Mieten und Energiepreise zu deckeln. Wohnen und Energie sind Menschenrecht“, so Juliane Nagel.

Mehr Bürger in der Erstberatung

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIM) hatte angesichts hoher Wohnkosten schon vor einem Jahr auf ein Kündigungsmoratorium gepocht. „Niemand sollte wegen Miet- oder Energieschulden seine Wohnung verlieren“, sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin Claudia Engelmann damals dem Evangelischen Pressedienst. Die Gefahr, dass mehr Menschen wegen steigender Mieten und hoher Kosten für Strom und Heizung ihre Wohnungen verlieren, sei aber sehr real. Nach Angaben der Caritas suchen mehr Bürger zum ersten Mal in ihrem Leben eine Sozial- oder Schuldnerberatung auf. Das sei ein alarmierender Trend, so die Expertin.

Sächsisches Justitzministerium: Zwangsräumungsverbot nicht erlassbar

Das sächsische Justizministerium verweist unterdessen auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit. Dadurch sei es der Landesregierung gar nicht möglich, eine Weisung zu erteilen, um Zwangsräumungen zu unterbinden, wie es in der Antwort auf die Anfrage heißt. Allerdings erhalte zum Beispiel die Verbraucherzentrale Steuergelder, um im Vorhinein Zwangsräumungen zu vermeiden, etwa, indem alle Sozialansprüche ausgeschöpft, die Energiekosten gesenkt oder außergerichtliche Verhandlungen mit dem Vermieter geführt werden. Auch hätten Mieter bei der Sächsischen Aufbaubank bis zum 20. Oktober wegen der gestiegenen Energiekosten Gelder aus dem Härtefallfonds des Bundes beantragen können. (juerg)

Icon zum AppStore
Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!
  • Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
  • E-Paper und News in einer App
  • Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.