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Unter Sachsens Demokraten

Vor 25 Jahren hat sich der Sächsische Landtag konstituiert - zuletzt wollte ihn nicht mal jeder Zweite mitwählen. Was läuft falsch mit der "ersten Gewalt"? Und wie verteidigt man am besten Demokratie?

Dresden. Mitten im Innenhof liegen sie da, ganz flach auf dem kieselförmigen Granitbett - drei 3,70 mal 4,20 Meter große, berostete Stahlplatten. Von Besuchern werden sie gern für Gullydeckel gehalten, manchmal auch für Hubschrauberlandeplätze. Auch Raketensilos vermutet man schon mal unter den elliptischen Bodenplatten. Zwar lässt sich ausschließen, dass der kanadische Künstler David Rabinowitch vom deutschen Staatsaufbau inspiriert wurde. Dennoch gilt sein Stahlwerk als Symbol für die Gewaltenteilung: Eine Platte für die Abgeordneten, die Gesetze beschließen. Eine für den Regierungsapparat, der die Beschlüsse umsetzen muss. Und eine für die Justiz, die Verstöße dagegen zu ahnden hat.

Als der Landtag kürzlich über sich selbst und sein 25-jähriges Bestehen debattierte, sprach der Abgeordnete Martin Modschiedler von der "ersten Gewalt", die selbstbewusster werden müsse. Der Parlamentarismus sei "noch nie so wichtig wie heute" gewesen. "Wir müssen uns mehr einmischen, wir Parlamentarier, wir erste Gewalt." Der Landtag sei es, der die Entscheidungen für Sachsen treffe. Modschiedler hat es vergleichsweise leicht. Er sitzt seit sechs Jahren für die CDU im Landtag, die seit 25 Jahren im Land regiert. Auch wenn sie dafür seit elf Jahren einen Juniorpartner braucht: Gegen die CDU hat noch keiner der mehr als 1000 Gesetzentwürfe den Landtag passiert. Wie die Unionsleute abstimmen werden, hat dann aber doch meist vorab "die andere Elbseite" regeln können, wie man das Regierungsviertel bis heute vom Landtag aus ehrfürchtig nennt. Man braucht sich dazu nur einen 24 Jahre alten Tagebucheintrag von Kurt Biedenkopf anzuschauen. Er werde an den CDU-Sitzungen "nun wohl auch öfter die ganze Zeit dabei bleiben müssen", bedauerte sich der Ministerpräsident am 5. Juni 1991 selbst, "um die Mitglieder der Fraktion wieder einzufangen, wenn sie ausbrechen wollen".

Was die CDU unter Parlamentarismus verstehe, wollte der Grüne Volkmar Zschocke in der Landtagsdebatte neulich wissen und wurde grundsätzlich: "Reden wir über einen echten Wettbewerb der besseren Argumente und Lösungen, oder reden wir über ein Politiktheater, in dem vorher eigentlich alles entschieden ist und jede Fraktion hier noch einmal ihre Position aufsagen darf?" Zschocke sitzt erst seit einem Jahr im Landtag, Klaus Bartl seit 25. Der 65-jährige Linke ist der einzige Oppositionsabgeordnete, der so lange durchgehalten hat. Nur einen Antrag hat seine Fraktion in all den Jahren durchbekommen - zur "Nichtverwendung von afrikanischen Regenhölzern in öffentlichen Einrichtungen des Freistaats". In der Dreikönigskirche, dem Tagungsort bis Ende 1993, war das Thema zur späten Nachtzeit behandelt worden - eine ungeahnte Chance. "Die CDU war schon etwas schläfrig, und wir hatten das historisch einmalige Zeitfenster". Wiederholen konnte Bartls Partei den Coup nie wieder. "Das ist ein demokratisches Unding", findet er. "Wir haben das Problem, dass wir nach wie vor einen verbisseneren Parlamentarismus haben als die Preußen."

