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Nicht mein Ding, wenn es gilt: Mach dich ran
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Der Weg bis zur Erkenntnis beginnt mit dem Staunen. Das hat mir vor Jahrzenten während meiner Schulzeit mein Philosophielehrer mit auf den Weg gegeben. Er meinte: Nur wer staunen kann, ist offen für das, was sein Leben bereichert. Daran denke ich oft zwischen zehn und zwölf, wenn ich mich mit Lesern am Telefon unterhalte und mich frage, nachdem ich mich verabschiedet und aufgelegt habe: Ist das jetzt gerade wirklich passiert? Bei drei von insgesamt 19 Gesprächen heute was das der Fall, was eine außergewöhnlich große Quote ist, weshalb ich nun von diesen drei Anrufen berichten möchte:
Episode 1: "Mach dich ran, kennen Sie sich damit aus?", fragte mich ein Leser und bekam von mir zur Antwort eine Frage: "Wie bitte?" Der Mann formulierte sein Anliegen anders: "Mach dich ran, ich habe dazu eine Frage, können Sie mir die beantworten?" Weil ich zum einen nicht nochmal nachfragen wollte und zum anderen glaubte, zumindest eine Ahnung von dem zu haben, was den Anrufer bewogen hatte, bei der Zeitung anzurufen, entschloss ich mich zu dieser Reaktion: "Vermutlich bin ich nicht der richtige Ansprechpartner, aber wenn Sie mir Namen und Telefonnummer sagen und mir erklären, was genau ihre Frage zum richtigen Ranmachen ist, dann leite ich sie an die Kollegen weiter, die für Ratgeber-, Gesundheits- und Verbraucherthemen zuständig sind." Der Mann in der Leitung zögerte einen Moment, bevor er fragte: "Wie bitte?" Ich kürze ab und kläre auf: Ich hatte gedacht, der Leser möchte wissen, wie man sich am besten ranmacht. Der Anrufer aber wollte in Erfahrung bringen, in welcher Stadt die letzte Sendung der MDR-Reihe "Mach dich ran" aufgezeichnet worden ist.
Episode 2: "Meine Frau und ich haben kürzlich das Fest der Diamantenen Hochzeit gefeiert", sagte ein Leser und fügte zu meiner Erleichterung, weil ich sofort befürchtete, dass meine Kollegen in der Lokalredaktion nicht über die Jubilare berichtet hatten und ich nun den Unmut darüber zu hören bekommen werde, sofort hinzu: "Stand ja auch groß in der Zeitung." Ich atmete hörbar aus und schwieg. "Nun ich habe ich mal eine Frage, vielleicht können Sie die Antwort mal rauskriegen: Wie oft kommt in Deutschland eigentlich vor, dass Ehepaare es schaffen, 60 Jahre verheiratet zu sein? Das ist doch bestimmt eher selten, oder nicht?" Ich versicherte dem Anrufer, mal bei Onkel Max nachzufragen, ob er dazu eine Statistik auftreiben und die Fragen dann auf seiner wöchentlichen Seite beantworten, aber ich sagte auch noch dies: "Da fällt mir gerade ein, dass wir vor etwa einem Vierteljahr an zwei Tagen hintereinander Berichte über zwei Ehepaare in der Zeitung hatten, die das Fest der Gnadenhochzeit gefeiert haben." Der Mann in der Leitung fragte: "Das sind 65 Jahre?" Ich verneinte: "Nein, 65 Jahre nennte man Eiserne Hochzeit. Bei der Gnadenhochzeit ist man 70 Jahre miteinander durchs Leben gegangen." Der Leser sagte "Einen Moment, bitte", und ich merkte, wie er die Hand auf die Sprechmuschel legte; etwa eine halbe Minute lang hörte ich nur unverständliches Gemurmel, dann war der Leser wieder zu verstehen, als er mir versicherte: "Wir arbeiten daran."
Episode 3: "Haben Sie voriges Jahr das TV-Duell von Merkel vor der Bundestagswahl gesehen?", fragte mich eine Anruferin. Ehrlich wie ich bin sagte ich: "Nein." Falsche Antwort, die Frau reagierte mit Empörung: "Sie sind Journalist, arbeiten bei einer Tageszeitung und meinen, sich das nicht ansehen zu müssen?" Falsche Frage, ich erklärte: "Ich habe kein Fernsehgerät und habe mir das Duell im Radio angehört." Stille in der Leitung, ich erwartete weiteren Unmut wegen meiner (zugegeben) etwas frechen Reaktion, aber die Leserin schaltete bei ihrem emotionalem Engagement einen Gang zurück und wollte als nächstes dies von mir wissen: "Und können Sie sich noch daran erinnern, was die Kanzlerin damals gesagt hat?" Ehrlich wie ich bin antwortete ich: "Sie sagte, als es um die Reform der gesetzlichen Krankenversicherungen ging: Ich bin privat versichert." Stille in der Leitung, und weil ich am Tag zuvor über dieses Thema schon mit einem Anrufer gesprochen hatte, entschied ich mich für eine Versachlichung des Gesprächs und fragte: "Meinen Sie dieses Zitat von Merkel: Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben?" Richtige Frage, ich hörte wieder Worte der Empörung: "Ganz genau, und was soll ich dann von der Überschrift 'Merkel bekennt sich klar zur Maut' in Ihrer Zeitung halten?" Zwei Möglichkeiten hatte ich zur Auswahl: Ich hätte der Frau erklären können, was eine Nachricht in dieser Länge von nur wenigen Zeilen an Informationen zu transportieren in der Lage ist. Ich entschiede mich für die zweite: "Wie alle Politiker kann auch eine Bundeskanzlerin nicht der Versuchung widerstehen, sich ihre Haltung zu kontroversen Themen so zurecht zu legen, wie sie diese gerade gebrauchen kann, streng der Maxime verpflichtet: Was kümmert mich das, was vor einem Jahr war", habe ich gesagt und damit das Ende der Unterhaltung provoziert, weil die Anruferin nur noch dies sagte, bevor sie auflegte: "Ganz genau, vielen Dank."
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