Blog "Leser-Obmann": Verheiratet, alt, aktiv und schwanger

Mehrmals habe ich hier schon von Lesern berichtet, die mit einem besonderen Einleitungssatz die Bedeutung ihres Anliegens in ein besonders Licht rücken wollen. Das ist ihr gutes Recht, ich weiß fast alle sprachlichen Ouvertüren richtig einzuschätzen. Auch in dieser Woche, in der diese Gesprächseröffnungen etwas aus dem üblichen Rahmen abgewichen sind:

Episode 1: "Ich bin schwanger", sagte eine Leserin und berichtete mir von ihrer jüngsten Ultraschalluntersuchung, bei der sie in der elften Woche gesehen hat, wozu der Fötus schon in der Lage ist, während alle Welt gerade über die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen spricht und dabei vergessen wird, dass die Abtreibung in Deutschland zwar verboten ist, aber bis zur zwölften Wochen nicht bestraft wird.

Episode 2: "Ich bin schon sehr alt, aber mein Gedächtnis funktioniert noch wunderbar", sagte mir ein 83-jähriger Anrufer und bewies dies mit seiner Bitte, doch die erste Seite des Reisemagazins vom 17. Dezember 1998 noch einmal in der "Freien Presse" abzudrucken, weil es da um die Attraktivität von Syrien als Reiseland gegangen sei und dies den Menschen heute ins Bewusstsein rufen würde, wie schlimm der Krieg in diesem Land doch sei.

Episode 3: "Ich bin ein aktiver Leser der Zeitung", verriet mein ein Anrufer, wobei ich der Versuchung widerstehen musste, ihn zu fragen, was ihn von einem passiven Leser unterscheide, doch das wurde mir ohnehin bald klare, weil er mich auf einen Fall von Dativ in einem Artikel hinwies, der eigentlich ein Genetiv hätte sein müssen.

Episode 4: "Ich bin verheiratet", teilte mir eine Leserin mit, die in der Zeitung einen Bericht über die Erbschaftssteuer gelesen hatte und dazu jetzt eine paar Fragen hätte, weil sie es als ungerecht empfinde, wie sie in dem geltenden Gesetz behandelt werde, nur weil sie mit einer Frau den Bund fürs Leben eingegangen sei.

Episode 5: "Ich habe viele Freunde in Moskau", sagte mir eine Leserin zu Beginn des Gesprächs und erklärte mir weiter, dass sie diesen Personen, die alle mal in Chemnitz und Umgebung gelebt haben, einmal im Monat ein Paket mit ausgewählten Exemplaren der "Freien Presse" schickt, damit sie den Kontakt zur ehemaligen Wahlheimat nicht verlieren, aber sie achte sehr darauf, weshalb sie auch nicht alle Zeitungen in das Paket nach Moskau steckt, dass über Chemnitz keine negativen Artikel enthalten sind.

Episode 6: "Ich lese ihre Kolumne auf der Leserbriefseite jedes Mal mit großer Aufmerksamkeit", sagte eine Anruferin und fragte mich, ob ich mir gerne mal eine Geschichte anhören möchte, in der es darum geht, dass sie gegen Ende des Krieges als Krankenschwester einmal viel Courage gezeigt hatte, weil sie die Anordnung eines Arztes ignoriert und damit das Leben eines Patienten gerettet hatte, was ich natürlich sehr interessant fand und die 14 Minuten für dieses Erzählen gerne zur Verfügung gestellt habe.

Episode 7: "Ich habe Sie gestern in der Stadt gesehen, ganz in der Nähe der Eisdiele unweit Ihres Verlagshauses, kann das sein?", fragte mich eine Anruferin und fügte noch eine weitere Frage hinzu: "War wohl wieder ziemlich anstrengend, das Reden mit den Lesern, nicht wahr?"

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