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Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ...

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Manchmal sind die Leser, wenn Sie mich anrufen und ihren Ärger loswerden wollen, nicht mehr ganz Herr ihrer Gefühle und lassen sie raus, wie sie gerade empfunden werden; mit entsprechender Lautstärke und nicht gerade zimperlich bei der Wortwahl. Meine Strategie dabei: Die erste große Welle abwarten und dann mit vorsichtig formulierten Fragen den Kern des Problems einkreisen, kurz auf seine Relevanz untersuchen und dann ein Gegenargument anbringen, um den Anrufer davon zu überzeugen, dass so schlimm nicht ist, was er da in der Zeitung gelesen hat. Heute ist mir das nicht ganz gelungen:

"Ich bin einfach maßlos sauer, ich könnte vor Wut in die Luft gehen", polterte der Anrufer los, nachdem er "ich bin Leser Ihrer Zeitung" gesagt und seinen Nachdem genannt hatte; mehr nicht. Sein Unmut bringt inhaltlich dieses Zitat auf den Punkt: "Immer wenn Sie die Bundeskanzlerin abbilden, kommt sie nicht gut weg auf dem Foto, aber heute haben sie den Vogel abgeschossen." Ich habe ihn noch eine Weile schimpfen lassen, bevor ich ihn fragen konnte, weil ich mich nicht so schnell an den Artikel in der heutigen Ausgabe erinnern konnte: "Um welchen Artikel handelt es sich denn, können Sie mir die Seite nennen?" Auf die Antwort habe ich eine Weile warten müssen, der Mann hatte die Zeitung nicht vor sich liegen, entfernte sich hörbar vom Telefon, fast eine halbe Minute vernahm ich überhaupt kein Geräusch, dann die gleichen Laute wie zuvor jetzt bei der Wiederannäherung, bevor er sagte: "Auf der vierten Seite, Kommentar und Hintergrund steht drüber."

Die Seite lag bereits vor mir, bevor der Mann den Satz zu Ende gesprochen hatte, und ich stellte fest: Kein Foto von Angela Merkel, nur die Karikatur mit der Bundeskanzlerin als böse Königin, die sich vom Spieglein an der Wand sagen lassen muss, dass Schneewittchen bei den grünen Zwergen tausendmal schöner als sie ist. Daran konnte ich mich erinnern: Ich hatte herzhaft in mich hinein gelacht, als ich die Zeichnung am frühen Morgen beim Kaffee (zwei Drittel Malzkaffee, ein Drittel löslicher Bohnenkaffee) gesehen hatte. Nun war es an mir, dem Leser das Wesen sowie Sinn und Zweck einer Karikatur näher zu bringen. Das erste Argument hat ihn nur noch wütender gemacht: "Dass die Merkel von dem Zeichner immer so dargestellt wird mit diesem typischen Gesichtsausdruck ist ja gerade das, was ich so schlimm finde, aber heute habe ich mich noch viel mehr darüber aufgeregt als sonst. Deshalb habe ich Sie ja auch angerufen." In dem folgenden Wortschwall fielen die Worte "Bösartigkeit" und "Verunglimpfung", während ich versuchte, auf meinem Standpunkt zu beharren, dass diese eine Karikatur sei und die überzeichnete Darstellung von Gesichtern unbedingt dazugehöre; ich hatte kein Erfolg, der Leser wollte sich nicht beruhigen. Ich ließ ihn reden, bis er von alleine schwieg, weil alles gesagt war und ihm die Formulierungen ausgingen. Genau in diesem Augenblick fiel der Satz, der mir offenbarte, was der wahre Grund für den großen Ärger des Lesers war:

"Dass die Frau im Spiegel auch noch Ähnlichkeit mit dieser Kraft aus Nordrhein-Westfalen hat, setzt dieser unwürdigen Darstellung der Bundeskanzlerin noch die Krone auf", sagte der Leser, während ich erkannte: Der Mann hat die Karikatur verstanden, nur die Botschaft lehnt er ab, weil sie den Finger in eine Wunde legt, die der Regierungspartei gerade arge Schmerzen bereitet.

Und das war der Grund, warum ich die Karikatur nach wie vor fantastisch und gelungen finde; ich darf es auch drastisch ausdrücken: Zum Schreien komisch bringt Tomicek die Sache auf den Punkt, einfach herrlich.

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