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Immer wenn ich dieses Dingdong höre ...

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Zu Beginn meiner Tätigkeit als Leserobmann habe ich mir die Warnung eines Kollegen besonders zu Herzen genommen, und fast täglich denke ich daran: "Wenn du dich darüber wunderst, dass das Anliegen des Anrufers dir reichlich obskur vorkommt, sollten bei dir unbedingt die Alarmglocken läuten, und du solltest dich fragen, ob am anderen Ende nicht vielleicht jemand versucht, dich aufs Glatteis zu führen, während die Unterhaltung mitgeschnitten wird und demnächst im Radio zu hören ist." Dass es solche Sendungen gibt, weiß ich, obwohl ich mir noch nie eine angehört habe, doch allein die Vorstellung, dass so etwas passieren könnte, ist mir höchst unangenehm. Dreimal war das in den vergangenen Tagen der Fall:

Episode 1: "Ich habe am Straßenrand im Gebüsch einen Kürbis gefunden", sagte die Leserin und wartete ab; meine neutrale Reaktion darauf: "Was kann ich für Sie tun?" Die Frau erklärte mir: "Sie haben kürzlich über Fundsachen und Finderlohn einen Artikel geschrieben; nun habe ich versucht, den Kürbis in der Fundstelle der Gemeinde abzugeben. Aber die wollen ihn nicht haben." Ich hörte die Alarmglocken deutlich, weshalb ich fragte: "Und wie kann ich Ihnen jetzt weiterhelfen?" Nun hatte ich das Gefühl, dass die Anruferin zunehmend gereizter wurde, weil ihr Tonfall etwas energischer wurde: "Natürlich möchte ich jetzt wissen, was ich mit dem Kürbis machen soll?" Nun griff ich zum letzten Mittel, weil es mir immer unheimlicher wurde: "Ich kläre das und rufe zurück, Ihre Telefonnummer habe ich vom Display abgeschrieben. Vielen Dank für das Gespräch, bis später." Nach Rücksprache mit dem zuständigen Fachredakteur war ich mir bei der Antwort sicher, weshalb ich die Nummer wählte; einmal, später nochmal, auch beim dritten Versuch ist niemand rangegangen. Gerne hätte ich gesagt: "Aufessen oder auf den Kompost."

Episode 2: "Es gibt in Ihrer Redaktion doch bestimmt einen Experten für Karl Marx", sagte ein Leser und fügte hinzu: "Den hätte ich gern gesprochen." Dingdong; da waren sie wieder, ich hörte sie deutlich, also formulierte ich mit Bedacht: "Einen ausgewiesenen Experten für Karl Marx gibt es nicht, aber wenn sie mir sagen, was sie wissen möchten, oder wie ich Ihnen helfen kann, werde ich mir große Mühe geben, den richtigen Ansprechpartner für Sie zu finden." Der Mann hatte mir offensichtlich nicht richtig zugehört (oder wollte diesen Eindruck ganz bewusst bei mir erwecken - dingdong), denn auch seine Stimme hob sich etwas an, als er mir zu verstehen gab: "Es wird doch jemanden geben, der sich mit Karl Marx auskennt, schließlich sind sie die Zeitung in der Stadt, die einmal seinen Namen trug." Weil ich befürchtete, dass er mich als Zugereisten entlarven und vielleicht sogar bloßstellen wollte, griff ich auch hier zur Notlösung: "Sie stellen mir Ihre Frage, ich besorge die Antwort und rufe Sie zurück, was halten Sie davon?" Schweigen, dann ein hörbar tiefes Ein- und Ausatmen, schließlich dann doch: "Marx wurde nicht vor 130 Jahren geboren, sondern ist vor 130 gestorben. Damit das klar ist, das weiß doch jeder, also geben sie es so weiter, ich fass es nicht", sagte er, murmelte ein "Auf Wiederhören" und legte auf; weitere vier Leser haben mich in den nächsten zwei Stunden wegen dieser Verwechslung in einem Artikel angerufen.

Episode 3: "Ich bin ein großer Fan von Heino, wenn er hier ein Konzert gegeben hat, war ich immer ganz vorn mit dabei", sagte mir Leser und fragte mich: "Schwarzbraun ist die Haselnuss, das kennen Sie doch auch, das reißt einen doch so richtig mit, oder nicht?" Den Sänger kenne ich, das Lied habe ich auch im Ohr, zumindest die Melodie, auch wenn ich stets mehr an die Otto-Version (auf dem Friedhof) denken muss, doch weil ich befürchtete, entweder mir das Lied jetzt anhören oder sogar selbst singen zu müssen, wollte ich mich, weil der Bericht "Der echte Heino" mir noch gut in Erinnerung war, auf die sichere Seite begeben: "Was kann ich für Sie tun? Wollen Sie mit mir über diesen Artikel reden?" Im Gegensatz zu den anderen beiden Anrufern nahm dieser Leser seine Stimme deutlich zurück, flüsterte fast, als mir mitteilte: "Ich möchte gerne mit jemanden darüber reden. Warum tut er uns das an? Warum singt er diese grässlichen Lieder? Es tut mir in der Seele weh, wenn ich das höre." Der Mann durfte mir sein Leid klagen, denn ich war mir sicher: Solange nur einer redet und wenn ich das nicht bin, kann mir nichts passieren. Dingdong verstummte, ich erwies mich als guter, weil schweigender  Zuhörer.

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