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Tief Luft holen, denken und dann reden

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Wirklich allergisch kann der Mensch nur körperlich reagieren, wenn bestimmte Stoffe beziehungsweise Substanzen im Spiel sind, mit denen er in Kontakt kommt; davon bin ich überzeugt, obwohl ich mitunter selbst daran zweifle, weil die Kontrolleinheit, die innerhalb meiner Psyche für Emotionen zuständig ist, manchmal eindeutig verrücktspielt, wenn ich bestimmte Wörter oder Formulierungen höre. So wie heute zwischen zehn und zwölf:

Episode 1: "Ich habe eine Weihnachtsgeschichte geschrieben", sagte der Mann am Telefon und fügte hinzu: "Und würde Sie Ihnen gerne schicken." In den nächsten drei Sekunden machte sich zunehmend eine pulsierende Unruhe in mir breit, die mich immer dann befällt, wenn ich Dinge tun muss, vor denen ich mich lieber drücken würde; zum Beispiel den Lesern, die mich wegen eines selbst geschriebenen Buches oder einer von ihnen verfassten Erzählung anrufen, auf möglichst schonende Weise mitzuteilen, dass eine Veröffentlichung sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein wird. Ich holte gerade tief Luft, um die vermeintlich folgenschweren Sätze zu sagen, als der Anrufer weitersprach: "Ihre Zeitung hat doch dazu aufgerufen, Weihnachtsgeschichten zu schreiben, damit sie dann ab dem ersten Advent auf der Internetseite veröffentlicht werden können. Leider habe ich die Seite nicht mehr und kann mich auch nicht mehr an die Mail-Adresse erinnern. Kann ich nicht ausnahmsweise mal Ihre verwenden?" Genauso tief, wie ich eingeatmet habe, ist mir die Luft vor Erleichterung geräuschvoll entwichen. "Na klar", habe ich nur noch gesagt, "kein Problem."

Episode 2: "Ich möchte keine Bild-Zeitung lesen. Wenn ich eine Bild-Zeitung lesen möchte, würde ich mir eine Bild-Zeitung kaufen; aber das will ich nicht", sagte ein Anrufer zu Beginn des Gesprächs. Und erneut geriet in mir etwas in Wallung, weil ich die Diskussionen mit Anrufern, denen ein Artikel in der "Freien Presse" zu nahe am Boulevardjournalismus gelegen hat, als höchst anstrengend und große Herausforderung empfinde. Weil ich noch gar nicht wusste, um welchen Text es sich in diesem Fall überhaupt handelt, wollte ich den Anrufer gerade danach fragen, als er mir schon dies mitteilte: "Auf der Seite Zeitgeschehen am vergangenen Samstag sind fast nur Fotos von Tieren, und das finde ich nicht gut. Auf dieser Seite möchte ich Lesestoff finden, Reportagen beispielsweise, und nicht einfach nur Bilder. Bitte richten Sie das Ihrem Chef aus." Das habe ich natürlich sofort zugesagt, froh darüber, dass "Freie Presse" nur wegen einer Bilderseite und nicht wegen eines bestimmten Artikels eine Bild-Zeitung war. Dem Leser haben die Unterwasserfotografien von Doug Perrine durchaus gefallen. "Aber auf die Seite Zeitgeschehen gehören sie einfach nicht hin."

Episode 3: "Es geht mir nochmal um die Chemtrails", sagte ein Anrufer und wollte von mir wissen: "Wann lese ich denn endlich etwas in der Zeitung über diese große Gefahr für uns alle?" Allein dieses eine Wort ließ mich kurz zusammenzucken, weil es mich tatsächlich seit Wochen schon verfolgt, doch ich konnte ruhigen Gewissens und völlig emotionslos sagen: "Ein Reporter hat sich dieses Themas bereits angenommen und will bald darüber berichten." Mit dieser Antwort war der Leser zufrieden, er hat sich ohne weiteres verabschiedet. Die Konfrontation mit meinem Gefühlshaushalt erlebte ich diesem Fall nicht bei dem Gespräch mit dem Mann, sondern eine Stunde später in der Planungskonferenz der Redaktion: Denn morgen steht auf der Seite Zeitgeschehen voraussichtlich eine Reportage über Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel über Sachsen. Dabei gehe es aber nicht um Chemtrails, versuchten die Kollegen mich zu beruhigen. "Aber genau das ist doch das Problem", habe ich geantwortet und mir fest vorgenommen, morgen statt des Kaffees um kurz vor zehn einen Johanniskrauttee zu trinken.

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