Bartl war 39, als die Mauer fiel. Vor der Wende war er Abteilungsleiter für Staat und Recht der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, als 19-Jähriger schrieb er Berichte für die Stasi. Das ist lange her, aber manche vergessen nie. "Mit ihnen wollen wir nicht zusammenarbeiten, auf ihre Redebeiträge nicht eingehen, ihnen nicht die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage geben und sie nicht mit Kollege anreden", notierte Biedenkopf schon 1991. "Wir wollen sie schneiden. Die Erledigung des Problems erhoffen wir uns 1994."

Die Linken blieben aber bis heute drin, was außer ihnen durchgängig nur noch SPD und CDU gelang. Für die Union bleibt es weiter unvorstellbar, einen Antrag der Linken durchzuwinken. Das persönliche Verhältnis hat sich aber durchaus entspannt. Nur dass Fraktionschef Frank Kupfer - der schon zu DDR-Zeiten CDU-Mitglied war - sie weiter beharrlich abschätzig "Kommunisten" nennt. Andererseits zweifeln Politiker von SPD, Linken und Grünen auch die Demokratiefähigkeit der 14 AfD-Abgeordneten an, die seit einem Jahr im Landtag sitzen.

Als die AfD-Fraktion im Mai einen Demokratiekongress abhielt, nannte Parteichefin Frauke Petry die Diskussion um mehr Volksentscheide "notwendig, weil wir einen Großteil der Bevölkerung im demokratischen Diskurs längst verloren haben". Nur noch 49,1 Prozent der Sachsen waren im August 2014 zur Landtagswahl gegangen, weniger als 1,66 Millionen Sachsen. 1990 hatten 72,8 Prozent teilgenommen, seinerzeit waren das 2,7 Millionen.

In der Dreikönigskirche kamen die 160 neugewählten Abgeordneten am 27. Oktober 1990 erstmals zusammen, darunter neben Bartl auch der damals 35-jährige Matthias Rößler. Seit sechs Jahren ist der kantige CDU-Mann Parlamentspräsident, trotzdem ist das für manche Abgeordnete gewöhnungsbedürftig. Sie sprechen von Fehlbesetzung und werfen ihm mal fehlende Neutralität und mal zu wenig persönlichen Einsatz vor, um in Zeiten der Pegida-Proteste demokratieverdrossene Menschen zurückzugewinnen.

An Sitzungstagen tritt Rößler pünktlich nach dem Gongschlag 10.00 Uhr in den Plenarsaal ein und schreitet an seinen Platz. Die Abgeordneten, die noch nicht stehen, erheben sich, nur ein kleines Grüppchen um Falk Neubert bleibt demonstrativ sitzen. Er spüre bei solchen Ritualen einfach ein Unbehagen, sagt der 41-jährige Linke. "Ich habe Anfang der 1990-er Jahre als Schülersprecher erfolgreich dafür gekämpft, in der Schule nicht mehr aufstehen zu müssen."

Womöglich hat Rößler Neuberts Dauerboykott noch gar nicht mitbekommen. Auch Silvio Lang hat der Präsident lange übersehen. Der hat seit 2005 im Besucherdienst des Landtags gearbeitet und Schulklassen, Senioren oder andere Gruppen durchs Haus geführt. Wenn Lang an den - schon Monate vorher ausgebuchten - Sitzungstagen mit seinen Gruppen von der Besuchertribüne in den Besprechungsraum zurückkehrte, wusste er meist genau, welche Fragen kommen würden.

Warum manche Politiker ständig den Saal verlassen? "Weil sie auch während des Plenums mal untereinander Gespräche führen müssen." Warum es so viele Zwischenrufer gibt? "Weil sie anders als in der Schule nicht zum Lernen, sondern zum Streiten da sind." Warum sich auf den Toiletten Lautsprecher befinden? "Damit die Abgeordneten nie etwas Wichtiges verpassen." Und warum fast nie einer aus der Fraktionsdisziplin ausschert? "Weil Fraktionen wie eine Sportmannschaft nur als Team Erfolg haben können und deshalb zusammenhalten müssen."

