Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen

Balkonkraftwerke: Nachfrage steigt - doch Großvermieter sind nicht begeistert

Mit steigenden Energiepreisen wächst in Mittelsachsen die Nachfrage nach Steckersolaranlagen. Die Zeiten langer Lieferzeiten scheint bald vorbei. Doch der Sonnenstrom vom Balkon hat gerade für Mieter auch seine Tücken. Ob die Anschaffung wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt von vielen Faktoren ab.

Freiberg/Flöha.

Was anfangs wie eine Guerilla-Bewegung von Insidern erschien, hat sich herumgesprochen: Die Mini-Variante einer Photovoltaik-Anlage ist auf Carport-Dächern in Einfamilienhausgebieten mittelsächsischer Kleinstädte genauso zu entdecken, wie auch an Balkons von Mehrfamilienhäusern wie zum Beispiel in einem Flöhaer Wohngebiet. Das wirkt offensichtlich ansteckend. Immer häufiger fällt in Gesprächen unter Nachbarn das Stichwort "Balkonkraftwerk". Es klingt so einfach: zwei Solarmodule mit Halterung und Wechselrichter sind zum Preis zwischen 700 unter 900 Euro zu haben. Der Aufbau ist selbst für Laien unproblematisch. Und ist so eine 600-Watt-Anlage dann mit einer Steckdose verbunden und die Sonne scheint, liefert auch eine kleine Anlage zumindest tagsüber einen Teil des Eigenverbrauchs an Strom.

Händler: Monatelange Lieferzeiten gehören der Vergangenheit an

Das spricht sich herum. Und so spürt zum Beispiel Lutz Raasch, Inhaber der Niederwiesaer Firma Ravi-Solar, die wachsende Nachfrage bei den Bestellungen in seinem Online-Shop: "Im Vergleich zu vorigem Jahr ist die Nachfrage etwa drei- bis fünfmal so hoch. Durch die bisherige Lieferschwierigkeiten wurden auch wir überrannt von wiederholten Anfragen per Mail und Telefon", erklärt Raasch. Noch zu Jahresanfang sei die Situation angespannt gewesen. "Es gab praktisch für die Mini-Solaranlagen keine Wechselrichter." Es handele sich fast ausschließlich um in China beziehungsweise Asien hergestellte Waren, die von der Unterbrechung von Lieferketten betroffen waren. Diese Situation entspanne sich derzeit, man könne wieder mit Lieferterminen rechnen. Kunden berät Raaschs Firma vor allem in den Regionen Chemnitz, Mittelsachsen, Erzgebirge und dem Vogtland. Vielfach kämen neue hinzu durch Empfehlungen. "Und so sind oft auch schnell die Nachbarn überzeugt." Zum mehr als 90 Prozent handele es sich um private Hausbesitzer. Monatelange Lieferzeiten für Balkonkraftwerke gehören auch nach Aussage von Lukas Hoffmeier, Gründer des Leipziger Solar-Start-ups priwatt, der Vergangenheit an. Derzeit könne priwatt nach einer Bestellung zum jetzigen Zeitpunkt in der zweiten Septemberhälfte liefern. Der größte Teil der Interessenten besitze ein Eigenheim, unter einem Drittel wohne zur Miete

Großvermieter in Mittelsachsen sehen Balkonsolargeräte kritisch

Während sich Hausbesitzer nur um die Anmeldung ihrer Mini-Solaranlage bei der Bundesnetzagentur und beim Stromversorger kümmern müssen, gibt es für Mieter noch eine weitere Hürde. Sie müssen die Erlaubnis des Vermieters einholen. Großvermieter in Mittelsachsen betrachten solche Initiativen aber teils kritisch angesichts bürokratischer Hürden und eines zusätzlichen Aufwands. Das kann zum Beispiel Daniel Kästner, der Vorsitzende der Wohnungsgenossenschaft Flöha und Umgebung, bestätigen. "Wir stehen der Nutzung von Solarenergie allgemein positiv gegenüber. Aber den Anbau von Balkon-Solaranlagen gestatten wir offiziell nicht", sagt Kästner. Ähnlich wie bei der Installation von Satellitenschüsseln auf Balkons sei allein schon die gestalterische Frage der Fassaden problematisch. Zudem müsse eine lange Liste von Voraussetzungen erfüllt sein wie Fragen zur sturmsicheren Befestigung, dem Brandschutz, der Gebäudeversicherung und der sicheren Stromeinspeisung, die mit einer Aufrüstung der Elektroanlage des kompletten Hauses verbunden sein könne. Offiziell hat die Wohnungsverwaltungs- und -baugesellschaft mbH Flöha noch keine Anfragen zu Balkonsolaranlagen von Mietern erhalten, erklärte Geschäftsführer Frank Böttcher. Eine Installation an Hausfassade, Balkonrückwand oder Loggiabrüstung sei nicht zulässig und werde auch nicht genehmigt. Wenn sich jemand seinen Balkon mit Solar-Paneelen zustellen wolle, könne man darüber nachdenken. "Allerdings verfügen nur wenige Balkone über eine zertifizierte Außensteckdose", so Böttcher. Bei der Wohnungsgesellschaft mbH Frankenberg gab es bisher noch keine Anfragen von Mietern. "Das würden wir prüfen, wenn ein Mieter mit dem Anliegen auf uns zukommt", sagte Geschäftsführer Enrico Grille. Auch bei der Wohnungsbaugesellschaft mbH Mittweida sind die Mini-Solaranlagen noch kein Thema. "Eine Genehmigung sehe ich kritisch, da der Nutzen eher mäßig ist und Gefahrenpotenziale vorhanden sind und vor allem die Optik der Objekte leiden würde", so Geschäftsführerin Mandy Rudolf.

