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Dort geht es in die Tiefe, dort lauert die Gefahr
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In der Straße, in der die Leserin wohnt, die mich heute wegen dieser Bitte angerufen hat, gibt es einen Gullydeckel; ob es weiter vorne oder vielleicht auch in der anderen Richtung im Verlauf der Straße noch einen weiteren gibt, weiß ich nicht, aber ich habe sie auch nicht danach gefragt; im Eifer des Gefechts (ich gebe zu: Nebenbei habe ich auch noch mein Postfach von Werbemüllmails befreit) habe ich das vermutlich vergessen, was den Rechercheauftrag für meine Kollegen leider jetzt nicht gerade einfacher macht. Deshalb will ich jetzt nur noch von dem (einen) Gullydeckel schreiben. Dass das jedoch auch nicht wirklich ganz korrekt ist, will ich nicht verschweigen, denn richtigerweise muss es entweder Kanaldeckel oder Einlaufgitter oder Regenwassereinlauf oder Senkkasten oder Bodeneinlauf oder Schachtabdeckung oder ... na ja, auf jeden Fall nicht Gully heißen, denn das ist ein Anglizismus ("gully" = "Einlauf"), und Übernahmen aus dem Englischen will ich doch vermeiden, damit ich auch künftig den Lesern vorbehaltlos zustimmen kann, die mich wegen eines in der Zeitung entdeckten "Feedbacks" oder eines "Flyers" anrufen, weil ich eigentlich auch davon überzeugt bin, dass es für jedes dieser Wörter immer auch eine deutsche Alternative gibt; manchmal nicht ganz so gebräuchlich, aber doch nicht weniger verständlich (ich weiß: Zweimal zwei Negationen hintereinander und das innerhalb von zwei Sätzen machen das Verstehen nicht leichter und zwingen zum Nachdenken, ich bitte um Nachsicht).
"Langsam mache ich mir wirklich Sorgen wegen dieses Gullydeckels", sagte die Frau in der Leitung und fügte noch hinzu: "Wenn Kinder mit ihren Fahrrädern ihm zu nahe kommen, ich will gar nicht darüber nachdenken, was dann passieren könnte. Das ist einfach viel zu gefährlich an dieser Stelle." Nun hatte ich genau in diesem Moment ein Déjà-vu, vielleicht nicht im ursprünglichen Sinne, weil ich nicht glaubte, diese Situation schon mal erlebt zu haben, aber zumindest eine literarisch bedingte psychologische Irritation, denn mir war klar, dass die Kombination von Gullydeckel, Kinder und Gefahr in mir etwas auslöst, was mir eine Gänsehaut verschaffte. Während des Gesprächs mit der Leserin bliebt mir keine Zeit, dieses vage Erinnern näher zu erforschen und seinen Ursprung zu ergründen, denn die Frau formulierte ihr Anliegen unmissverständlich: "Ich möchte, dass sie etwas dagegen unternehmen." Und dann, viele Minuten später, konnte ich mir diese Täuschung meines visuellen Erinnerungsvermögens erklären, weil ich gerade auf einmal, ohne dass ich danach verlangt hatte, als ein Kollege in der Tür stand, auf den roten Klebezettel auf seiner Nase deutete und meinte, dass er um 11.11 Uhr gerade in einer Konferenz gesessen habe und deshalb erst jetzt mir mit den Worten "ufftata, ufftata" eine schöne fünfte Jahreszeit wünschen könne, das Grinsen eines Clowns vor meinen Augen hatte; kein freundliches, eher ein dämonisches. Und da war mir klar: Pennywise - übrigens sieht mein Kollege ohne roten Post-it-Zettel unterhalb der Augen nicht wirklich aus wie ein Clown - ist mir erschienen, und ich erinnere mich noch genau an den Sommer 1988, als ich den Roman "Es" von Stephen King gelesen und anschließend wochenlang um jeden Gullydeckel einen Bogen und bei jedem Waschbecken zuerst den Abfluss zugehalten habe, bevor ich mich darüber beugen konnte. An dieser Stelle möchte ich den Behauptung wagen: Wer davon ausgeht, sich beim Lesen nicht gruseln zu können, sollte "Es" lesen, weil dieses Buch ihn davon überzeugen wird, dass die Vorstellungskraft durchaus angsteinflößend sein kann.
"Er versinkt langsam im Asphalt", beantwortete die Leserin meine Frage danach, was diesen Gullydeckel so gefährlich mache, und erklärte mir weiter: "Stellen Sie sich doch nur vor, eine ältere Person gerät mit dem Fuß in dieses Loch, stolpert auf die Straße und fällt womöglich noch genau vor ein Auto." Ich habe der Frau versprochen, dass ich die Kollegen in der zuständigen Lokalredaktion über diesen Gullydeckel informieren werde mit der Bitte, sich dieser Sache anzunehmen und eine mögliche Recherche zu überprüfen. Dieses Gespräch war mit weniger als einer Minute mit Abstand das kürzestes heute zwischen zehn und zwölf; aufregender war von den anderen aber keins.
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