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Vermutlich kennt jeder solche Situationen. Man sieht oder hört etwas und denkt: Halt bloß die Klappe, dreht dich um geht deiner Wege, denk dir deinen Teil und tue alles, damit die liebe Seele ihre Ruhe hat und niemand darunter leidet, nur weil deshalb ein Streit vom Zaun gebrauchen wird. Ich jedenfalls kenne diese Momente ganz genau, denn eigentlich erlebe ich sie täglich bei meinen Gesprächen mit Lesern zwischen zehn und elf. Und doch kann ich es manchmal einfach nicht lassen: Ich halte eben nicht die Klappe, lege die Finger in eine vermeintliche Wunde  und stoße ein Diskussion kann, bei der es am Ende so gut wie nie einen gemeinsamen Konsens gibt. Das ist so, ich kann und will nicht anders, gestern und heute gab es drei solche Situationen.

Episode 1: Meine Kollegen in der Chemnitzer Lokalredaktion haben heute in einer Bildnachricht mit der Überschrift "Trinkwasserspeicher erhält spiegelnde Verkleidung" darüber informiert, dass dieses neue Bauwerk eine Fassade aus Edelstahl erhalten soll. Eine Leserin hat mich deswegen angerufen und mich gebeten, dem Verfasser dieser Zeilen auszurichten, ob er mal daran gedacht habe, dass Vögel dieses Gebäude dann nicht mehr als solches erkennen können und sterben, nachdem sie gegen das Hindernis geflogen sind. An dieser Stelle hätte ich sagen können, dass ich meinen Kollegen danach fragen beziehungsweise ihn auf dieses Problem aufmerksam machen werde, stattdessen aber habe ich gefragt: "Sind Sie eigentlich auch Vegetarier?" Sie verneinte dies und wollte von mir wissen, was dies mit der verspiegelten Fassade des neuen Trinkwasserspeichers zu tun habe. "Eine Menge, meiner Meinung nach", antwortete ich, was zur Folge hatte, dass wir minutenlang darüber "kontrovers" diskutiert haben, wie konsequent man sein muss, wenn man sich um das Wohl von Tieren sorgt.

Episode 2: Ein Leser wies mich darauf hin, dass in einem Bericht über eine medizinische Einrichtung lauter Unwahrheiten und Beschönigungen stehen würde. Ich fragte nach dem Erscheinungstag; den wusste der Mann nicht. Ich fragte danach, ob er Artikel im Lokalteil oder in der Gesamtausgabe erschienen sei; das wusste der Anrufer auch nicht. Aber weil er den Bericht ausgeschnitten hatte, lag er vor ihm, und er konnte mir die Überschrift vorlesen. Also gab sich zuerst zwei Stichwörter in die Suchmaske unseres Archivs ein; kein Treffer. Dann drei; kein Treffer. Dann die komplette Überschrift in Anführungszeichen (die Suche dauert lange, aber ich weiß dann definitiv, ob diese Wortkombination im Archiv gibt); kein Treffer. Also sagte ich: "Der Artikel, der vor Ihnen liegt, ist nicht in der Freien Presse erschienen." Ich hörte, wie der Mann tief Luft holte, bevor er erwiderte: "Wollen Sie mich  für dumm verkaufen?" Das wollte ich ganz bestimmt nicht, weshalb ich nicht anders konnte, als weiterzusuchen; der Mann hatte Zeit, er ist Rentner. Dann bin ich, weil er sich "ziemlich" sicher war, dass der Artikel in dieser Woche in der Zeitung stand, und weil ich anhand seines Wohnorts die entsprechende Lokalausgabe ausmachen konnte, von Montag an alle Seiten (über die E-Paper-Funktion) durchgegangen. In der Ausgabe vom Dienstag bin ich auf einer Seite 7 im Lokalteil fündig geworden, ich fand den halbseitigen und bebilderten Bericht, er war nicht zu übersehen, auch die Überschrift stimmt. Aber: "Das ist eine Anzeige. Die Klinik hat dafür bezahlt, sie allein ist für den Inhalt verantwortlich." Der Mann schnaubte, ich konnte es deutlich hören, dann fragte er: "Und es macht Ihnen nichts aus, solche Unwahrheiten abzudrucken?" In diesem Moment hätte ich schweigen und sagen sollen: "Ich werde die Kollegen in der Anzeigenabteilung über Ihren Anruf informieren." Das habe ich aber nicht, ich sagte: "Nein." Und der Wutausbruch am anderen Ende der Leitung nahm seinen Lauf.

Episode 3: Gestern hat "Freie Presse" auf der Titelseite (oben neben dem Aufmacher) unter der Überschrift "Ende der Geheimniskrämerei" darüber berichtet, dass die ersten 25 Bilder aus dem Münchner Kunstschatz im Internet veröffentlicht worden sind; zu sehen in der Bildkombination waren vier Gemälde. Unten auf der Seite stand ein Artikel mit der Überschrift "Held der Straße"; ein 32-jähriger Chemnitzer hatte einen Lkw-Fahrer gerettet und Schlimmeres verhindert. Eine Leserin meinte dazu: "Das ist genau verkehrt herum, denn dieser tapfere Mann hätte auf der Seite mit einer fetten Schlagezeile ganz nach oben gehört, während diese hässlichen Fratzen, wenn überhaupt, hätten ganz klein und unten auf der Seite platziert werden müssen." Nun hätte ich diese etwas andere Themengewichtung einfach akzeptieren und mich für den Anruf bedanken sollen. Habe ich aber nicht getan. Gesagt habe: "Mir gefallen die Gemälde gut, und wenn ich sie mir leisten könnte, würde ich sie in meiner Wohnung aufhängen." Bei der anschließenden Diskussion über Kunst vielen keine hässlichen Worte, es gab auch keine Gefühlsausbrüche; die Unterhaltung war nur irgendwie ganz schön anstrengend.

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