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Nun ist es doch so: Ich reagiere allergisch auf ...
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Gegen Worte kann man nicht allergisch sein; das ist meiner Meinung nach Einbildung, wenn der Mensch eine körperliche Reaktion feststellt, nur weil er ein Wort gehört oder gelesen hat. Davon bin ich überzeugt. Zwar beweisen mir Leser am Telefon oder per Mail fast täglich, dass Begriffe oder Redewendungen durchaus eine Veränderung in der Psyche bewirken können, weil diese Menschen diesem dann einsetzenden Drang, mich anzurufen oder mir zu schreiben, einfach nicht widerstehen können. Dafür habe ich großes Verständnis. Zur Verdeutlichung ein paar Beispiele: Sobald in der Zeitung etwas über "Wärter" (in Vollzugsanstalten) oder "Schaffner" (in Bahnen) steht, klingelt bei mir ebenso das Telefon wie bei "Luftdruck" (statt Reifeninnendruck) oder "Strom" (statt Energie).
Heute allerdings habe ich an meiner Überzeugung zu diesem Thema gezweifelt. Denn bei einem Gespräch mit einer Leserin habe ich ein Wort gehört, das für mich auf jeden Fall zu den Reizwörtern gehört, die mich durchaus nicht nur ärgern, sondern auch wütend machen können; in diesem Fall aber habe ich (in vollem Bewusstsein dessen, was ich gerade schrieben habe) auf ein Wort allergisch reagiert. Es geht um das Wort "Agitation". Die Unterhaltung im Wortlaut (die Verteilung der Rollen ergibt sich von selbst):
"In der Samstagausgabe Ihrer Zeitung lag eine CD bei."
"Das stimmt: 'Das Paselwitzer Tagebuch' mit fiktiv-dokumentarischen Erinnerungen an die Mauer."
"Ich will Sie zurückgeben."
"Das brauchen Sie nicht, das ist ein Geschenk."
"Ich will Sie nicht haben, nicht mal in meiner Wohnung, Sie müssen sie zurücknehmen."
"Wenn Sie Ihnen nicht gefällt, können Sie die CD noch einfach wegschmeißen."
"Das könnte Ihnen so passen."
"Wie meinen Sie das?"
"Ich habe Sie doch schließlich bezahlt, da werfe ich sie doch nicht einfach in den Müll. Ich bringe Ihnen die CD zurück, und Sie geben mir das Geld."
"Sie haben die CD nicht bezahlt, wie gesagt: Das war ein Geschenk."
"Das Sie mit meinen Abogebühren finanziert haben, also habe ich sie doch bezahlt. Und weil ich nicht gefragt wurde, müssen Sie die CD zurücknehmen."
An dieser Stelle unterbreche ich das Gespräch kurz, weil es noch eine Weile so weiterging, ohne dass ich der Anruferin einen Vorschlag unterbreiten konnte, mit dem sie vollends zufrieden war. Die Möglichkeit, uns die CD zurückzuschicken, quittierte die Frau mit: "Und das Porto?" Die Alternative, sie in einer Geschäftsstelle der "Freien Presse" abzugeben, mit dieser Frage: "Und wie komme ich dahin? Wer bezahlt mir das?" Dann wusste ich wirklich nicht mehr weiter, weshalb ich dachte, dass es eine gute Idee sein könnte, das Thema ein wenig zu variieren. Also fragte ich:
"Was haben Sie eigentlich gegen die CD?"
"Das ist garantiert reine Agitation. Ich habe meine Meinung zum Bau der Mauer, da muss mir niemand sonst eine andere einreden wollen."
Und in diesem Moment passierte es: Mein Pulsschlag beschleunigte sich spürbar in der Halsgegend, auch die Frequenz beim Atmen wurde schneller, und ich merkte, wie meine Finger feucht wurden. Außerdem war ich sprachlos. Die Leserin legte nach:
"Die Zeitung hat uns lange genug agitiert, das muss ich mir jetzt nicht mehr antun. Erfahrungen mit der Mauer habe ich selbst genug gemacht, da muss ich mir jetzt keine anderen anhören, die außerdem mit Sicherheit nicht die Wirklichkeit wiedergeben, sondern eher eine geschönte, vielleicht sogar verklärende Sichtweise."
Mein Mund war trocken, wie es schlimmer kaum geht; ich versuchte mir einem Mantra gleich innerlich vorzusagen: "Ruhig bleiben, ruhig bleiben ..." Eine CD mit ebenso unterhaltsamen wie informativen Text ist Agitation? Irgendwie musste ich da jetzt raus: "Ich habe mir Ihre Meinung aufgeschrieben und werde die Verlagsleitung darüber informieren. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?" Dann geschah aus meiner Sicht ein kleines Wunder: "Nein, auf Wiederhören", sagte die Anruferin und legte auf.
Dass Leser sich bei einem Leitartikel oder einem Kommentar einer Agitation ausgesetzt sehen, war schon mehrfach das Thema am Telefon. Dann habe ich mich auch (nur innerlich) über dieses Wort geärgert und den Anrufern erklärt, was ein Leitartikel ist und welche Intention damit verbunden ist. Aber in diesem Fall war dieses Wort tatsächlich zu viel für mich; ich hätte explodieren können, ehrlich, und das zuzugeben fällt mir auch nicht gerade leicht.
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