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Krisengespräche: Drei Skandale auf einmal

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Noch bevor ich mit meinen Überlegungen, wie sich ein Journalist fühlen soll, wenn ein Leser seiner Artikel ihn wegen einiger kritischer Passagen einen "Textzerhacker" nennt, und ob ich mich nicht doch eher geschmeichelt fühlen sollte, wenn mich ein Anrufer am Telefon als ein Mitglied der "Kaste der linksgrünen Gutmenschen" bezeichnet, zu einem Ergebnis gekommen bin, muss ich gestehen: Wirklich wichtig ist es mir in beiden Fällen nicht, ob ich für mich zu einer Entscheidung gelange. Eher würde mich da schon interessieren, wir der Absender einer Mail mit einer wenig schmeichelhaften Aussage über einen Politiker es meint, wenn er seine aus einem Satz bestehende Mitteilung an mich mit "ohne Grüße 7/16" unterzeichnet; sollte es sich um einen Bibelvers handeln, was ich noch verstehen könnte, weil der Hinweis auf das Buch der Bücher beim Gedankenaustausch mit Lesern für mich eher an der Tagesordnung ist, fehlt mir der konkrete Hinweis auf die Schrift beziehungsweise auf das Buch innerhalb der Bibel, damit ich damit etwas anfangen könnte. Mir wäre dann, weil ich die Suchmaschine mal danach gefragt habe, der Vers Prediger 7/16 am liebsten, denn da heißt es: "Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, dass du dich nicht verderbest."

Bis zu diesem Punkt ist es mir bei diesem Blogeintrag vielleicht noch gelungen, es zu verbergen oder mit nicht so ganz wichtigen Informationen und eher allgemeinen Hinweisen und Betrachtungen zum Tage zu verschleiern, nun aber kann ich es nicht länger für mich behalten, denn heute um 11.23 Uhr war es so weit - ich habe ich das Headset meines Telefons abgesetzt und laut gesagt: Ich krieg die Krise. Verantwortlich für diesen für meine Verhältnisse eher außergewöhnlichen Gefühlsausbruch waren drei Gespräche mit Lesern innerhalb einer Viertelstunde, in denen die Anrufer mir ausnahmslos und wortwörtlich "von einem Skandal" berichten wollten. Ich bemühe mich um Sachlichkeit:

Der Sachverhalt des ersten Skandals: Die Öffnungszeiten der für die Abrechnung der Kfz-Steuer zuständigen Zolldienststelle des Zollamtes Chemnitz. "Kein Normalsterblicher kann in diesen Zeiten dort auftauchen, um was zu klären. Glaubt man dort, dass wir alle keine Arbeit haben und nur zu Hause vor der Glotze hängen?", formulierte ein Anrufer seinen Unmut als Frage; eine Antwort bekam er von mir nicht, nur die Zusicherung, dass ich meine Kollegen in der Redaktion darüber informiere.

Der Sachverhalt des zweiten Skandals: "Mit uns alten kann es ja machen, ich fühle mich jetzt wirklich ver..., ich weiß gar nicht, wohin mit meiner Wut. Und wie soll ich das meiner Frau erklären? Sie hatte sich doch so gefreut, dass ich endlich mal was gefunden habe, für das ich mich begeistern kann", meinte der eine Anrufer von insgesamt etwa zwanzig weiteren Lesern, die sich bei uns gemeldet haben, nachdem sie in der Zeitung gelesen hatten, dass der Deutsche Verkehrssicherheitsrat für Senioren ein kostenloses Fahrsicherheitstraining anbietet und dass man sich dafür unter einer Berliner Nummer anmelden kann. Was auch dieser eine Anrufer überhaupt nicht verstehen konnte und es deshalb in die Kategorie "Skandal" einordnete: Zwischen 9 und 16 Uhr konnte man anrufen, um sich anzumelden; nur dass die freien Plätze innerhalb weniger Minuten bereits vergeben waren. "Sauerei" gehört ebenfalls zum Vokabular des Lesers.

Der Sachverhalt des dritten Skandals: "Da stehen jetzt Halteverbotsschilder", meinte der Leser. "Können Sie mir das bitte etwas genauer erklären", bat ich den Mann in der Leitung. "Bis letzte Woche standen da keine, für mich ist das die reinste Abzockerei", erwiderte er, was mir nicht wirklich weiterhalf, weshalb ich mich wiederholte: "Sagen Sie mir bitte, um welchen Abschnitt der Straße es sich genau handelt, dann kann ich mir es im Internet ansehen, eine Kopie machen (mit dem Wort "Screenshot" hatte ich keine guten Erfahrungen gemacht) und die Kollegen in der Redaktion darüber informieren." Dem Anrufer war diese Information wichtiger: "Der Schwager meines Nachbarn hat gestern ein Knöllchen gekriegt, weil er seine Karre da abgestellt hatte." Ich wagte keinen weiteren Versuch, ich ließ ihn weiter reden: "Ob es an den Bäumen entlang des Fußwegs liegt? Sollen die etwas geschützt werden? Ober aber, gerade jetzt kommt mir der Verdacht, vielleicht hat der Betreiber des Parkhauses, das wir hier ganz in der Nähe haben, ein paar Scheine springen lassen bei der Verwaltung, damit sie die Schilder aufstellen und er sich keine Sorgen mehr machen muss, dass genug Blechkarossen in seiner Hütte stehen."

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