Regionale Nachrichten und News mit der Pressekarte
Sie haben kein
gültiges Abo.
Regionale Nachrichten und News
Schließen

Na klar: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass

Schon gehört?
Sie können sich Ihre Nachrichten jetzt auch vorlesen lassen. Klicken Sie dazu einfach auf das Play-Symbol in einem beliebigen Artikel oder fügen Sie den Beitrag über das Plus-Symbol Ihrer persönlichen Wiedergabeliste hinzu und hören Sie ihn später an.
Artikel anhören:

Vor sechs Wochen - es war auch ein Montag - betrat ich auf dem Chemnitzer Hauptbahnhof den Bahnsteig und wollte gerade einsteigen, als der Lokomotivführer sich aus dem Fenster lehnte und mir zurief: "Der Zug bleibt stehen, wir streiken." Diese Arbeitskampfmaßnahme der Lokführer-Gewerkschaft war nicht angekündigt worden und kam für weitere rund 50 Fahrgäste allein um diese Uhrzeit zeitgleich mit mir völlig überraschend; alle mussten zusehen, wie sie ihren Heimweg organisierten konnten, denn der Streik war zwar auf drei Stunden befristet, aber ob und vor allem wann anschließend noch Züge in die gewünschte Richtung fahren würden, war völlig offen. Einige haben telefoniert und sich einen "Fahrdienst" bestellt, andere entschieden sich für die Alternative mit dem Bus, was zwar bedeutete, dass sie entweder eine Strecke mit mindestens einem Umsteigen wählen oder zwei Stunden warten mussten, bis der von der Deutschen Bahn organisierte Schienenersatzverkehr anrollte. Ich wählte die dritte Möglichkeit und suchte mir (per Ausruf in der Bahnhofshalle) sechs weitere Fahrgäste mit dem gleichen Fahrziel wie ich und bestieg mit ihnen ein Großraumtaxi; jeder hat am Ende so viel bezahlt, wie eine einfache Fahrt mit dem Zug gekostet hätte.  Warum ich das erzähle? Deshalb: Seit diesem Tag und vor allem auch seit vergangenem Mittwoch, als ein angekündigter Streik der Lokführer in den Abendstunden und in der Nacht den gesamten Zugverkehr in Deutschland lahm legte, diskutiere ich mit Lesern am Telefon über diese Streiks. Die Anrufer meinten unisono: Das ist nicht akzeptabel, man sollte den Lokführern verbieten, streiken zu dürfen. Auch bei den Argumenten für diese Halten waren sich die Leser weitgehend einig.

"Aus meiner Sicht ist es nicht tragbar, dass wenige, die in privilegierten Bereichen arbeiten, durch Streiks für ihr privates Wohl das öffentliche Leben massiv stören bzw. teilweise lahm legen können", meinte der Mann und fügte hinzu: "Ich bin dafür, das Streikrecht in infrastrukturell bedeutsamen Bereichen im öffentlichen Interesse einzuschränken.  Mediziner und Müllmänner, Fluglotsen und Lokführer sollten die Gesellschaft nicht erpressen können." Diese Haltung war nicht neu für mich, sie entsprach den Meinungen, die ich bereits gehört hatte. Der nächste Satz aber hat mich daran zweifeln lassen, ob ich überhaupt begreife, was die Leser meinen, wenn sie sich mit dieser Einstellung gegen das Streikrecht der Lokomotivführer aussprechen: "Umgekehrt wäre natürlich der Staat in der Pflicht, in diesen Bereichen dafür zu sorgen, dass angemessene Bezahlung und Arbeitszeitregelungen gefunden und garantiert werden."

Spontan fiel mir dieses Sprichwort dazu ein: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass." Von meinem eigenen Erlebnis habe ich eingangs erzählt, weil ich mir nicht den Vorwurf anhören möchte, dass ich gut reden habe, weil ich selbst nicht betroffen sei, wenn ich meine Einstellung vehement verteidige: Entweder gibt es das Recht zu streiken, um innerhalb von Tarifverhandlungen seinen Interessen mehr Nachdruck zu verleihen, dann aber gilt es ausnahmslos für alle Berufsgruppen, und Ausnahmen darf es nicht geben. Oder wir hebeln ein fundamentales Grundrecht unserer Demokratie aus und gehen beispielsweise dazu über, dass Arbeitskampfmaßnahmen von einer übergeordneten Stelle erst genehmigt werden müssen. Ganz ehrlich: Damit würde mir dieser Staat noch fremder werden, als er es in vielen Bereichen schon ist.

Weitere Blog-Einträge

Icon zum AppStore
Sie lesen gerade auf die zweitbeste Art!
  • Mehr Lesekomfort auch für unterwegs
  • E-Paper und News in einer App
  • Push-Nachrichten über den Tag hinweg
Nein Danke. Weiter in dieser Ansicht.