Einen besseren Verteidiger hätten sich die 126 Abgeordneten auch bei der traditionellen Abschlussfrage nach der Höhe der Diäten nicht wünschen können. "Schülerklassen hab ich dann meist schätzen lassen: Was glaubt ihr, wieviele Stunden die Abgeordneten arbeiten?" Auf mindestens 60 Wochenstunden sei fast niemand gekommen. Lang findet nicht, dass 5.337,64 Euro als Brutto-Grunddiät zu viel sind. Auch von einer Landtagsverkleinerung hält er nichts, nicht in diesen Zeiten. Er sei ein "totaler Verfechter der parlamentarischen Demokratie", nur ihr aktueller Zustand besorge ihn. "Zu viele Menschen beteiligen sich nicht mehr." Was auch daran liege, dass "Politik oft nicht gut genug erklärt wird - und nicht klar wird, warum es jeden Einzelnen betrifft".

Bildung und Polizei sind Ländersache, über vieles andere wird längst in Berlin oder Brüssel entschieden. Auf Lang hat der Landtag dennoch nicht abschreckend gewirkt. Parallel zu seinem Job im Besucherdienst trat er 2009 in die Linke ein, seit 2012 ist er Sprecher von Dresden Nazifrei. Auch Gewerkschaften, SPD und Grüne gehören zu den Bündnispartnern, CDU und AfD vermuten hingegen in Nazifrei die Vorhut autonomer Krawallmacher. Als Lang im April dazu aufrief, den Auftritt des niederländischen Islamgegners Geert Wilders bei Pegida zu verhindern, brachte ihm das prompt eine Strafanzeige aus der AfD-Landtagsfraktion ein. Schnell war er seine Stelle los: Mit sofortiger Wirkung zog ihn der Landtag im Mai vom Besucherdienst ab. Inzwischen hat er woanders einen Anschlussjob, als Mitarbeiter für Parteifreunde. Lehrer will der 31-Jährige schon lange nicht mehr werden, dafür vielleicht schon ab 2019 Landtagsabgeordneter. Er sei "zu 100 Prozent Demokrat", sagt Lang. Im FC Landtag hat er einst mit Arbeitsstaatssekretär Stefan Brangs (SPD) und Marko Schiemann (CDU) Fußball gespielt. Ersatz für ihn hat sich schon gemeldet. Es sind zwei AfD-Abgeordnete.

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22 Kommentare

Die Diskussion wurde geschlossen.

  • 2
    0
    gelöschter Nutzer
    23.12.2015

    Demokratie ist ganz einfach, mann muss sie zulassen und nicht wie die CDU verhindern. Aber heutzutage ist ja die Meinung der Regierenden wählt uns und haltet zwischen den Wahlen ja das Maul.
    Noch was zu Freigeist14. Vor einigen Jahren kandietierte im Erzgebirge ein "Wessi"für ein Amt. Durch meine Arbeit hatte ich mit einer Firma aus dem Herkunstsort des Mannes zu tun. Natürlich habe ich den dortigen Kollegen gefragt ob er den kennt.
    Zur Anwort bekamm ich sinngemäß folgendes(damit es nicht missverstanden wird, das hat ein "Wessi"über seine Landsleute gesagt) Wer aus dem Westen in den Osten geht ist hier nichts geworden und muss zu euch gehen.

  • 2
    1
    Freigeist14
    25.10.2015

    Ja,was läuft falsch in der ersten Gewalt?Vielleicht lag und liegt die eigentliche Macht in der Sächsischen Staatskanzlei?Und wer hat da das Sagen?Bürger mit" westdeutschem Migrationshintergrund".Wenn jeder noch so winzige und harmlose Antrag der OPPOSITION abgelehnt wird und eigene Gesetzvorlagen (z.B.Kreisreform und Hochschulverlagerungen)immer Mehrheiten fanden,verliert auch der Wohlgesonnene seinen Idealismus.
    Möchtegern-Widerstandskämpfern wie CDU-Fraktionschef Frank Kupfer wäre ein Parlament mit seinen Gesinnungsfreunden der AfD, aber ohne Linke, ein Traum.