Aktuell erhält die Städtische Wohnungsgesellschaft Freiberg erste Anfragen von Mietern zu Balkonsolaranlagen, wie Vorstand Tom-Hendrik Runge erklärte. "Wir sehen diese Entwicklung grundsätzlich positiv und klären derzeit die Rahmenbedingungen, unter denen wir der Anlageninstallation zustimmen." Sicherlich werde stets eine Einzelfallprüfung erforderlich sein, bei der die technische und gestalterische Eignung geprüft wird. Die Installation müsse nach der grundsätzlichen Genehmigung dann durch eine Fachfirma erfolgen.

Offenbar nur ein Bruchteil der Steckersolargeräte offiziell angemeldet

Im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur, wo auch Klein-Solaranlagen erfasst werden, sind für Mittelsachsen derzeit 250 Geräte mit einer Netto-Nennleistung von unter einem Kilowatt registriert. Beim Stromnetzbetreiber Mitnetz Strom sind rund 1400 Mini-Solaranlagen erfasst. Die Anzahl bezieht sich auf das gesamte Netzgebiet von Mitnetz Strom, welches Teile von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg umfasst. Beim Chemnitzer Netzbetreiber Inetz sind nach Unternehmensangaben 85 steckerfertige Solarstromgeräte für den Balkon angemeldet (75 in Chemnitz und 10 in Amtsberg). In Mittelsachsen ist das Unternehmen Inetz aber nicht der zuständige Netzbetreiber und kann daher zu dem Gebiet keine Angaben über die Mini-Solaranlagen machen. Für einen sicheren und stabilen Netzbetrieb sei es laut einer Sprecherin des Unternehmens notwendig, angeschlossene Geräte zu kennen, um deren Rückwirkungen auf das Stromnetz einschätzen zu können. So begründet die Sprecherin die Notwendigkeit der Anmeldung beim Stromnetzbetreiber. Die Dunkelziffer der weder bei der Bundesnetzagentur noch bei den Stromnetzbetreibern gemeldeten Anlagen dürfte aber weitaus höher sein. Nach einer Umfrage der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen werden höchstens 10 bis 20 Prozent aller Steckersolaranlagen tatsächlich gemeldet.

Energieagentur: Viele Käufer nehmen Steckersolargeräte als "plug&play"-Produkt wahr

Steckersolargeräte produzieren Strom für den Eigenbedarf und sind nicht für die Netzeinspeisung gedacht. Sie müssen beim Netzbetreiber sowie beim Marktstammdatenregister angemeldet werden. Auch wenn der Begriff "Balkonkraftwerk" gebräuchlich ist, wird nur ein Teil der Steckersolaranlagen tatsächlich auf dem Balkon montiert. Öfter findet man sie auf Gartenhäusern oder Carports.

