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Es ging nicht anders: Ich habe geschwindelt

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In meiner Kindheit gab es eine (mehr geflügelte) Redewendung, heute höre sich sie eigentlich gar nicht mehr, auch kommt sie mir für gewöhnlich selbst nicht mehr über die Lippen: "Heute ist der Tag des Herrn." Diese Worte kamen immer dann zur Anwendung, wenn sich Menschen gleich mehreren Herausforderungen ausgesetzt sahen; und es waren niemals angenehme Hürden, die überwunden werden mussten, sondern mehr Prüfungen von der Art, als würden, wenn man sie nicht besteht, die schlimmsten Prophezeiungen wahr werden. Warum ich das jetzt schreibe? Ganz einfach: Um kurz nach zwölf habe ich den Hörer aufgelegt (beziehungsweise eine Taste gedrückt) und laut gesagt: "Heute ist der Tag des Herrn." Das hat, falls jemand das jetzt vermuten möchte, nichts mit dem Papstbesuch zu tun. Vielmehr mit den heutigen Gesprächen am Telefon:

Episode 1: "Mir ist etwas ganz Ähnliches passiert. Das ist ein Skandal, darüber können Sie etwas in Ihrer Zeitung schreiben", sagte mir eine Leserin zu Beginn und nannte mit "Polizisten setzen junge Frau aus" die Überschrift des Artikels, weswegen sie mich angerufen hatte. (Zum Hintergrund: Gegen zwei Polizeibeamte war Anzeige erstattet worden, weil sie eine junge Frau in desolatem Zustand nachts in einem Waldstück zurückgelassen haben sollen.) Die Geschichte der Frau in Kurzfassung: Bei einer Kaffeefahrt, wo ihr der versprochene Gewinn eines Preisausschreibens (Flachbildschirmfernseher) ausgehändigt werden sollte, hatte die Frau, weil sie hungrig war, ein eigenes Brötchen (mit Käse) ausgepackt und in dem Gasthof gegessen. Das fanden die Veranstalter gar nicht gut und haben die Frau gebeten, das Essen zu unterlassen. Sie hat das nicht einsehen wollen und weiter ins Brötchen gebissen, weshalb man sie vor die Tür gebracht und, nachdem sie lautstark Protest angemeldet hatte, auch nicht mit dem Bus wieder mit zurückgenommen hat. "Ich musste mit einem Taxi zurückfahren, stellen Sie sich das mal vor", sagte mir die Anruferin abschließend.

Episode 2 (ein vollständiger Dialog, die Rollenverteilung ist eindeutig): "Ich möchte, dass die Seitenzahlen der Zeitung durchgängig beziehungsweise die Seiten fortlaufend von der ersten bis zur letzten Seite nummeriert sind und es keine A- und B-Seiten gibt." "Das ist technisch leider nicht machbar." "Warum?" "Die Zeitung wird meistens nicht in einem Stück gedruckt, sondern in mehreren Teilen, die dann am Ende zusammengesteckt werden." "Warum?" "Die Druckmaschinen können nur eine begrenzte Anzahl von Seiten gleichzeitig drucken." "Aber sie können doch die die Teile, die vorher gedruckt werden, mit den passenden Seitenzahlen versehen." "Das ist technisch leider nicht machbar." "Warum?" "Die insgesamt 19 unterschiedlichen Lokalteile haben nicht immer den gleichen Umfang an Seiten, so dass die Seitenzahlen der vorproduzierten Teile nicht bei allen Ausgaben dann auch richtig wären." (Pause, etwa fünf Sekunden) "Dann müssen Sie die Teile, die später hinzukommen, eben unterschiedlich drucken, ich meine mit den jeweiligen Seitenzahlen zu dem jeweils passenden Lokalteil." "Das ist leider nicht machbar." "Warum?" "Dann müssten jedes Mal für den neuen vorgedruckten Teil der Zeitung auch neue Druckplatten hergestellt werden." "Und das geht nicht?" "Das ist sehr teuer." "Und das sind Ihnen die Leser nicht wert?" "Wir versuchen die Kosten so niedrig wie möglich zu halten." "Warum?" "Weil die Zeitung sonst teuer würde, und das wollen wir nicht." (Pause, etwa drei Sekunden). "Ich verstehe."

Episode 3: "Die  Überschrift ist falsch", sagte der Anrufer und zitierte: "Regionalbahn rammt Auto." (Ausgabe Mittwoch, Seite 1, Bericht über das Zugunglück bei Bad Lausick) Während ich noch nachdachte, was daran nicht richtig sein könnte, sprach der Leser weiter: "Das würde ja bedeuten, dass der Zug das Auto absichtlich gerammt hätte, also quasi mit Vorsatz, wobei doch eindeutig feststeht, dass ein auf die Schienen geschobenes Auto die Ursache des Unglücks war." Ich war verwirrt, verstand den Anrufer nicht und mir fiel wenig ein, was ich sagen sollte. Nur dies: "Da steht: Regionalbahn rammt Auto - und genau das ist doch passiert, oder nicht?" "Von der Sache her schon, aber wenn man das so liest, denkt doch jeder, dass der Zug schuld ist an dem Unglück, und das stimmt eben nicht. Da müssten Ihre Kollegen mit etwas mehr Sensibilität die Schlagzeilen formulieren." Und an dieser Stelle habe ich aufgegeben, ich habe tatsächlich (nur ein kleines bisschen) geschwindelt: "Jetzt verstehe was Sie meinen, ich werde die Kollegen in der Redaktion über Ihren Hinweis informieren." Damit war der Anrufer zufrieden.

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