Nach Einschätzung der Sächsischen Energieagentur (Saena) können Steckersolargeräte für Verbraucher sinnvoll sein, die tagsüber einen entsprechend hohen Strombedarf aufweisen und anderweitig keine Möglichkeit haben, eine größere Solarstromanlage zu installieren. Die Nachfrage zur Beratung zu Balkonsolaranlagen sei gering im Vergleich zu Photovoltaik-Anlagen, die nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) Strom ins Netz einspeisen. "Bei EEG-Anlagen erleben wir in 2022 einen erhöhten Beratungsbedarf, was wohl auch der Preisentwicklung und den Unsicherheiten an den Energiemärkten geschuldet ist. Wir vermuten, dass der Beratungsbedarf zu Steckersolaranlagen deshalb gering ist, weil viele Käufer diese Geräte als plug&play-Produkt wahrnehmen, vergleichbar mit dem Kauf eines Fernsehers", sagte Martin Reiner von der Saena. In Relation zum im EEG 2023 perspektivisch ab dem Jahr 2026 geplanten Zubau an neuer Photovoltaik seien die Steckersolargeräte am Strommarkt selbst eher unbedeutend. Bei einer Leistung von 0,6 kWp (Kilowattpeak/Elektrische Spitzenleistung einer PV-Anlage) pro Anlage wären selbst 200.000 neue Steckersolaranlagen pro Jahr deutschlandweit "nur" eine zusätzliche Leistung von 120 MWp (Megawattpeak) und damit anteilig im Promillebereich zum geplanten jährlichen Gesamtzubau an Photovoltaik. "Für den Einzelnen mag die eigene Anlage aber dennoch attraktiv sein", so Reiner. Für Großvermieter gebe die Saena keine pauschale Empfehlung zu den sogenannten Balkonsolaranlagen ab, da es hier große individuelle Unterschiede gebe. Der Saena-Berater verweist hier aber auch auf ein Urteil des Amtsgerichts Stuttgart, wonach ein Vermieter eine fachgerecht montierte Balkonsolaranlage nicht ohne Weiteres ablehnen könne.

Urteile zu Balkonsolargeräten

Hochschule: Mit Online-Tool lässt sich Ersparnis bei Stromkosten berechnen

In einer Studie hat sich die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit der Nutzung von Steckersolargeräten in Deutschland befasst. Eine Erkenntnis aus den Umfragen unter Nutzern solcher Geräte ist, dass die Anmeldung der Geräte verbunden ist mit rechtlich-administrativen Hürden und diese offenbar die deutlichsten Barrieren für Steckersolargeräte sind. Andererseits motivieren Klimaschutz, die einfache Handhabung und ein geringes Investitionsvolumen zum Kauf von Steckersolargeräten. Das bestätigte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von Professorin Barbara Praetorius von der HTW Berlin, die Mitautorin der Studie ist. Die Untersuchung zeige, dass mehr als drei Viertel der Nutzerinnen und Interessenten Hauseigentümer sind und etwa zwei Drittel in einem alleinstehenden Einfamilienhaus wohnen. Mieterinnen und Mieter stehen laut einer Umfrage, die im Rahmen der Studie gemacht wurde, vor zusätzlichen administrativen Aufwand (Genehmigung durch Vermieter) und es sei schwieriger umsetzbar, geeignete Anwendungsorte bei Wohnungen zu finden. "In der Regel ist der Balkon oder die Dachterrasse der einzige mögliche Anwendungsort. Diese müssen auch noch über eine Außensteckdose verfügen und eine günstige, möglichst verschattungsfreie, Ausrichtung haben", sagte Nico Orth, der im Auftrag von Professorin Praetorius die Nachfragen der "Freien Presse" zur Studie beantwortete.

Ob sich die Anschaffung und Nutzung eines Steckersolargeräts lohne, könne nicht pauschal beantwortet werden. "Das kann durchaus wirtschaftlich sinnvoll sein, hängt aber natürlich von verschiedenen Einflussfaktoren ab. Je nach Stromverbrauch, Neigungswinkel und Ausrichtung des Systems sowie Investitionskosten variiert die jährliche Ersparnis", sagte der Mitarbeiter der HTW Berlin. Für Laien sei das schwierig abzuschätzen. Deswegen habe die HTW den "Stecker-Solar-Simulator" entwickelt, ein Online-Tool das individuelle Einstellungen ermöglicht und so die energetischen als auch ökonomischen Einsparungen ermittelt. Die Amortisationszeit liege abhängig von individuellen Umständen (Stromnutzung, Standort des Moduls) zwischen sechs und neun Jahren bei sehr guter, verschattungsarmer Ausrichtung. Ein Solarmodul könne dabei gleichzeitig über mindestens 20 Jahre Strom produzieren.

Online-Tool der HTW Berlin zu Steckersolargeräten

"Meiner Einschätzung nach sind die rechtlichen und administrativen Regularien in Deutschland zu hoch", sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Marktstudie. In Ländern wie Portugal und Österreich gebe es bereits vereinfachte Regeln zum Anschluss von Steckersolargeräten. Zudem hält der EU Netzkodex 2016/631 Stromerzeugungseinrichtungen unter 800 Watt überhaupt "nicht für signifikant".

Nico Orth: "Sinnvoll ist es meiner Meinung nach, eine Bagatellgrenze für Steckersolargeräte einzuführen und damit die Pflichten für die Nutzerinnen gegebenenfalls auf die formlose oder stark vereinfachte Anmeldung des Stecker-Solar-Geräts zu begrenzen."

Verbraucherzentrale: Darauf sollten Mieter achten

Icon zum AppStore
Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!
  • Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
  • E-Paper und News in einer App
  • Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.

Das könnte Sie auch interessieren